Von Betenden, Berserkern, Säufern und Mondgeistern

Das Hamburger Ernst-Barlach-Haus feiert den 150. Geburtstag des dort verehrten Expressionisten – mit einer Ausstellung, die das Werk kritisch in Bezug zur Gegenwart setzt

Ein von Zweifeln an Gott, am Leben und an der Kunst Getriebener: Ernst Barlach in seinem Atelier, 1935 Foto: Archiv Ernst Barlach Haus Hamburg

Von Hajo Schiff

Das Programm einer Ausstellung: Welche Überlegungen bestimmen es? Mitunter werden Museen umgebaut und sind froh, wenn sie ihre Werke verleihen können. Manchmal wird auf ein aktuelles gesellschaftliches Thema Bezug genommen. Vor allem aber sind runde Jubiläen von Geburts- und Todestagen der Anlass. Dann wird ein historischer Künstler groß gefeiert – und bald wieder vergessen.

Diesen Januar jährte sich der Geburtstag des in Wedel bei Hamburg geborenen Expressionisten Ernst Barlach zum 150. Mal. Doch Karsten Müller, Direktor des speziell für die Verehrung des Künstlers von Hermann F. Reemtsma gestifteten Hamburger Ernst-Barlach-Hauses wollte dazu keine „Best of“- und Jubelausstellung machen. Nicht nur historische Zusammenhänge sollten angesprochen, auch die heutige Relevanz kritisch gewürdigt werden. So entstanden in Zusammenarbeit mit Studierenden des kunstgeschichtlichen Seminars von Petra Lange-Berndt an der Uni Hamburg frische Fragestellungen und neue Präsentationsformen im 1962 eröffneten Haus.

Vor allem als Holzbildhauer ist Ernst Barlach bekannt – mit zugleich expressiven und doch weitgehend blockhaften Figuren – 30 davon sind im Besitz des Museums. Fast alle der weltweit erhaltenen 85 Stücke sind nun in einem Buch dokumentiert, das zum Jubiläum erschienen ist. Und das legt erstmals besonderes Gewicht auf die Spezifik des Umgangs mit den verwendeten Holzsorten.

Holz und die Referenz auf den das Museum umgebenden Park bestimmen die Ausstellungsgestaltung. Da wachsen Ästchen aus den Sockeln der Skulpturen wie dem in dynamisch waagerechter Bewegung eingefrorenem „Rächer“ von 1922 aus Lindenholz oder es liegt Totholz vor dem eichenen Moses von 1919, der ebenso religionsaffin wie glaubenskritisch nur leere Gesetzestafeln zeigt.

Neben derartigen Verwucherungen hat der in Berlin lebende Hallenser Künstler Marten Schech (*1983) zudem den ganzen Innenhof mit seiner Inszenierung aus feingliedrigen Holzskulpturen, affirmiertem Stuhldesign und einem geradezu bühnenbildhaften Wunschbrunnen gestaltet.

Hier wird Barlach keine kunsthistorisch ewig glänzende Aura aufgesetzt

Dort ist in einem hohlen Baumstumpf auch ein Barlach’sches Steinzeug-Bowlengefäß mit Masken von 1904 verborgen und anderswo sitzt zwischen den kunstvoll verwobenen Zweigen eine im Archiv des Hauses aufgefundene Gipskatze der mit Barlach liierten Tierbildhauerin Marga Böhmer (1887–1969). In allem kann zudem ein Bezug zu Barlachs Grafik „Zauberwald“ von 1899 gesehen werden, in dem es noch jugendstilig verworren geisterhaft zugeht.

„Werden, das ist die Losung“ ist der Titel der Ausstellung, ein Zitat aus Barlachs Theaterstück „Der blaue Boll“ von 1926. Zusammen mit der im Untertitel als „Szenen“ bezeichneten Ausstellung wird so der Projekt-Charakter der Schau betont und an Barlachs zweites Talent als Dramatiker erinnert. Auch Fotos, Plakate und andere Archivalien verweisen auf seine acht Bühnenstücke, die als eigentlich unaufführbar gelten – nicht zuletzt beim Autor/Künstler selbst, der diesbezügliche Versuche grässlich fand.

Umgeräumt wurde der sonst in der Hauptachse prominent platzierte neunteilige „Fries der Lauschenden“ (1930–35). Denn da in Barlachs umfangreicher Textproduktion (auch ein Sammelwerk mit 2.200 seiner Briefe ist gerade erschienen) die Bemerkung zu finden ist, seine Figuren seien seine „Püppchen“, finden sich dort nun historische Handpuppen aus dem Lübecker Puppenmuseum. Ein Puppenspieler taucht auch in einer Illustration zum metaphysischen Endzeit-Helden-Drama „Der Findling“ von 1922 auf – der Holzschnitt wurde zum Signet der Ausstellung.

Für den spirituell suchenden Künstler, der immer wieder mit den religiösen Bildtraditionen haderte und zugleich kirchliche Monumente und mystisch jenseitig versunkene Figuren formte, wird hier in der Ausstellung auch dazu ein neuer Kontext eröffnet: Statt einer christlichen findet sich eine andere überzeitliche visionäre Verkörperung – ein Alabaster-Buddha aus Myanmar. Auch für ein Interesse in diese Richtung gibt es Belege in den Notizen Barlachs.

An anderer Stelle wird mit teils drastischen Agitationsmotiven daran erinnert, wie sehr die meisten expressionistischen Künstler (und ihre Galeristen) zu Beginn des ersten Weltkriegs national begeistert waren, auch wenn das schon bald einer kritischen Einstellung wich.

Blatt zur Illustration von Goethes „Walpurgisnacht“: Barlachs Holzschnitt „Der Harfner“ von 1923 Foto: Andreas Weiss

Später erklärte die nationalsozialistische Kunstpolitik Barlach als „entartet“ und entfernte seine Arbeiten aus den Museen und Kirchen, zuerst die eher pazifistischen Ehrenmale in Güstrow, Magdeburg, Kiel und in Hamburg an der kleinen Alster. Deren Nachgüsse und Wiederaufstellung konnte er nicht mehr erleben, er starb schon 1938 in Rostock.

Hexen und Betende, Berserker und Bettler, Säufer und Mondgeister … In der nicht chronologischen, sondern nach einzelnen „Szenen“ arrangierten Ausstellung können sich die Besucher kleine Zettel mit Zitaten aus den Dramen des eigenbrötlerischen, stets von grundlegendem Zweifel an Gott, am Leben und an der Kunst getriebenen Künstlers nehmen.

Darunter ist auch der Satz: „Aber ich bin so dreist und frage Sie, gehen Ihre Gedanken nicht zu steile Wege?“ Gute Frage – auch für diese universitär-kuratorische Setzung einer kreativen Jubiläumsausstellung. Hier wird Barlach jedenfalls keine kunsthistorisch ewig glänzende Aura aufgesetzt, sondern das Werk exemplarisch für die Gegenwart getestet. Das ganze Konzept ist ein bisschen so wie bei jener Barlach-Zeichnung, auf der der Heiligenschein Gottvaters mit einem Feuerhaken teuflisch entwendet wird.

„‚Werden, das ist die Losung!‘

Szenen zum 150. Geburtstag von Ernst Barlach“: bis 22. 3., Hamburg, Ernst-Barlach-Haus