Angst vor Vertreibung

Ein altes Drama: „Glaube und Heimat“ im Berliner Ensemble

Das bekommt gleich düstere Wucht. Ein hoher Turm, nebel­umtost, bestimmt die Bühne. Wenn er sich dreht, stapft Bauer Rott (Andreas Döhler), die Hände in den Taschen, stumm gegen die Bewegung an. Ein Verzweifelter, der seinen Weg sucht.

Kurz sind die Sätze in „Glaube und Heimat“, 1910 vom österreichischen Dramatiker Karl Schönherr geschrieben. Man befindet sich in Tirol, nach der Reformation. Die Lutherischen werden von den Katholischen vertrieben, zwischen Glaube und Heimat müssen sie sich entscheiden. Die vielen verschluckten Worte, das Verheimlichen dessen, wohin ihr Herz sie zieht, um nicht Haus, Hof, Kuh, Frau und Kind zu verlieren, macht die Menschen schwer und starr in Michael Thalheimers Inszenierung des selten gespielten Dramas im Berliner Ensemble.

Stefanie Reinsperger spielt die Bäuerin, die erst ihren Katholizismus stolz vor sich hält, ein Panzer aus Selbstgerechtigkeit, dass sie den Nachbarn und zwei Schwäger in die Fremde jagt, berührt sie nicht. Aber als ihr Mann selbst sich zu den Lutherischen bekennt, ist zu ihm zu halten ihr erster Impuls. Endlich sieht sie die Grausamkeit des Systems. Die Hände der großen Frau, die noch immer steht wie ein Baum, kneten die Luft, nichts gibt es, wonach sie greifen kann. Das ist in seiner Sparsamkeit bewegend.

Aber dennoch bleibt die Inszenierung im Luftleeren hängen. Die Schauspieler wirken wie verstellt in den kantigen, bäuerlichen Typen, das Pathos wie falsches Theater. Dabei konnte Thalheimer einmal sehr gut die Emotionen schlank und überraschend herausschälen aus Texten, deren Sprache nicht mehr geläufig ist. Jetzt aber pinselt er mit einer Wucht, die den Kern nicht mehr hervordringen lässt.

Warum wählt ein Theater solch ein naturalistisches Drama? Es geht um Vertreibung, Verlust von Heimat, schon klar, aber die Inszenierung lässt das Thema in weiter Ferne hängen. Welche politischen Interessen hinter dem Glaubenskrieg stehen, ist kein Thema. Eher waltet das Unglück als Schicksal, wirft den kleinen Menschen am Fuß des hohen Turmes hin und her.

Katrin Bettina Müller

wieder 13. + 20. 12. im Berliner Ensemble