Fricka macht Wotan zur Sau

Eine Stunde Pop statt 16 Stunden Oper: Das inklusive RambaZamba-Theater zerschlägt Richard Wagners „Ring“ – mit Musik von Jens Friebe: Tarnhelm-Rap und Spaghetti-Western-Walküre. Der Handlung kann man sogar folgen

„Der Ring“ von RambaZamba, im Vordergrund Aaron Smith und Hieu Pham Foto: Andi Weiland

Von Stephanie Grimm

Seine Uraufführung hatte dieser „Ring“ bereits vor drei Monaten. Doch erst heute schwirrt Premierenstimmung durch das RambaZamba-Theater auf dem Gelände der Kulturbrauerei. Seinerzeit war die Zusammenarbeit zwischen dem Pop-Chansonnier Jens Friebe und 21 Downbeat, der Hausband des RambaZamba-Theaters (ein, wie der Name andeutet, inklusives Projekt), unter der Regie von Jacob Höhne fast ein wenig untergegangen, beim Popkultur-Festival, bei dem die eigentliche Premiere stattfand. Das Festival hatte die gegenwartskompatible Pop-Adaption von Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ koproduziert. Leisten kann sich das Festival, das sich als inklusiv und gendergerecht versteht, derartige Projekte dank einer vergleichsweise großzügigen Förderung aus öffentlichen Töpfen.

Doch „Der Ring“ fungierte damals als Auftaktveranstaltung und wurde zu einem Zeitpunkt dargeboten, an dem sich die Besucher noch sortieren mussten. Und so überforderte selbst die eine Stunde, auf die dieser Ritt durch Wagners episches Werk eingedampft wurde (im Original ist der Opern-Zyklus 16 Stunden lang), viele Besucher offenbar, ein stetes Kommen und Gehen war die Folge. Erschlossen haben dürfte sich die Geschichte seinerzeit den wenigsten, sie ist ja auch ein Brocken, weil sie sich über Generationen erstreckt und dementsprechend viel Personal involviert. Schön also, dass es am Donnerstagabend zu einer weiteren Vorführung kam, diesmal vor aufmerksamerem Publikum.

Dass sich Friebe (zusammen mit Leo Solter, dem musikalischen Leiter von 21 Downbeat, komponierte und arrangierte er diese Revue) aufs Zuspitzen und Komprimieren versteht, bewies er immer wieder durch brillante Texte oder Albumtitel. „Fuck Penetration“ heißt seine neueste Veröffentlichung, darauf befindet sich ein Song, in dem er den „Herrn der Ringe“ auf dreieinhalb Minuten schrumpfte. Friebe scheint prädestiniert fürs Kleinkloppen ausufernder Geschichten.

Im Programm-Teaser heißt es: „Wir schmeißen die Wind- und Nebelmaschine an, drücken fast forward, pflügen durch den Rasen vom Grünen Hügel und erzählen den kompletten Zyklus als theatralische Pop-Oper in 60 Minuten.“ Das wird eingelöst. Das Geschehen auf der Bühne, auf der meist neun Menschen zugange sind, unter anderem drei Sänger*Innen in wechselnden Rollen und zwei Schlagzeuger, die für Druck sorgen, ist kurzweilig.

Erstaunlicherweise kann man der Geschichte sogar folgen. Die zentralen Handlungsschlenker werden über Texttafeln erklärt, was praktisch ist, da man den Gesang oft eher schlecht versteht. Die Übertitel sind bisweilen lustig, manchmal platt. Das Tun der Walküren wird mit „Fricka macht Wotan wegen des Benehmens seiner Kinder zur Sau“ zusammengefasst. Und bald schon, so informiert die Tafel, „liegt inzestuöse Spannung in der Luft“.Dazu zitiert das Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde „I’ll be Your Mirror“ von The Velvet Underground & Nico; gesungen wird die deutsche Fassung „Ich bin dein Spiegel“ von Hieu Pham und Aaron Smith. Diese Interpretation ist das musikalische Highlight und die einzige Coverversion des Abends. Die übrigen Stücke basieren auf Wagner’schen Motiven.

Der Tarnhelm-Rap, ebenfalls von Smith, kommt ebenfalls gut an. Der berühmte Walkürenritt klingt dagegen arg cheesy nach Spaghetti-Western. Zwischen den eingeblendeten Texten gibt es in der Nachbarschaft gedrehte Kurzvideos, die die Ereignisse illustrieren.

Unterm Strich ist die Show unterhaltsam, die Stunde ist im Nu vorbei. In diesem hermetischeren Rahmen (wenn vor der Tür keine laue Nacht und ein multioptionales Pop-Kultur-Festival warten) funktioniert das Stück eindeutig besser. Trotzdem erschließt sich nicht richtig, warum man es sich überhaupt ausgesucht hat; was an der Geschichte so erzählenswert sein soll, dass man ihr ein neues Gewand verpasst.

Weil Wagner ein „protofaschistischer Romantiker“ sei, gibt es kein Happy End

Dass am Ende des „Rings“ die Regentschaft der Götter endet und die Menschen übernehmen, könnte man ja als gute Nachricht deuten, ist auf der letzten Tafel zu lesen. Doch weil Richard Wagner ein „protofaschistischer Romantiker“ war, nehme er diesen Systemwechsel nicht als Anlass für ein Happy End.

Nun, oft genug machen auch Menschen großen Irrsinn, wie wir knapp 150 Jahre nach Uraufführung des „Rings“ vielleicht noch besser wissen als Wagner und seine Zeitgenossen. Letztlich erzählte der Komponist von den irren Manövern, die sich Menschen zum Zwecke der Vorteilsoptimierung ausdenken. Von dem Umstand, dass sie sich dabei gerne verzocken. Und von der Erkenntnis, dass das Ganze dadurch kaum ­erträglicher wird, dass die Abstrafung oft auf den Fuß folgt. Um die Ecke wartet schließlich immer schon der nächste irre Plan.

Einen frischen Blick auf diese eigentlich immer aktuelle Thematik findet der RambaZamba-„Ring“ im Popgewand leider aber auch nicht.