Fridays for Future gegen Konzerne: Euer Haus, euer Auto, euer Boot

Der Protest gegen Siemens sorgte für Furore. Deshalb denken die Klimaschützer*innen darüber nach, verstärkt Unternehmen ins Visier zu nehmen.

Demonstrierende Schülerinnen hinter einem Transparent

Der Protest gegen Siemens könnte ein Auftakt sein für mehr Proteste gegen Konzerne Foto: dpa/Tobias Hase

HAMBURG taz | Als die Nachricht kam, hätten alle schallend gelacht. Der Siemens-Vorstand Joe Kaeser bietet Luisa Neubauer einen Posten im Aufsichtsrat von Siemens Energy an – LOL. „Es war sofort klar: Das kann sie auf keinen Fall annehmen“, sagt Jakob Blasel. Der Kieler Fridays-Sprecher hat trotzdem recherchiert, was Neubauer im Aufsichtsrat verdient hätte, nur aus Neugier, wie er sagt: 140.000 Euro jährlich Einstiegsgehalt, aber mit Extrageldern für Sitzungen und anderes wären auch 300.000 möglich.

Viel Geld für die Klimabewegung, das sie zum Glück nicht braucht. Durch Spenden sind Fridays for Future finanziell weitgehend unabhängig – „zumindest in diesem Monat“, sagt Blasel. Im nächsten Monat müssten sie wieder neu gucken. Dafür sei es fundamental, dass die Aufmerksamkeit nicht nachlasse.

Die wöchentlichen Streiks sind über die Winterwochen in vielen Städten zu klein geworden, um die Öffentlichkeit noch zu interessieren. Zu kräftezehrend sind sie, dafür, dass sie kaum reale Effekte erzielen. Deshalb hat Fridays for Future angefangen, sich über neue Strategien Gedanken zu machen – und Unternehmen in den Fokus der Kritik zu rücken.

Die Idee für die Kampagne gegen Siemens entstand Anfang Januar auf dem Nordkongress. 300 Ak­ti­vis­t*in­nen hatten sich in Hamburg zu einer Tagung mit Workshops und Plena getroffen. Auch dabei: die NGO Urgewald, die sich mit der Finanz­industrie beschäftigt – aber dazu später.

„Das mit Siemens war ziemlich kurzfristig“, sagt die FFF-Bundessprecherin Carla Reemtsma. Innerhalb einer Woche ging alles über die Bühne: eine Mailflut an den Unternehmensvorstand mit Beschwerden über die geplante Lieferung von Signaltechnik für eine Bahnstrecke zur Carmichael-Mine des Adani-Konzerns in Australien. Das Treffen zwischen Kae­ser und Neubaer mit der Hoffnung, Siemens würde den Vertrag noch kündigen. Dann die Enttäuschung und das kuriose Jobangebot. Was bleibt von der Erfahrung, ein Unternehmen zu adressieren statt die Bundesregierung?

Mehr als nur Signalanlagen

Zwar konnten die Schü­le­r*in­nen den Konzern nicht stoppen. Aber ihnen ist etwas klar geworden. „Wir haben einen Nerv getroffen“, sagt Blasel. Dass sich Kaeser überhaupt mit Neubauer getroffen habe, dass er nervös gewesen sei – das habe deutlich gemacht, dass es für Siemens um mehr gegangen sei als nur um Signalanlagen.

„Unternehmen sind in vielerlei Hinsicht bessere Adressaten als Po­li­ti­ke­r*in­nen“, sagt Reemtsma, „ihre Entscheidungen sind volatiler.“ Die wöchentlichen Schulstreiks haben auch gezeigt, wie träge die Politik reagiert – egal wie viele Menschen ein Thema bewegt. Die Ver­tre­te­r*in­nen der Parteien denken in Legislaturperioden, im Zeitplan von Ausschuss- und Kommissionssitzungen, und sie halten 2038 für ein ausreichendes Datum für den Kohleausstieg.

Un­ter­neh­mens­che­f*in­nen hingegen können sofort reagieren, potenzielle Kun­d*in­nen können sich sofort gegen sie entscheiden. Trotzdem denken vor allem familiengeführte Unternehmen langfristig, schließlich sollen ihre Unternehmen möglichst in jahrhundertelanger Familientradition an Kinder und Enkel vererbt werden. Kon­zern­che­f*in­nen sind angreifbarer, besser erreichbar und flexibler.

Das nächste Ziel

Welches Unternehmen wird Fridays for Future als nächstes adressieren? „Wir legen uns da noch nicht fest“, sagt Reemtsma. Baustellen gebe es schließlich viele. RWE will weiter Dörfer wegbaggern, Uniper das neue Kohlekraftwerk Datteln 4 ans Netz bringen, Siemens hält an Adani fest. Auch Blasel will keinen Namen nennen. Aber er sagt: „Wir haben das Vertrauen verloren, dass die Bundesregierung auch nur einen einzigen Schritt in Richtung Klimaschutz geht.“ Deshalb werde man sich andere Adres­sa­t*in­nen suchen – Klimakiller gibt es schließlich genug.

Ein ziemlich großer Klimakiller ist die Finanzindustrie. Über 92 Milliarden Euro sind laut Recherchen von Urgewald seit der Unterzeichnung des Pariser Abkommens von europäischen Banken an Firmen geflossen, die neue Kohlekraftwerke bauen. In Europa gehören dazu Energieriesen wie Uniper, Fortum aus Finnland oder PGE aus Polen. Die Deutsche Bank, Santander, Barclays und BNP Paribas investieren in die Kohle-Unternehmen, geben ihnen Kredite, beraten sie. „Alle deutschen Finanzinstitute sind in klimaschädliche Geschäfte verwickelt“, sagt die Geschäftsführerin von Urgewald, Heffa Schücking.

Die Deutsche Bank ist einer der wichtigsten Finanzierer von Uniper und RWE. Aber auch die Rolle von Versicherungen sei nicht zu unterschätzen: Damit überhaupt jemand bereit ist, in klimaschädliche Projekte zu investieren, müssen diese versichert sein. Die Allianz hat zwar ausgeschlossen, Kohlekraftwerke oder Minen direkt zu versichern. Aber Unternehmen wie RWE schließen ohnehin keine einzelnen Versicherungen für einzelne Minen ab, sondern buchen Firmenkomplettpakete inklusive Haftpflicht für Unternehmensvorstände und den gesamten Fuhrpark – damit wiederum hat die Allianz kein Problem.

Urgewald hat auf dem Nordkongress zwei Workshops zum Thema „Verstrickung von Kohle- und Finanzindustrie“ gegeben. Das Thema interessiert die Schü­le­r*in­nen. Urgewald stellt Fridays for Future ihr Wissen und ihre Daten zur Verfügung.

Es könnten die Sparkassen werden

Ein Ziel könnte sich dabei geradezu aufdrängen: die Sparkassen. Deren Investmentsparte Deka-Invest listet ebenfalls viele Fonds, die Anteile an Adani und anderen Klimakillern enthalten. Nach Angaben von Urgewald hält Deka-Invest Aktien und Anleihen in Höhe von rund 309 Millionen US-Dollar an Firmen, die neue Kohlekraftwerke bauen. Sie liegt damit hinter der Allianz und der Deutschen Bank auf Platz drei der deutschen Investoren in diesem Sektor. Für Schücking ist das eine Ungeheuerlichkeit: „In gemeinnützige Kreditinstitute gehören keine Fonds, die Konzernen wie Adani nützen.“

Das dürften viele ähnlich sehen. Offiziell will niemand bei Fridays for Future die Sparkassen zum nächsten Ziel erklären. Die Ortsgruppen entscheiden ohnehin unabhängig, wie sich ihr Protest gestalten und gegen wen er sich richten soll. Aber Sparkassen gibt es überall in Deutschland. Und fast je­de*r hat dort ein Konto.

„Ich kann nur für mich persönlich sprechen“, sagt Blasel. „Aber ich denke, für die Sparkassen wäre es an der Zeit, aufzuhören, in die Zerstörung des Planeten zu investieren.“ Ob Spar­kas­sen-Kun­d*in­nen wohl zustimmen würden, wenn man sie fragte, ob sie einverstanden sind, dass ihr Geld in die Kohleindustrie fließt? Er glaubt es nicht.

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