Das Comeback von Mathe

Gleich drei Bremer Ausstellungen beschäftigen sich mit der lange eher unterbelichtet gebliebenen konkreten Kunst. Während die Städtische Galerie nach aktuellen Spielarten sucht, geht’s im Kubo eher historisch zu

Kein Haus, sondern nur Formen aus Acrylglas und Beton Foto: Ulrike Möhle

Von Jan-Paul Koopmann

Vom Abstrakten ist erstaunlich viel die Rede, obwohl hier kaum jemand etwas davon hören will. Die Linien und Figuren dieser Arbeiten sind präzise bestimmt und umgesetzt. Wo Farbe überhaupt eine Rolle spielt, da steht sie allein im Dienst von Kon­trast, Perspektive und Räumlichkeit. Nur ist es mit dem Abstrahieren so eine Sache, weil das eben nur von etwas geht. Und dass die Außenwelt in der Kunst nichts zu suchen habe, wird von Vertreter*innen der konkreten Kunst seit beinahe hundert Jahren mit auch orthodoxem Eifer verteidigt.

Dass sich in Bremen gleich drei Ausstellungen mit dieser bemerkenswert langlebigen Kunstrichtung herumschlagen, ist schon erstaunlich. Der opulent besetzte Zweiteiler „Bremen Konkret“ der Städtischen Galerie beschäftigt sich mit hiesigen Spielarten des Konkreten. Und in der Galerie Mitte präsentiert Kuratorin Ele Hermel die Schau „Der lange Atem der konkreten Kunst“: eine Gegenüberstellung zweier traditioneller Vertreter.

Wie konkret die Künstler­*innen der Städtischen Galerie tatsächlich arbeiten, darüber ließe sich im Einzelfall streiten. Nicht unbedingt über Edeltraut Rath, die im Foyer ein komplexes Raumbild über den Zusammenhang von Form, Farbe und Licht geschaffen hat, das sich über einen Kubus im Innenraum bis an die Außenwände erstreckt. Auch Nicholas Bodde dürfte als Konkreter durchgehen, obwohl knallharte Puristen angesichts seiner elliptischen Formen die Haare zu Berge ständen.

Interessant wird die Verorterei bei Martin Voßwinkel. Zwei Arbeiten zeigen verschiedenfarbige Balken unterschiedlicher Längen. Es sind Screenshots von Googles Vorschaubildern, die nur kurz zu sehen sind, während das eigentliche Bild noch lädt: Rechtecke im farblichen Mittelwert der kommenden Grafik. Links hatte Voßwinkel nach Bildern von Friedrich Vordemberge-Gildewart gesucht, rechts nach Agnes Martin.

Beide verraten ihre Farbpalette: blasse graugrüne Töne und etwas Lachs bei Martin, daneben sattes Rot und Blau – aus welchen Arbeiten Vordemberge-Gildewarts auch immer. Der Witz ist, dass man’s nicht weiß und ins Grübeln kommt über die mehrfache technische Übersetzung und die maschinelle Rationalisierung von Kunst. Und also doch: um Abstraktion.

Mit noch größerer zensorischer Strenge, wär’s hier nur langweiliger geworden

Die gute Nachricht ist, dass eine mit größerer zensorischer Strenge kuratierte Schau nicht nur etwas mickrig geraten wäre, sondern wohl auch deutlich langweiliger. „Wir haben Künstler und Künstlerinnen eingeladen, die sich mit konkret gut beschrieben fühlen“, sagt Kurator Ingmar Lähnemann. Und die Lockerheit zahlt sich aus, zumal gerade die weite Klammer den Blick schärft für die strenger mathematischen Positionen.

Zwei davon kommen nun im Kubo besonders zur Geltung: der 2018 verstorbene Karl-Heinz Adler sowie Horst Scheffler, der bereits im ersten Teil der Städtischen Galerie zu sehen war. In der DDR hatte Adler Raum für sein Arbeiten gesucht und ihn zumindest in der seriellen Kunst am Bau auch gefunden. Seine Einzelausstellung erlebte er jedoch erst in den 80ern, eine ihm angebotene Gastdozentur in Düsseldorf haben die DDR-Behörden untersagt. Auch Scheffler hat schwere Rückschläge erlebt: Anfang der 70er wird sein gesamtes Werk zerstört, weil es nach einer Ausstellung in Berlin mehr oder weniger unverpackt in einen Transporter geschmissen wurde. Aber sie haben weitergemacht: geduldig, präzise und mit angesichts der erzwungenen Distanz mit bemerkenswerten Parallelen.

„Der lange Atem der konkreten Kunst“ erweist sich jedenfalls als treffender Titel, nicht nur, weil Scheffler seit Jahrzehnten an der gleichen Form arbeitet, um ihre Raumwirkung zu ergründen. Ob die eher zufällig gleichzeitigen Ausstellungen für ein Revival der konkreten Kunst stehen, ist schwer zu sagen. Gut besucht war der erste Teil von „Bremen Konkret“ jedenfalls und für Scheffler, der über drei Jahrzehnte weitgehend von der Bildfläche verschwunden war, kann man durchaus von einem Comeback sprechen. Seine Erklärung: Chaotische Zeiten verlangen wenigstens in der Kunst nach Ordnung.

„Bremen Konkret II“: bis 29. 3., Städtische Galerie

„Der lange Atem der konkreten Kunst“: bis 15. 3., Galerie Mitte