Pessimismus statt Propaganda

Carl Heinrich Grauns Kriegspropaganda-Barockoper „Montezuma“ ging als Gag zu Jubiläen rund um Friedrich II. gerade noch durch. Aber kann man das Werk noch ins Musiktheater-Repertoire aufnehmen? Das Theater Lübeck hat es gewagt – und aus dem Stoff eine Oper der pessimistischen Aufklärung gemacht

Prima Bühne: Die Azteken-Darsteller können sich verstecken, die Spanier immer wieder plötzlich auftauchen Foto: Jochen Quast

Von Jens Fischer

Die Oper als Medium der Propaganda missbrauchen und ein solches Werk anno 2020 noch einmal ausgraben und ins Musiktheater-Repertoire aufnehmen – geht das? Das Theater Lübeck wagt es mit „Montezuma“, uraufgeführt am 6. Januar 1755 an der Königlichen Hofoper zu Berlin – zur Vorbereitung eines Kriegs um Europa, der sieben Jahre dauern und sich weltweit ausbreiten sollte.

Dahinter steckte der sich ach so humanistisch aufgeklärt gebende Friedrich II. von Preußen. Er schmückte zwar seinen Hofstaat mit der Anwesenheit des philosophischen Freidenkers Voltaire, hörte, spielte und komponierte Musik, war belesener Feingeist, aber eben auch Staatschef mit rabiaten Herrschergelüsten, der seine Armee martialisch aufrüstete und sich siegreich als Sprössling der Hohenzollern-Dynastie im ewigen Widerstreit mit den Habsburgern in Wien sowie ihrer aufrüstenden Allianz mit Russland, Frankreich und Sachsen behaupten wollte. Wichtig dafür: Es galt die am 29. August 1756 gestartete Eroberung Sachsens, ein Angriffskrieg, als prophylaktischen Verteidigungskrieg darzustellen. Damit Volk, Soldaten und Geschichtsschreiber jubelnd darauf einsteigen.

Genau dafür war „Montezuma“ ein vorbereitender PR-Coup. Friedrich selbst hatte das Libretto verfasst, sein Hofkomponist Carl Heinrich Graun die Musik dazu notiert. Der Genozid an den Azteken ist als Sujet gut gewählt. Kam Hernán Cortés doch im Auftrag der spanischen Habsburger als Schlächter nach Mexiko und widersprach dem protestantischen Friedrichsgeist zudem als eifernder Katholik, ist also der ultimative Bösewicht der Oper und gekennzeichnet durch Streben nach Prestige, Gier nach Gold und den Wahn, „Heidentum“ zu christianisieren.

Cortés gegenüber gewinnt König Montezuma an Profil. Friedrich charakterisiert ihn als gütig, friedliebend, liberal, volksnah, rechtschaffen und zeigt die indigene Kultur als deutlich höher entwickelt als die der barbarischen Kolonisatoren. Etwas kitschig, aber durchaus auch modern.

Den Spaniern zu trotzen, dafür fehlte den Azteken die militärische Infrastruktur. Wenn die Opernbesucher im edelmütigen Montezuma nun ihren Alten Fritz erkennen, können sie den Untergang der mittelamerikanischen Hochkultur auch als Warnung vor dem Untergang Preußens verstehen. Also bitte nicht gutgläubig den Feind agieren lassen und „die süße Frucht des Friedens genießen“, sondern außenpolitisch aggressiv sein und wehrhaft den Präventivschlag wagen. So sprach Friedrichs machiavellistischer Geist.

PR für den Krieg

Eine so argumentierende Oper als Gag zu Friedrich-Jubiläen aufzuführen, ging bisher gerade noch durch, sie auf die Cortés-Geschichte zu reduzieren und als anti-imperialistische Kampfansage von Festival zu Festival touren zu lassen, ist politisch so nachvollziehbar wie künstlerisch naiv und war beim „Theater der Welt“ 2010 in Nordrhein-Westfalen zu erleben. Jetzt versucht es Lübeck mit einer kommentierten Aufführung.

Die Bühne von Anne Neuser: ein Strandszenario mit Schilf, in dem sich die Azteken-Darsteller prima verstecken und aus dem die Spanier immer wieder habgierig auftauchen können. Für Friedrich (Magdalene Artelt) ist das Gestrüpp auch Rückzugsort, um seine Oper anzuschauen, die er mit seinem Hofstaat auch zu inszenieren scheint, oder mit Flötenkunststückchen aufzulockern. Ein Bürgerchor entsteigt dem Röhricht und intoniert Friedrichs Hit in Sachen Sprücheklopfen: „Ich will der erste Diener meines Staates sein.“

Wie der Monarch dieses Statement mit Leben erfüllte und warum er wurde, was war, verdeutlicht Kerkhof mit Szenen aus Heiner Müllers Text „Leben Gundlings Friedrich von Preußen – Lessings Schlaf Traum Schrei“. Einem Kinderdarsteller Friedrichs werden die Ohren lang gezogen, der autoritäre Vater zwängt den Büchernarren in höfische Verhaltenskorsetts und blöd männliche Attitüden, zerbricht seine Flöte und nötigt ihn, den Hofnarren Gundling zu bepinkeln und dabei zuzuschauen, wie sein Freund Katte hingerichtet wird.

Nachvollziehbar erscheint so Friedrichs erzieherische Zurichtung vom zarten, begabten, sensiblen, menschenliebenden Jungen zum verbitterten, kriegsführenden Realpolitiker. Beschenkt mit Macht setzt er auf Gewalt statt auf humane Vernunft. Wie das idealisierte Bild seiner selbst stellt er auf der Bühne daher Montezuma (Julie-Marie Sundal) vor. Aufopferungswilliger erster Diener seines Azteken-Volkes soll dieser König sein. Schon stürmen die Konquistadoren herein. Klare Ansage: „Wer mit uns kämpft – unterliegt.“

Sie führen sich auf wie Herrenmenschen, untersuchen Gebiss, Haare, Körper der Azteken, als wären es Tiere, für die sie die „Wilden“ ja auch hielten. Die wiederum zeigen sich gastfreundlich, bevor sie abgeschlachtet werden. Montezumas Braut beeindruckt als Warnerin, Widerstandskämpferin und endete wahnhaft rachsüchtig, gesanglich herausragend interpretiert von Evmorfia Metaxaki, ihren kraftvoll gefärbten Sopran führt sie mit eleganter Leichtigkeit.

Sie führen sich auf wie Herrenmenschen, untersuchen Gebiss, Haare, Körper der Azteken, als wären es Tiere

Mit den „Grundling“-Einschüben lädt Friedrich zum Mitleiden ein. Die Staatsgeschäfte ließen seine Humanität und Kunstliebe leiden, sagt er resigniert, springt aus seiner Zuschauerposition, als Montezuma sich zu wehren und Cortés zu ermorden gedenkt: „Falsch!“, zischelt Müllers Friedrich, Gewalt werde nur noch mehr Gegengewalt erzeugen. Zugleich funktioniert Müllers Text auch als Kritik am Preußen-Geist der Oper, wunderbar lässt sich zudem Friedrichs Militarismus mit dem Kolonialismus des Herrn Cortés in der Weltsicht des Autors spiegeln. Was für schön böse Worte legt er doch dem verhöhnten Intellektuellen Gundling in den Mund: „Der Mensch ist ein Zufall, eine bösartige Wucherung und was wir Leben nennen, meine Herren Majestäten, ist so etwas wie die Masern, eine Kinderkrankheit des Universums, dessen wahre Existenz der Tod, das Nichts, die Leere. Vorwärts, Preußen!“

Blutarme Tonmalerei

Das gegenseitige Kommentieren von Schauspiel und Oper funktioniert bestens. Und die Musik? Es gibt künstlerisch ja sehr reizvolle Barockopern. Diese ist keine. Angenehm zwar Grauns Verzicht auf affektorientierte Spielereien der Barockkollegen, aber in schmuckloser Gleichförmigkeit huldigt der Komponist nur galant blutarm Klangkonventionen und setzt auf beflissen virtuose, nicht enden wollende Arien.

Das – mangels Kastraten – rein weibliche Ensemble in allesamt preußisch-blauen Kostümen singt immer mal kurz ein, zwei Verse, die sie dann endlos wiederholen müssen, sodass auch die Übertitelung immer wieder gelangweilt abbricht. Das von Takahiro Nagasaki geleitete Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck bietet die Partitur als fahle Tonmalerei dar.

Die Schauspieler und Sänger machen aus der Propaganda-Oper derweil ein Werk der pessimistischen Aufklärung. Hinreißend klug.

Oper „Montezuma“: Fr, 21. 2., 19.30 Uhr, Theater Lübeck/Großes Haus; weitere Aufführungen: Do, 12. 3., Fr, 20. 3.