Künstlicher Atem eines Aliens über der Eiswüste

Viera Čákanyovás Dokumentation „Frem“ wirft einen subjektiven Blick auf die Antarktis (Forum)

Menschen gibt es selten zu sehen, sie verhalten sich wie die Pinguine: „Frem“ Foto: Hypermarket Film

Von Michael Meyns

Wie würde ein außerirdisches Wesen auf die Welt blicken? Was würde sie sehen? Welche Schlüsse ziehen? Am Anfang von Viera Čákanyovás essayistischer Dokumentation „Frem“, die im Forum der Berlinale gezeigt wird, stehen analoge Aufnahmen, die wie aus einer weit zurückliegenden Zeit wirken. Danach wird es digital, steigt das Kameraauge in die Luft und betrachtet die Welt von oben. Zumindest einen kleinen Ausschnitt: King George Island vor der Antarktis. Einer der unwirtlichsten Orte der Welt, an dem die Spuren des Klimawandels schon zu erahnen sind.

Die Gletscher gehen auch hier zurück, die Rückzugsräume für Robben oder Pinguine werden schmaler. Doch die atemberaubende Schönheit der eisigen Flächen, der schneebedeckten, schroffen Berge macht die Antarktis immer noch zu einer einzigartigen Landschaft, die praktisch völlig frei von menschlichem Einfluss ist.

Über 40 Minuten dauert es nach dem Prolog, bis in „Frem“ wieder ein Mensch auftaucht, der sich höchst sonderbar verhält. Es ist ein Bewohner der polnischen Arctowski-Station, eines der wenigen Außenposten in der Eiswüste, nicht mehr als ein mit starken Kabeln gesicherter Container einige Meter vom Wasser entfernt. Neugierig beobachtet die Kamera den Menschen, der aus dem Container tritt, zum Wasser geht und ein Bad nimmt.

Und sich damit kaum anders verhält als der Pinguin oder die Robbe, die das Auge der Kamera vorher ins Visier genommen hat. Schwerelos bewegt sich dieses Kameraauge, blickt in rasanter Bewegung nach rechts oder links, fliegt über Landschaften, bleibt stehen, mustert, zieht sich zurück. Atemberaubende Aufnahmen gelingen Čákanyová und ihrem Kameramann Tomáš Klein. Einmal nähert sich etwa das filmende Auge einer Robbe, die auf dem Eis liegt, kommt ganz vorsichtig immer näher, setzt sich quasi neben das Tier, das etwas irritiert in die Linse blickt. Manchmal scheint der Blick dieses außerirdischen Wesens, dieser artifiziellen Intelligenz auch zu haken, wird das Bild pixelig, irritieren Bildfehler und digitale Artefakte. Nicht menschlich wirkt das, aber auf seltsame Weise organisch.

In den letzten Jahren ist es gang und gäbe geworden, per Drohnenkamera gefilmte Aufnahmen in Spielfilme und Dokumentationen einzubauen, doch wie Viera Čákanyová die Technik einsetzt, ist spektakulär.

Anfangs wirken die Blicke der Kamera noch wie normale, weitschweifende Dokumentaraufnahmen, doch bald wird die Subjektivität dieses Blicks deutlich. Durch die suchende Art der Bilder, aber auch durch das markante Sounddesign, das einen Teppich aus technischen Geräuschen, aus Surren und Brummen und einer Art künstlichem Atem über die Bilder legt.

Wer oder was hinter diesem Blick steckt, bleibt offen, ob hier ein Besucher aus einer fernen Galaxie zum ersten Mal die Erde und ihre Bewohner entdeckt, sich über Umweltzerstörung oder Klimawandel wundert: Čákanyová stellt mit ihrem Essayfilm viel mehr Fragen, als sie beantwortet. Ihr offener, neugieriger Blick erinnert an Michael Snows legendären Experimentalfilm „La Région Centrale“ für den der kanadische Regisseur eine Apparatur baute, an deren Spitze eine Kamera sich frei in alle Richtungen bewegen konnte. Im Laufe eines Tages filmte die Kamera nach vorher programmierten Bewegungen und lieferte damit ein gleichzeitig artifizielles und doch lebendiges Bild einer desolaten Landschaft.

Viera Čákanyová hat diesen Ansatz nun in gewisser Weise in die digitale Ära überführt und einen enigmatischen Film gedreht. Wenn sich da am Ende eine Art Wurmloch öffnet und den Blick in die Weiten des Universums öffnet, wirkt das nur konsequent.

29. 2., 11 Uhr, Zoo Palast