Theatergeschichte am Bildschirm: Wehmütige Zeitreise

Der Online-Ersatzspielplan der Schaubühne Berlin bringt legendäre Stücke aus der Zeit, als Berlin noch Mauerstadt war, unter anderem von Peter Stein.

Schauspieler auf der Bühne

„Bella Figura“ von Yasmina Reza, mit Nina Hoss und Mark Waschke Foto: Arno Declair

Wenn Streamen das Gebot der Stunde ist, dann dürfen die Theater natürlich nicht zurückstehen. Da das Publikum nicht ins Haus kommen kann, kommt das Haus zum Publikum.

Besonders engagiert dabei zeigt sich die Schaubühne in Berlin, die einen zweigleisigen Weg geht: Zum einen wird ein buntes Arrangement kleinerer Videoclips mit sehenswerten Einzelleistungen von Ensemblemitgliedern auf der Website vorgehalten. Hier kann man etwa Florian Anderer in einem irrwitzigen Monolog aus Konrad Bayers „der die mann“ bestaunen oder sich anhören, wie Carolin Haupt im Homeoffice zum Klavier singt. Dieses freundliche Sammelsurium stellt ein niedrigschwelliges, allzeit verfügbares Angebot dar, mit dem Laptop-MalocherInnen ihr Arbeitsgerät zwischendurch mal nutzen können für eine unterhaltsame Pause.

Die andere Programmschiene ist deutlich aufwendiger und fordert auch vom Publikum mehr zeitliche Disziplin und Sitzfleisch: Jeden Abend zwischen 18.30 und 24 Uhr (und immer mit einer neuen Ensemblemitglied-Soloperformance im digitalen Vorprogramm) wird eine andere Schaubühnen-Inszenierung gestreamt. Wer dabei das Lieblingsstück verpasst, hat Pech gehabt; also lohnt es sich, auf die genauen Termine zu achten. Es ist ein echter Online-Spielplan.

Leuchtende Erinnerungen

Das Besondere daran: Er enthält nicht nur Inszenierungen der vergangenen paar Jahre, die man vielleicht verpasst hat und hier nachholen kann (darunter natürlich zahlreiche von Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier), sondern auch viele Klassiker aus der Frühzeit des Hauses. Damit bietet er in dieser seltsamen Zeit der allgemeinen Einkehr die Chance, sich ganz in Ruhe einmal (für die etwas Älteren unter uns) zurückzubesinnen – beziehungsweise (für die etwas Jüngeren) sich vertrauter zu machen mit der kulturellen Vorgeschichte eines der profiliertesten Häuser der Stadt.

Unter den reiferen Jahrgängen der geborenen WestberlinerInnen findet man Menschen, die noch heute mit leuchtenden Augen von Peter Steins Inszenierung von Maxim Gorkis „Die Sommergäste“ zu erzählen wissen, die in den frühen siebziger Jahren Kultstatus erlangte. Ein ganzer Birkenwald sei auf der Bühne gewesen! Wie das geduftet habe! Tout Berlin sei damals zur Schaubühne ans Hallesche Ufer gepilgert! Peter Stein, der sich zuvor in Bremen einen Ruf als Theaterrevoluzzer erworben hatte, war 1970 nach Berlin gekommen, um das Theater in Kreuzberg (heutiger Standort des HAU 2) gemeinsam mit seinem Ensemble – die Zeichen der Zeit standen zunächst noch auf Mitbestimmung – zu übernehmen.

Auf dem Online-Spielplan standen bereits vergangene Woche erste Peter-Stein-Produktionen aus diesen frühen Jahren: seine „Sommergäste“ sowie die Uraufführung von Botho Strauß’ „Groß und klein“, beides als filmische Adaption. Wie der Birkenwald geduftet hat, lässt sich im Nachhinein nicht mehr erleben. Auch nicht, wie der Wald auf der Bühne ausgesehen hat, denn für die filmische Umsetzung ist Stein mit seiner Truppe ganz und gar in die Natur hinausgegangen. (Fragt sich, wo das gewesen sein kann. Die Landschaft macht einen recht brandenburgischen Eindruck, aber da konnten die ja damals nicht hin.) Mit der Kamera dabei war Michael Ballhaus, der das Geschehen zu bewegten Bildern voller Tiefe formt.

Die nicht mehr leben

Sie führen auf eine schöne, aber auch wehmütig stimmende Zeitreise in die jungen Jahre vieler hochverehrter SchauspielkünstlerInnen, von denen viele heute nicht mehr leben. Bruno Ganz, Otto Sander, Eberhard Feik – alle schon fort für immer, genau wie Ballhaus. Peter Stein lebt laut Wikipedia in der Toskana und baut Oliven an.

Edith Clever war auch die erste Lotte, Hauptfigur in Botho Strauß’ (damals Dramaturg des Hauses) Erfolgsstück „Groß und klein“, das einst wohl als eine Art Seismograf westdeutscher Befindlichkeiten begriffen wurde. Wenn man sich die Produktion von 1978 heute ansieht, ist das nicht leicht nachzuvollziehen. Es muss damals ein sehr anderes Land gewesen sein. (Diesen Eindruck hinterlassen Gorkis vorrevolutionäre „Sommergäste“ viel weniger.) Clevers große performerische Leistung ist aber nach wie vor sehr beeindruckend.

Für Stein und die Seinen wurde das Haus am Halleschen Ufer bald zu klein. Im Jahr 1981 zog das Theater an den Lehniner Platz um. Zuvor inszenierte Stein noch die „Orestie“ des Aischylos, deren dreiteilige filmische Umsetzung man diese Woche von Mittwoch bis Freitag dieser Woche auf dem heimischen Bildschirm verfolgt werden kann.

Am Osterwochenende stehen dann mit Yasmina Rezas „Bella Figura“(Regie: Thomas Ostermeier 2015) und Anton Tschechows „Drei Schwestern“ (Regie: Stein 1984) zwei All-time-Favourites der Schaubühne am Lehniner Platz, auf dem Ersatzspielplan. Theater aus dem Computer mag nur einen schwachen Abglanz der dramatischen Wirklichkeit zeigen. Aber schön daran ist die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.