500. Todestag von Raffael: Auftritt der Himmelsköniginnen

Diese Jahr ist Raffael-Jahr. 1520 starb der Renaissancekünstler mit nur 37 Jahren. Ausgerechnet an seinem Geburtstag.

Besucher vor den Madonnen Raffaels in der Gemäldegalerie Berlin Foto: Britta Pedersen/picture alliance/dpa

Sie hat den glamourösesten Auftritt: Vor himbeerfarbenem Grund leuchtet ihr Gesicht von innen heraus, magisch ihre Aura. Raffaels „Madonna mit Nelken“ (1506/7) ist der Stargast aus London beim Auftritt der Himmelsköniginnen in der Berliner Gemäldegalerie. Im dortigen Kabinett sind die heiligen Damen bereits seit Dezember die Botinnen für das diesjährige Jubiläum zum 500. Todesjahr des Renaissancekünstlers.

Dessen Forschung übrigens kämpft heute noch mit offenen Fragen – um Zuschreibungen, Werkstattarbeit und biografische Fakten. Sein früher Tod mit nur 37 Jahren – noch dazu an seinem Geburtstag, dem 6. April, der 1520 auf Karfreitag fiel – förderte die Verklärung als „göttlicher“ Maler, zumal der Vielfachbegabte eine rasante Karriere hingelegt hatte.

Um seinen Tod ranken sich Legenden. Starb der Frauenheld an den Folgen einer Geschlechtskrankheit – oder hat er sich in seinem turbulenten Liebesleben schlicht übernommen, wie sein früher Biograf Giorgio Vasari meint? Der Kunsthistoriker und Renaissance-Spezialist Ulrich Pfisterer versucht in seinem umfangreichen Buch „Raffael. Glaube, Liebe. Ruhm“ (C. H. Beck Verlag, München 2019, 384 Seiten, 58 Euro) Licht ins Dunkel dieser Vita zu bringen und den Raffael-Kult zu beleuchten.

Vielerorts gibt es in diesem Jahr Ausstellungen zu seinem Werk. Der imposante Blockbuster in Rom wurde aus bekannten Gründen abgesagt. In Rom feierte der Renaissancemeister seine Triumphe, nicht nur als Maler, sondern auch als Baumeister im Vatikan und als Antiken-Spezialist im Kirchenstaat. Urbino, seine Geburtsstadt, zeigte die Anfänge seiner Entwicklung, dort übernahm er nach dem frühen Tod seines Vaters, Hofmaler und Dichter Giovanni Santi (1435–1494), die Werkstatt.

„Die Madonnen“, bis 26. April in der Gemäldegalerie. „Raffaels Zeichnungen“ bis 1. Juni im Kupferstichkabinett. Katalog 9 Euro

Berlin setzt auf die kleine Lösung

London will im Herbst mit prominenten Leihgaben seinen Werdegang nachzeichnen. Berlin setzt mit „Raffael in Berlin“ auf die kleine Lösung, konzentriert sich auf den eigenen Bestand mit fünf Madonnen und der Nelken-Lady aus der National Gallery. Im Kupferstichkabinett am Kulturforum gibt es, ebenso aus dem Fundus, wunderbar leichthändige, dynamische Zeichnungen zu sehen, die verdeutlichen, wie exakt Raffael in der Vorbereitung seiner Gemälde war – und welche Techniken er von seinem Lehrer Perugino weiterführte.

Und ja, wie modern er war, auf neue Medien und Weiterentwicklung setzte. Die lukrative Druckgrafik diente ihm zur schnellen Vermarktung und Verbreitung seiner Motive. Das Instagram des 15. Jahrhunderts. Kurios ist, er selbst nahm nie einen Stichel in die Hand, sondern ging Allianzen ein mit professionellen Kupferstechern wie Marcantonio Raimondi. Wie genau die Geschäftsbedingung zwischen den beiden liefern, auch damit beschäftigt sich die Kunstwissenschaft.

Doch warum hat man diese beiden Sammlungen nicht einfach zusammengeführt? Andere Perspektive, anderes Format, so sieht es Dagmar Korbacher, ­Leiterin des Kupferstichkabinetts. Für Kunsthistoriker*innen macht es wahrscheinlich Sinn, für Be­­su­­che­r*innen nicht unbedingt.

Sobald man sich mit diesen zwei separaten Präsentationen abgefunden hat, sieht man durchaus den Vorteil; dieser liegt in der Möglichkeit der Vertiefung. Beide Sonderschauen werfen einen überaus interessanten Blick auf die wechselhafte Sammlungsgeschichte und Museumspolitik der Zeit. Und es geht darum, wie die Preußen den fleißigen und ehrgeizigen jungen Italiener mit seiner Ästhetik der Schönheit für ihre klassischen (Bildungs-)Ideale vereinnahmten.

Eigentlich ist die Nelkenmadonna eine Berlinerin

Daher ist die ­Nelkenmadonna, von den Briten gerne „The Pinks“ genannt, eigentlich eine Berlinerin. Das Andachtsbild, kleiner als erwartet, es sollte beim Beten gut handhabbar sein, war einst für den Ankauf avisiert. Ein preußischer Gesandter hatte es 1827 in einer Sammlung in Rom entdeckt, dem König ans Herz gelegt. Der Deal scheiterte an 1.500 Talern.

Der Duke of Northumberland war finanzfreudiger, am Ende ging das Gemälde nach Großbritannien. Lange Jahre galt es als Kopie, bis es 1991 als Original rehabilitiert wurde, die National Gallery in London erwarb es 2004 für 22 Millionen Pfund. Dass es nun erstmals nach Deutschland reiste, zeigt die Verbundenheit der Berliner und Londoner Museen über das Brexit-Desaster hinaus.

Bei der Gründung des Königlichen Museums (heute Altes Museum) 1830 war der „junge Raffael“ heißbegehrt. Die ersten Madonna-Gemälde wurden bereits in den 1820er Jahren angekauft, um bei der Eröffnung topaktuell zu sein. Raffaels Werke seien „würdige Nahrung und Gelegenheit zu immer feinerer Ausbildung“, so formulierte es Karl Friedrich Schinkel 1828 im Museumsmanifest „Die Aufgaben der Berliner Galerie“.

Vom Schönheitsideal der Hochrenaissance und der damit verbundenen Geschmacksbildung wollte man an der Spree profitieren. Man muss sich einmal vorstellen, wie zahlreiche Berliner Gesandte und Botschafter in Europa unterwegs waren, um die besten Raffaels zu ergattern. 1854 kostete das heutige Berliner Hauptwerk, die „Madonna Terranuova“, sagenhafte 37.500 Taler. Der teuerste Ankauf in der Amtszeit des damaligen Direktors Gustav Friedrich Waagen. Der König musste vorschießen.

20 Madonnen malte Raffael zwischen 1500 und 1508

Immerhin 20 Madonnenbilder malte Raffael zwischen 1500 und 1508: variantenreich in Größe, Komposition und Format. Darunter kleine Tafeln wie die „Nelken-Madonna“ ebenso wie Tondi („Terranuova“). Er löst die anfängliche ikonenhafte Strenge in den Gesichtern und der Haltung auf, mindert ihre Distanz zum Betrachter, Kind und Mutter werden lebendig, mit menschlichen Zügen versehen. Die „Sixtinische Madonna“ präsentiert kecke, pausbäckige Kerlchen als Engel, die den unteren Bildrand zieren. Mehr Kitsch als Kunst.

In den acht Jahren stellte er mindestens noch einmal die gleiche Anzahl an anderen Werken fertig, darunter riesige Altarensembles. Für eine Madonna brauchte er ein bis zwei Monate, errechnete Pfisterer. Durchaus eine gängige Praxis für die damalige Malereiwerkstatt, die Nachfrage nach Devotionsbildern war groß. Dabei war Raffael für seine Zeit äußerst markenbewusst.

Er wollte Unikate schaffen: für jeden Kunde (s)eine exklusive Madonna. Natürlich kombinierte er dabei die Bildtypen untereinander: unterschiedliche Kopfhaltungen und Ausstrahlungen, mal hält das Christuskind einen Vogel in der Hand, mal die Muttergottes ein Buch. Den Hintergrund bilden Landschaftspanoramen mit Wasser und Architekturen.

Raffaels Madonnen schlagen einen Bogen zur Historie der Berliner Sammlungen, die durch Umzüge und Ortswechsel geprägt ist. Königliches Museum, danach Kaiser-Friedrich-Museum, dem heutigen Bodemuseum, der Zweite Weltkrieg und die Teilung der Stadt trugen zur Zerrissenheit des Bestandes bei.

Seit 1998 halten die heiligen Damen in der Gemäldegalerie am Kulturforum Hof und können von Publikumsströmen, wie sie die „Sixtinische Madonna“ in der Altmeister-Sammlung in Dresden verzeichnet, nur träumen. Dass sie nicht zu den Meisterwerken zählen, sei durch die vielen Stationen bedingt, meint Raffael-Expertin Alexandra Enzensberger. Der Ausstellungsort sei stets mit der Rezeption verbunden. Die Mona Lisa ist aus dem Louvre nicht mehr wegzudenken. Doch Berlin ist halt nicht Paris.

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