Musikerin über die Macht von Frauen: „Frauen werden noch ausgelacht“

Die britische Musikerin FKA Twigs über Rassismus im Ballett, gregorianischen Gesang und ihr neues Album „Magdalene“.

FKA Twigs in der Hocke auf rotem Teppich

Es war nicht alles finster im Mittelalter: FKA Twigs Foto: Matthew Stone

taz: FKA Twigs, Ihr neues Album heißt „Magdalene“ und bezieht sich im Titel auf Maria Magdalena, eine Gestalt aus dem Neuen Testament, die in christlichen Überlieferungen besonders im Mittelalter bedeutsam war. Die Musik des Auftaktsongs, „A Thousand Eyes“, weckt nun auch Erinnerungen an die Musik des Mittelalters. Wie kamen Sie auf diese Idee?

FKA Twigs: Zuerst habe ich den Song komponiert und danach eine Bühnenshow dafür entworfen. Zu jener Zeit stand ich schon länger im Bann von gregorianischem Gesang. Diese althergebrachte Form des Chorgesangs habe ich dann mit meinen elektronischen Komposi­tionsideen kontrastiert.

Im Songtext geht es um weibliche Energie, eine Art Magie, die von Frau zu Frau über Generationen vererbt wird. So etwas wie die essenzielle weibliche Energie, oder liege ich da falsch?

Richtig! Der rote Faden des Albums ist die mächtige Energie, die von Frau zu Frau in jeder Familie weitervererbt wird. Und diese Macht verbindet alle Generationen miteinander. Eine Form von spiritueller Energie! Allein die Tatsache, dass wir Frauen gar nicht mehr über solche Dinge reden, fühlt sich für mich an wie ein Trick des Patriarchats. Vor 200 Jahren hätte man uns noch auf dem Scheiterhaufen verbrannt, wenn Frauen öffentlich über solche Themen gesprochen hätten.

Das ist heute anders. Nun werden wir ausgelacht, aber auch das ist eine Taktik, um uns Angst zu machen vor unserer eigenen Magie, unserer eigenen Macht. Dabei sind wir es, die Leben schaffen! Und das ist eine der magischsten Fähigkeiten, die es gibt. Pah! Wie schlimm wäre es, wenn uns Frauen bewusst wäre, wie mächtig wir eigentlich sind? Das würde einigen Leuten wohl nicht schmecken. Dann könnten wir ja was ändern!

Was genau hat Sie an Maria Magdalena inspiriert?

Geboren wurde die 31-jährige FKA Twigs als Tahliah Debrett Barnett. Sie wuchs in der Nähe von Bristol auf. Ihre Mutter hat spanische und englische Wurzeln, ihr Vater stammt aus Jamaika. Barnett interessierte sich schon als Teenagerin für Ballett und zog mit 17 nach London, um dort als Tänzerin zu arbeiten. Unter anderem ist sie in Jessie Js Videos „Do It Like a Dude“ und „Prizetag“ zu sehen. Mit 18 fing sie an, Musik zu produzieren. 2012 erschien dann ihr Debüt „EP1“. 2014 veröffentlichte sie ihr Debütalbum „LP1“, das für den britischen Mercury Award nominiert wurde. Ihr zweites Album, „Magdalene“ (Young Turks/Beggars/Indigo), erscheint am 8. November. In den fünf Jahren Pause seit ihrem Debüt musste sich FKA Twigs einer Operation unterziehen: Ihr wurden Tumore an der Gebärmutter entfernt. Die Arbeit an einer Tanzshow in New York hat ihr dabei geholfen, das Erlebte zu verarbeiten. Sie heißt „Magdalene“ – genau wie das neue Album.

Mich reizt die Ambivalenz dieser Figur. Ich beschreibe mit Maria Magdalena eine Dualität. Einerseits greife ich die Darstellung als Prostituierte auf, andererseits als jungfräuliche Heilende. Sie war innovativ, aber gleichzeitig auch eine Verführerin, sie war sich ihrer Sinnlichkeit durchaus bewusst. Diese Symbolik wiederzubeleben hat mir persönlich sehr geholfen, als es mir richtig mies ging. Weil ich mir selbst dadurch bewusst geworden bin, dass ich als Frau beides sein kann, sowohl Jungfrau als auch Hure. Diese Uneindeutigkeit, das Konzept der heiligen Prostituierten hat mich inspiriert.

Auf dem neuen Album inszenieren Sie sich erstmals auch als Tänzerin, Sie haben Choreografien zu Ihren neuen Songs entworfen und treten damit auch selbst in Aktion. Obwohl Sie ausgebildete Tänzerin sind, haben Sie diesen Teil Ihrer künstlerischen Tätigkeit in Ihrer eigenen Musik bisher kaum eingebracht. Täuscht mein Eindruck, oder haben Sie bisher tatsächlich gezögert, den Tanz auch in Ihrem eigenen Werk einzusetzen?

Stimmt! Ich habe lange Zeit als Backgroundtänzerin für andere Künstler gearbeitet, aber diese Auftragsarbeiten haben mich daran gehindert, selbst an Choreografien oder Tänzen zu meiner eigenen Musik zu feilen. Aber jetzt finde ich langsam den Mut, den Tanz auch in meiner eigenen Kunst einzusetzen. Ich arbeite mit Choreografen, die mir helfen, meinen eigenen Stil zu finden. Das Gleiche gilt für meine Stimme. Ich habe immer nach einem eigenen Weg gesucht, sie einzubringen und mich trotzdem dabei wohl zu fühlen. Ich wusste nie, wie ich meine eigenen Songs komponieren sollte. Trotz meiner klassischen Gesangsausbildung habe ich mich nicht getraut, alles rauszulassen.

Meine Stimme hat viele Register, das kommt auf „Magdalene“ viel besser zur Geltung als früher. Außerdem habe ich eine hohe, kristallklare Stimme. Aber in der Popwelt, in der momentan Autotune dominiert, ist das nicht das, was man braucht, dachte ich lange. Aber wie alle KünstlerInnen lerne ich aus meinen Fehlern, und ich habe das Gefühl, dass ich mich auf „Magdalene“ aus einer Art Käfig befreit habe. Jetzt bin ich bereit, neue Wege auszuprobieren.

Sie sind in England geboren und aufgewachsen, sagen aber oft, dass es wichtig für Ihre Musik ist, dass ein Teil Ihrer Familie afrikanische Vorfahren hat. Waren Sie sich dessen schon Ihr ganzes Leben lang bewusst?

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Ja, das ist etwas, das mir schon als Kind bewusst war. Ich war damals sehr verwirrt und wusste nicht, welche Fragen ich stellen sollte, um mir die Suche nach meiner Identität zu vereinfachen. Ich hatte das Glück, in ­einer sehr multikulturellen Familie aufzuwachsen, in der Musik ganz wichtig war. Alle hörten völlig unterschiedliche Musik, auch die Menschen, die bei uns ein und aus gingen. Aber wenn man älter wird, dann hängt man nicht mehr so oft zu Hause rum. In der Schule und wenn ich mit Freunden unterwegs war, fühlte ich mich geächtet, nicht akzeptiert. Erst, als ich von meiner Heimatstadt nach London zog, veränderte sich das. Und mittlerweile komme ich halbwegs damit klar.

Obwohl unser Planet nicht in der besten Verfassung ist, glaube ich, dass es heute für junge Menschen viel einfacher als früher ist. Es muss befreiend sein, heutzutage aufzuwachsen! Heute gibt es so viele verschiedene Möglichkeiten, sich online auszutauschen. Bis ich etwa 20 Jahre alt war, spielte das Internet für mich keine große Rolle. Klar gab es das Internet schon, aber eben nicht bei uns zu Hause. Bis ich 22 war, hatte ich keinen Laptop und dauerhaften Internetzugang. Damals habe ich andere Musik gehört als die anderen Leute, mit denen ich befreundet war, und ich dachte, ich bin wahrscheinlich die Einzige, die je von diesen Künstlern gehört hat. Das hat mich verwirrt, und ich fühlte mich sogar schuldig, dass ich „anders“ war. Aber heute tippe ich einfach den Namen eines Künstlers, den ich mag, in die Tastatur, und finde sofort Gleichgesinnte, mit denen ich mich austauschen kann.

Sie sind ausgebildete Tänzerin. Wie haben Sie sich in der Welt des Balletts gefühlt?

Als ich das erste Mal in New York war, mit 19 Jahren, habe ich irgendwem erzählt, dass ich Tänzerin sei. Und der hat mich wiederum auf den schwarzen Choreografen Alvin Ailey aufmerksam gemacht. Ailey, der selber Tänzer war, hat 1958 eine Ballettschule für Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner gegründet. Erst durch seine Geschichte habe ich kapiert, was mich von all den anderen, weißen Mädchen in meinem Kurs in England unterscheidet. Hätte ich das doch vorher gewusst, dann wäre ich mit 16 nach New York ausgewandert! Mir wurde der klassische Balletttanz regelrecht verleidet! Wie oft wurde mir gesagt: Mach lieber Streetdance, damit verdienst du mehr Geld! Allein durch solche Aussagen wurde ich andauernd an meine Herkunft erinnert.

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