Album „No Future Days“ der Band Messer: Scharfes Grooven ohne Zwang

Die krautige Band Messer arbeitet weiter am Abrissprojekt des deutschen Punk. „No Future Days“ heißt ihr neues Album, es steckt voller Verweise​.

Die vier Musiker der Band Messer stehen dicht nebeneinander.

Messer ist ein Kollektiv statt bloßer One-Man-Show Foto: Moritz Hagedorn

Schon Franz Kafka wusste: „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns.“ Während also über die verschiedenen Bildschirme unserer heutigen Zeit pausenlos neue Meldungen aufpoppen, die von beängstigenden Prognosen und Horrorszenarien sprechen, pünktlich zum Corona-Virus der verheerenden Auswirkungen der Spanischen Grippe im letzten Jahrhundert gedacht wird und die AFD scheinbar unausweichlich die NSDAP beerben wird, erinnert man sich unsanft an das Zwei-Wort-Manifest des Punks, „No Future“, das anscheinend 40 Jahre später mehr denn je an Bedeutung gewonnen hat.

Womöglich hat die Band Messer ihr neues und mittlerweile viertes Album deshalb schlicht „No Future Days“ genannt. Dann wiederum entsinnt man sich, dass die Musiker aus Münster, Hamburg und Berlin seit Bandgründung 2010 stets in einer Nachfolgerschaft zur legendären Krautrock-Band CAN standen. 1973 hieß es bei den Kölnern noch „Future Days“, doch Zeiten (und Hoffnungen) ändern sich.

Vergeblich wird man versuchen, die Band über ihre Referenzen zu dechiffrieren; Messer haben es geschafft, trotz realistischer Dichtung vergleichsweise weit entfernt von „Schlüsselwerken“ zu sein. Das liegt einerseits an der Kompositionstechnik von Hendrik Otremba, dem Sänger und Textmeister der Band: Hochverdichtete Poesie, häufig dem Klang genauso verpflichtet wie der Bedeutung von Worten und Sätzen, ist sein Ding.

Das beweist Otremba derweil nicht mehr bloß als Sänger, sondern auch als Schriftsteller, dessen Werke „Über uns der Schaum“ und „Kachelbads Erbe“ viel gelobt worden sind. Darüber hinaus präsentiert er sich ebenso als Bildender Künstler, der mit Gouache, Tusche, Aquarell und Acryl expressionistische Gesichter und berührende Landschaften zu zaubern weiß.

Messer: „No Future Days“ (Trocadero/Indigo)

Tour: 13.3. Köln „Gebäude 9“, 14.3. Münster „Gleis 22“, 20.3. Hannover „Glocksee“, 21.3. Wuppertal „Börse“

Obschon das strahlende Multichecker-Image Otrembas dazu verlockt, ihn als Zentrum der vierköpfigen Gruppe zu betrachten, handelt es sich bei Messer eher um ein Kollektiv denn um eine One-Man-Show. Bassist Pogo McCartney ist der Soundtüftler – der sich diesmal gänzlich für die Aufnahme verantwortlich zeichnet –, wohingegen Drummer Philipp Wulf mit seinem tighten Spiel und dem fast enzyklopädischen Wissen verschiedenster Musikszenen der letzten 50 Jahre den Motor antreibt.

Krautiger Post-Punk

Allesamt sind sie Gründungsmitglieder; Milek, der Gitarrist, kam erst vor vier Jahren dazu. Seine verstärkte Einflussnahme meint man auf „No Future Days“ gleichsam zu hören. Ausgenommen des letzten Albums „Jalousie“, das sich bis an die Grenze zur Kunstmusik und damit in die Nähe von Kurt Weill und Lotte Lenya begab, steht Messer seit jeher für einen krautigen Post-Punk, dessen Beeinflussung durch A Certain Ratio genauso offensichtlich ist wie durch vorgenannte CAN.

Doch schon der Auftaktsong „Das verrückte Haus“ würdigt neue Idole: Die britische Punkband Wire etwa, die Ende der Siebziger mit stolzgeschwellter Brust sich Richtung New Wave entwickelten. Oder auch Gang of Four, deren (kürzlich verstorbener) Gitarrist Andy Gill ähnlich metallisch-scharf die Off-Beat-Chords setzte und eine bis dato unbekannte Dringlichkeit in die junge Post-Punk-Szene brachte.

Oder eben The Clash. Deren Abkehr vom „echten Punk“, hin zu Americana und den Reggae- und Soca-gefärbten Tönen des Notting Hill Carnivals, also der afrokaribischen Community in der englischen Hauptstadt, damals von den Punks ausgebuht wurde.

Wenn man die ersten dubbigen Gitarrenanschläge von „Der Mieter“ hört, meint man ein sanftes Lachen zu vernehmen, das voll höhnischer Verachtung steckt: Liebe Punks, eure Szene-Dünkelei hatte wirklich „keine Zukunft“! Frei jeglicher Zwänge grooven Messer hier im unbekannten Maße, womöglich kann man erstmalig die Tanzschuhe schnüren; immerhin erklingt in der Bridge gar eine Cowbell.

Wer die Gruppe kennt, weiß, dass all diese Verbindungen und Verweise mit sicherer Hand angelegt sind und nicht etwa per Zufall ihren Weg in die neun Songs von „No Future Days“ gefunden haben. So oder so: Messer bleiben das Abrissprojekt des (deutschen) Punks.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.