Wenn der Troll
zum Jäger wird

Sibylle Bergs „Hass-Triptychon – Wege aus der Krise“ hat Ersan Mondtag als traurig buntes Märchen inszeniert. Nach der Wiener Uraufführung war in Berlin im Gorki Theater Premiere

Am Montag müssen alle die Arme hochhalten, auch wenn es wehtut: der Hassmaster (links, Benny Claessens) und seine Klienten Foto: Judith Buss

Von Nicholas Potter

Eine Gruppentherapie gegen die spätkapitalistische Mittelmäßigkeit – so fängt es an in Sibylle Bergs Stück „Hass-Triptychon – Wege aus der Krise“, für das sie bereits den Nestroy-Preis 2019 gewann. Nach der Uraufführung bei den Wiener Festwochen im Mai kam Ersan Mondtags Inszenierung nun in das Maxim Gorki Theater nach Berlin.

Berg beschreibt darin ein Leben, das seinen Sinn darin finden muss, zusammen mit jungen Leuten in einem Großraumbüro Content zu produzieren. Sie beschreibt Städte, deren architektonischer Höhepunkt eine Fußgängerzone ist, und durchbetonierte Landschaften, in denen der Autobahnzubringer zum Teil unserer Identität geworden ist. Das ist unsere Heimat: „weder Brennpunkt noch Innovationszentrum“. Damit knüpft sie an das „De-Heimatize It!“-Motto des 4. Herbstsalons im Gorki an, der mit ihrer Berliner Premiere zu Ende ging.

Gegen diese Vereinzelung und Verfremdung helfe nicht viel, das Internet biete keine Lösungen außer Selbstmord. Es helfe nur Wut. Hasskommentare als Entspannungsform. Hetze bis zum Tod. Bergs tragikomischer Text ist nichts weniger als eine bissige Diagnose einer Gesellschaft, die sich als tickende Zeitbombe des Hasses entlarvt. Sie malt eine Dystopie der Gegenwart samt smarten Wohnungen, überflüssigen Start-up-Jobs und ständigem Feedback. Unsere einzige Motivation zur Arbeit ist es, nicht gefeuert zu werden, nicht von den nie schlafenden Bots und Algorithmen ersetzt zu werden. Freiheit in dieser Gesellschaft besteht darin, lediglich zwischen Produkten wählen zu können. Sonntags ist alles zu, was ja der Regeneration unserer Arbeitskraft diene. Und wenn wir dann nicht „mit Arbeit, ficken und gutem Essen“ beschäftigt sind, dann drehen alle durch in dieser Welt, so Berg. Eine Krise entsteht. In ebendieser Sonntagskrise beginnt Bergs Therapie.

Wie der Titel verspricht, besteht Bergs „Hass-Triptychon“ aus drei Teilen: Anamnese, Diagnose und Therapie. Die Therapierunde wird vom Hassmaster geführt, abwechselnd als Keynote-Speaker oder gar Führer bezeichnet, der hier von einem überdrehten Benny Claessens gespielt wird: eine größenwahnsinnige Rampensau. Alleine diese Besetzung sorgt für einen überragenden, zwerchfellerschütternden Theaterabend.

Die sechs Therapieteilnehmer stellt Mondtag als bunte Trolle mit spitzen langen Ohren dar. Die Andeutung ist offensichtlich: Mondtag betont das virtuelle Ausleben dieses Hasses im Netz. Trollerei eben. Zu der Bande gehören Figuren wie der homosexuelle Ex-Kindergärtner, der nun „stolzer Arbeitnehmer diverser Teilzeit-Scheißjobs“ und dessen einzige Gefährtin seine verstorbene, ausgestopfte Katze ist. Oder die Teilzeitalkoholikerin und der Mann „in den besten Jahren“, die sich eigentlich nicht als solche anfühlen.

Gemeint mit diesem Figurenkabinett sind wir: das mittelständische gutbürgerliche Gorki-Publikum, die Klavierspielenden, die irgendwas studierten, das mit -wissenschaften endet, die Acht-Uhr-Leute, die nach der Putztruppe, aber vor den Chefs zur Arbeit kommen, wie es im Stück weiter heißt. Selbstbashing halt – das macht Bergs Text schon deutlich.

Für seine Inszenierung hat Mondtag Plastikskelette, im Publikum verstreut, Platz nehmen lassen, die zur spukhaften Ästhetik betragen, denen aber eine zusätzliche Bedeutung gegen Ende des Stücks verliehen wird. Sind wir das?

Das Bühnenbild hat Nina Peller mit Mondtag-typischer düster-dystopischen Kulissen versehen: Neonorange Masten ragen aus dem Publikum, UV-Lampen geben allem einen grellen Glanz, und unverputzte Brandmauern sorgen für ein heruntergekommenes Stadtbild.

Teils werden die sich reimenden Textpassagen Sybille Bergs gesungen vorgetragen, in der ironischen Tonlage eines fröhlichen Musicals.

„Das wird nichts mit dieser Spezies. Aber bis sie ausgestorben ist, kann man noch viel Spaß mit ihr haben“, sagt der Hassmaster

Trotz Benny Claessens überspitzter Bühnenpräsenz und trotz Ersan Mondtags sofort erkennbarer Regiehandschrift gelingt es Bergs Text an diesem Abend durchzudringen. Die größten Lachnummern, die bissigsten Einzeiler kommen von dem namenlosen Trollchor. Die dramaturgische Umsetzung des Stücks erlaubt dem Text, für sich selbst zu sprechen. Es ist nicht Mondtags stärkste Arbeit, aber mit Bergs phänomenalem Text muss sie das auch nicht sein, um trotzdem eine gelungene Inszenierung zu bieten.

Berg vernichtendes Urteil über unsere Gesellschaft lässt wenig Hoffnung: Keine*r denkt an Revolution als Ausweg aus der Krise, sondern nur an Hass. „Wenn das also der Gipfel des Kapitalismus ist und wir die Krone dessen sind, was die Evolution hervorbringt, dann sollte es doch Stolz erzeugen“, polemisiert sie. Aber trotz Pkws, reservierter Plastikliegen und Sexspielzeug aus Kautschuk werden wir jeden Tag nur wütender.

„Wut, liebe Klienten, ist die logische Folge der Zumutung des Daseins“, verkündet der Hassmaster Claessens zum Schluss. Seine Therapie lautet: Jagd. Nach einer Waffenausgabe und einer heftigen Schießerei sind alle außer den Trollen niedergeballert. Wir, die vermutlich Toten im Publikum, lachen und klatschen neben den Gerippen.

Die eigentliche Trollerei an diesem Abend kommt also vielleicht von dem Hassmaster selbst: „Das wird nichts mit dieser Spezies. Aber bis sie ausgestorben ist, kann man noch viel Spaß mit ihr haben“, sagt er und verschwindet wieder in die Kanalisation, wo er herkam. Ein nihilistisches Ende zum Totlachen.

Wieder am 23. 11., am 1. und 6. 12. im Maxim Gorki Theater