Klimakrise und Hysterie: Im Shitstorm für den Artenschutz

Der Klimawandel ist nicht aufzuhalten. Die Fixierung auf CO2-Reduktion muss aufhören, findet US-Bestsellerautor Jonathan Franzen.

Der Autor Jonathan Franzen steht vor schwrzem Hintergrun und schaut nach oben

Der Autor Jonathan Franzen ist leidenschaftlicher Vogelbeobachter Foto: Alexander Heinl/dpa

Es ist zu spät. Die Katastrophe ist nicht mehr abwendbar. Dürren, Überschwemmungen und Waldbrände werden in immer größerer Zahl das Leben vielerorts immer unmöglicher machen. Wo normalerweise die Ausführungen von Klimaaktivist*innen und Wissenschaftler*innen aufhören, setzt Autor Jonathan Franzen in seinem gerade erschienenen Essay „Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“ an.

In dem erstmals im September 2019 in der Zeitschrift The New Yorker veröffentlichten Text betont Franzen, dass es längst nicht mehr darum geht, ob der Klimawandel katastrophale Auswirkungen auf das menschliche Leben haben wird – sondern darum, wie schnell und wie stark. Ein ungewöhnlicher Ansatz, der wachrüttelt, was bei der einlullenden Omnipräsenz der Klimakrise schon ein Verdienst an sich ist.

Anders als viele Autor*innen, die sich in den letzten Jahren dazu bemüßigt gefühlt haben, zum Klimawandel zu schreiben, hat Franzen nicht erst kürzlich angefangen, sich mit dem Thema zu befassen. Und gerade deshalb kann er Neues zur Debatte beitragen. Als leidenschaftlicher Vogelbeobachter hat ihn die Problematik der schwindenden Artenvielfalt bereits in den 1990er Jahren zum Naturschutz und damit auch zur Klimafrage gebracht.

Im Vorwort beschreibt Franzen, welche Erlebnisse sein Umweltbewusstsein geprägt haben, vor allem aber, wie er sich bald mehr mit dem Diskurs um den Klimawandel als mit der Krise selbst auseinandersetzte. In seinen Artikeln beschrieb er, wie er die Debatte wahrnahm: Sie sei einseitig, fokussiere sich zu sehr auf die CO2-Reduktion und den Klimawandel. Er forderte eine Prioritätenverschiebung: „Da dieser Diskurs mir zunehmend fruchtlos vorkam, fand ich, dass wir der Natur mehr Aufmerksamkeit schenken sollten.“ Franzen plädierte für Artenschutz und Maßnahmen zum Erhalt von Biodiversität.

Ein Erklärungsversuch

Der jetzt erschienene Essay und auch das daran angefügte Interview, das erstmals 2019 in der Welt erschien, können als Nachtrag gelesen werden. Es ist ein Erklärungsversuch in Anbetracht des Shitstorms, der Franzen wegen früherer Essays vonseiten der Klimaaktivist*innen entgegenschlug. Sie bemängelten seine Prioritätensetzung und empfanden es als Affront, dass ­Franzen schrieb, man solle sich auf das Machbare – den Naturschutz – konzentrieren, statt immer weiter über den Klimawandel zu diskutieren.

„Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“ ist deshalb eher Aufruf als Frage. Wir sollten aufhören, uns einzureden, den Klimawandel stoppen zu können. Wir sollten das kafkaeske Bemühen um CO2-Reduktionen hinterfragen. Wir sollten uns eingestehen, dass es uns nicht gelingt, den CO2-Ausstoß genügend zu reduzieren. Abgeklärt und nüchtern spielt Franzen alle möglichen Szenarien durch, um zu zeigen, dass das Erreichen des Zwei-Grad-Ziels illusorisch ist.

Leider verzichtet Franzen darauf, Zahlen und Daten zu belegen. Als Shitstorm-erfahrener Autor muss er wissen, dass belastbare Fakten der Schlüssel sind. Nicht, weil man damit Realitätsverweigerer*innen überzeugen könnte, sondern weil man denjenigen, die bereit sind zuzuhören, das Glauben und Vertrauen erleichtert. Und die Botschaft, die er vermitteln will, ist schwer zu verdauen: „Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe nicht verhindern können“, untertitelt Franzen seinen Essay.

Und arbeiten wir trotzdem weiter an einer besseren Welt, könnte man ergänzen. Denn Franzen möchte auf keinen Fall Fatalismus und Pessimismus fördern. Im Gegenteil: Er glaubt, dass eine bessere Welt trotzdem möglich ist – besser als die Dystopie, die Klimaaktivist*innen zeichnen, jedenfalls.

Und jede noch so kleine Handlung kann ein Beitrag zu dieser besseren Welt sein: „Freundlichkeit gegenüber dem Nächsten und Achtsamkeit gegenüber der Umwelt – Förderung gesunder Böden, ein vernünftiger Umgang mit Wasser, Schutz von Bienen und anderen Bestäuberinsekten – werden in einer Krise und in jeder Gesellschaft, die sie übersteht, wesentliche Bedeutung erlangen.“

Ganzheitliche Herangehensweise

Er schließt sich damit Den­ke­r*innen wie Charles Eisenstein an, der in seinem Buch „Klima“ eine ganzheitliche Herangehensweise fordert. Diese holistischen Ansätze sind der Überzeugung, dass eine eindimensionale Problemlösungsstrategie (sprich: die Reduktion von Emissionen) zu kurz greift. Selbst wenn wir gar kein CO2 mehr ausstoßen, bleibt die Erde nicht per se lebenswert. Vor allem nicht, wenn die Biodiversität unter unseren Bemühungen um alternative Energien leidet.

Jonathan Franzen: „Wann hören wir auf, uns etwas vorzu­machen?“ Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. rororo, Hamburg 2020, 64 Seiten, 8 Euro

Franzen versucht, aus dieser Argumentation ein selbstermächti­gen­des Moment zu schaffen: „Das Tun und Lassen eines Einzelnen hat zwar keinerlei Auswirkungen auf das Klima, ist deshalb aber noch lange nicht bedeutungslos“, schreibt er. Wer seiner Umwelt Liebe und Wertschätzung entgegenbringt, trägt zum Guten auf der Erde bei, lautet die Botschaft, die aus der Feder Franzens seltsamerweise weder kitschig noch esoterisch klingt.

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