Gerade noch Gemälde

Streckenweise eine Überforderung: Die Ausstellung „Jetzt!“ präsentiert in den Deichtorhallen einen Querschnitt durch „junge Malerei“ aus Deutschland

Queere Abstraktion milchiger Uneindeutigkeit: Vivian Greven hat eine ganz eigene Ästhetik entwickelt. Hier: „Leea“ von 2017 Foto: Vivian Greven

Von Falk Schreiber

Grob zusammengeleimt wirkt der Keilrahmen, die Leinwand hängt in ihrer Verankerung, Wellen und Blasen bilden sich auf der schwarz glänzenden Fläche. Im besten Zustand befindet sich das Tafelbild nicht. Franziska Reinbothes „Schwarz, in legerer Haltung“ (2014) ist zweifellos ein Gemälde, aber es ist ein Gemälde, dessen Struktur sich aufzulösen beginnt, im Wortsinn. Und steht damit exemplarisch für die Ausstellung „Jetzt! Junge Malerei in Deutschland!“, mit der die Deichtorhallen die Konvention der Malerei einerseits bedienen, andererseits dekonstruieren.

Hamburg ist nach Bonn, Wiesbaden und Chemnitz die vierte Station der Ausstellung; entsprechend hat die stolze Einführung durch Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow ein wenig den Charakter eines Schmückens mit fremden Federn. Vergangenen Herbst war die Zusammenstellung aus 500 Arbeiten vergangenen Herbst noch zwischen Sachsen, Hessen und NRW aufgeteilt, in den Deichtorhallen bekommt man jetzt einen neuen Mix von 150 Werken zu sehen, in der weitläufigen Tageslichthalle, die eine luftige Hängung ermöglicht – Best of „Jetzt!“, quasi. Zumindest die Präsentation ist also tatsächlich neu.

Im Übrigen gibt es durchaus mehrere Verbindungslinien in die Hansestadt: Einerseits, weil am Haus zuletzt mit Georg Baselitz, Gerhard Richter, Sigmar Polke und Anselm Kiefer vier kanonisierte Malerfürsten mit altmeisterlicher Geste präsentiert wurden; „Jetzt!“ ist ein Stück weit eine Antwort auf die damaligen Vorwürfe, zu alt, zu weiß, zu männlich und zu heterosexistisch kuratiert zu haben. Auf der anderen Seite ist Hamburg neben Köln/Düsseldorf, Frankfurt, Leipzig und Berlin heute einer der zentralen Orte für Malereiproduktion in Deutschland; immerhin eine Handvoll der beteiligten Künstler*innen lebt und arbeitet in der Hansestadt.

Zu tun hat das natürlich mit den Standorten der großen Kunsthochschulen – wer 1978 oder später geboren ist, bei dem ist die Chance hoch, noch in Ausbildungsnähe und entsprechend in einer dieser fünf Regionen zu arbeiten. Und ebenfalls ist wahrscheinlich, dass in diesem Alter die künstlerische Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist: Viele der gezeigten Positionen sind suchend, teilweise noch nahe an Vorbildern.

Der expressiven, farbgewaltigen Malerei von Andreas Breu­ning sieht man an, dass der 1983 Geborene bei Albert Oehlen in Düsseldorf studiert hat, in die kalten, bedrohlichen Crash-Test-Dummys von Sebastian Gögel ist der Einfluss von Sighard Gille in Leipzig eingeschrieben. Wer weiß, dass Sumi Kim bei Daniele Buetti in Münster studiert hat, findet ihn in ihren sensiblen Linien und im Verschwinden begriffenen Farbflächen wieder. Das sollte man nicht als epigonal missverstehen – das sind künstlerische Charaktere, die sich noch nicht ganz sicher sind, in welche Richtung sie sich endgültig bewegen. Nicht unsympathisch.

Es macht „Jetzt!“ allerdings streckenweise zur Überforderung. Weil die Ausstellung im Grunde den Anspruch eines Generationenporträts hat, versucht sie, jeden Aspekt einer Generation abzudecken: ineinander verschobene, surreale Landschaften bei Hannes Michanek, Techno-inspirierte, abstrakte Farbzeichen bei Benjamin Ditt­rich, ultranaturalistische Albträume bei Lydia Balke, insgesamt rund 150 Werke von über 50 Künstler*innen, im Rahmen der Gattung so heterogen wie es nur geht. Heißt: Spätestens nach dem dritten Raum schwirrt einem der Kopf.

Zumal man als Gemeinsamkeit aller Beteiligten festhalten kann: Es scheint einen Trend zum großen Format zu geben. Was der Zusammenstellung nicht unbedingt gut tut. Moritz Neuhoffs plastisch anmutende Fleckenbilder erschlagen nicht nur den Betrachter, sie sorgen auch dafür, dass stille Arbeiten wie Vivian Grevens so intime wie kühle Studien daneben abfallen. Dabei ist Greven eine der spannendsten Positionen im Feld: Die 1985 in Bonn geborene und in Düsseldorf bei Siegfried Anzinger ausgebildete Künstlerin hat ihre ganz eigene Ästhetik entwickelt, die die Darstellungen von körperlicher Intimität, Verschmelzung und Transgression in eine queere Abstraktion milchiger Uneindeutigkeit verschiebt.

22 der über 50 an „Jetzt!“ beteiligten Künstler*innen stellen unterm Titel „Heute ist morgen vorbei“ bereits seit vergangenem Samstag auch in Ralf Krügers Galerie „Feinkunst Krüger“ aus.

In der Vergangenheit waren viele von ihnen bereits in Ausstellungen bei „Feinkunst Krüger“ zu sehen.

Kaufen kann man die Bilder dort auch: zum Abschluss der Ausstellung am 29. Februar.

Häufig deuten die gezeigten Arbeiten dabei eine Konvention an, die dann doch gar nicht erfüllt wird: Die meisten Beteiligten erfüllen das Format des Tafelbildes, unterlaufen es allerdings gleich wieder. Daniel Schubert etwa, der in seinen titellosen Arbeiten die Leinwand durchscheinend macht, bis man die hölzernen Keilrahmen erkennt. Oder Paul Czerlitzki, dessen „Delay“ (2019) eine monochrome, schwarze Fläche darstellt, die freilich keine einfache Kopie von Kasimir Malewitschs „Schwarzem Quadrat“ ist, sondern auf zwei ebenso schwarzen Plastikstühlen ruht und so mehr Skulptur als Gemälde ist.

In einem Kabinett am Hallenrand sind vier Künstlerinnen versammelt, die nicht zu „Jetzt!“ zählen, sondern unter dem Titel „Quadro“ eine Art Ausstellung in der Ausstellung darstellen – und eine Art Kontrapunkt zur vorangegangenen „Baselitz, Richter, Polke, Kiefer“-Ausstellung, zusammengefasst: Malerfürstinnen, jung, weiblich, deutsch.

Als Präsentation ist „Quadro“ aber nicht uninteressant, weil sie die Künstlerinnen in ihrer Heterogenität präsentiert: den verhältnismäßig zugänglichen Neosurrealismus bei Heck, den expressiven Strich von Heinze, das körperliche Unbehagen, das Links „Badass Nails“ (2018) auslöst. Und die ganz große Geste, an die Brätsch sich traut, mit dem riesigen Wandgemälde „Towards an Alphabet (Dino Runes“ (2018), ergänzt durch einzelne skulpturale Arbeiten: Kunst, die was will. Und Kunst, die dieses Wollen auch nachdrücklich einfordert.

Im Grunde sagt auch „Quadro“ nichts anderes als: Hier arbeiten Künstlerinnen an einer eigenen Vision, und jede kommt dabei zu ganz unterschiedlichen Antworten. Das ist auch das Fazit, das man aus „Jetzt!“ ziehen kann, und vielleicht ist die kleine Viererpräsentation dabei die interessantere Ausstellung. Weil „Jetzt!“ eine riesige Anzahl an Positionen auffährt, die sich gegenseitig ein Stück weit im Weg stehen, während „Quadro“ konzentriert bleibt. Und so die Unterschiede der jüngeren Künstlerinnengeneration vielleicht ein wenig klarer herausarbeitet.

Ausstellung „Jetzt! Junge Malerei aus Deutschland“: bis 17. 5., Deichtorhallen/Halle für aktuelle Kunst