Corona im Globalen Süden: Bei uns ist der Lockdown Luxus

Der Stillstand der Wirtschaft ist für die Menschen in armen Staaten eine Katastrophe. Sie sind existenziell bedroht.

Ein ugandischer Soldat übergibt einer Frau Nahrungsmitel

Die Coronakrise trifft den globalen Süden besonders hart, hier in Uganda verteilt das Militär Essen Foto: Hajarah Nalwada/dpa

In manchen Gegenden Deutschlands herrscht eine Art Ausgangssperre. Die häusliche Gewalt steigt an. Das Gesundheitssystem ist am Anschlag. Einige Firmen und Restaurants werden trotz Staatshilfe pleitegehen. Doch im globalen Maßstab sind das derzeit Luxusprobleme. Niemand weiß, wie viele Corona-Fälle es zwischen Guayaquil und Mumbai gibt. Die offiziellen Zahlen sind kaum brauchbar. Doch klar ist: Auch ohne massenhafte Infektionen sind die Folgen massiv.

Die teils rabiat durchgesetzten Ausgangssperren und die globale Rezession führen in ein Desaster, das weit schlimmer sein wird als die Schäden der Finanzkrise 2009. Den Lockdown, den Stillstand der Wirtschaft, muss man sich leisten können. In Hamburg und München ist das möglich. Wo Tagelöhner von der Hand in den Mund leben, in Wirtschaften, in denen die Menschen mehrheitlich ohne Arbeitsverträge oder Arbeitslosenversicherung jobben und keine Staatshilfen in Sicht sind, geht es kaum.

Die indischen Wanderarbeiter, die vor dem Hunger fliehen, sind ein Menetekel. Diese Krise ist eine wuchtige, existenzielle Bedrohung. Je ärmer die Staaten und Bevölkerungen sind, desto heftiger sind die Auswirkungen der Krise. Genau in dem Moment, in dem der Globale Süden Hilfe von den reichen Staaten benötigt, passiert das Gegenteil. Das Geld fließt nicht von Norden nach Süden, sondern umgekehrt. Mehr als 100 Milliarden Dollar sind seit Jahresanfang aus dem kriselnden Süden von Investoren abgezogen worden.

Ohnehin wackelige Haushalte in den armen Staaten kollabieren. Die USA und Europa, vor allem Deutschland, können es sich hingegen leisten, Billionen Dollar und Euro in Wirtschaft und Sozialsysteme zu pumpen. Es ist naheliegend, dass die westlichen Gesellschaften derzeit auf sich selbst starren. Aber dieser Blick hat etwas Enges und Herzloses. Die Solidarität nach innen funktioniert. Was jenseits der gut befestigten Grenzen passiert, verschwindet mehr als sonst vom Wahrnehmungsradar.

Mindestens ein Schuldenmoratorium

Die westlichen Regierungen tun sehr viel, um Ärzten das moralische Dilemma zu ersparen, zu wählen, welcher Patient die rare nötige Behandlung bekommt, welcher nicht. Das ist richtig. Doch zu einer Ethik des Notfalls gehört das Globale. Der Westen aber tut wenig.

Das Mindeste ist ein Schuldenmoratorium, wie es IWF und Weltbank vorgeschlagen haben – und zwar nicht nur für die allerärmsten Staaten, sondern für all jene überschuldeten Staaten, die nun Milliarden in den Norden transferieren, anstatt ihre maroden Gesundheitssysteme zu retten. Ist es derzeit nicht schlicht unmoralisch, Zinsen von Staaten zu kassieren, die Geld für das schiere Überleben benötigen?

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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