Debütalbum von Lyra Pramuk: Posthumanes Singen

Lyra Pramuk gibt auf dem Album „Fountain“ ihrer sphärischen Stimme viel Raum. Auch der Trans-Community verschafft die US-Sängerin mehr Gehör.

Porträt einer Frau

Flamboyantes Äußeres: Lyra Pramuk Foto: George Nebieridze

Als wär’s eine halbe Ewigkeit her, so diktiert die aktuelle Corona-Isolation bereits das Zeitgefühl: Erst vor wenigen Wochen, Ende Januar, bekam man man beim Festival CTM in Berlin noch aufregende Musik live geboten. In vollen Clubs lauschte man, ohne für einen Augenblick über fremden Atem im Nacken nachzudenken. Wie an jenem Abend, als die US-Sängerin Lyra Pramuk mit sphärischer Stimme das Berghain durchflutete.

Mit ihrer flamboyanten Erscheinung – wallende blonde Mähne, schillerndes Make-up, azurblau-schwarz-gelbes Designerkleid, verzauberte sie, umgeben von einem fast übertrieben schönen Blumenbouquet, ihr Publikum. So abgedroschen das jetzt freilich klingen mag.

Nun ist Pramuks Debütalbum beim Label Bedroom Community erschienen. „Fountain“ heißt es und enthält sieben Songs, die das Visuelle zwar nicht mitübertragen können, dafür aber reichlich Gelegenheit bieten, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Pramuks Gesang. Auf der Stimme beruht das gesamte Album. Sie ist die Signatur von Pramuks Musik, das Instrument, das hauptsächlich zu hören ist, nur ein wenig elektronisch umspielt und natürlich aufbereitet und moduliert.

Studium in New York

Eine Stimme sein will Pramuk auch über das Singen hinaus für die queere und die Trans-Community. Pramuk wuchs in einer Kleinstadt in Pennsylvania auf. Schon früh, so heißt es, bemerkte sie, dass sie, der bei der Geburt das männliche Geschlecht eingetragen wurde, mit den üblichen Genderrollen nicht zurechtkam. Sie floh in die Großstadt, studierte an der Eastman School of Music in New York klassische Musik, Musikpädagogik und Performance. 2013, nach ihrem Abschluss, kam sie mit einem Graduiertenstipendium des DAAD nach Berlin, damals noch als scheinbar queerer Mann, verliebte sich in die Stadt und fasste Mut, ihren Weg zu gehen.

Lyra Pramuk: „Fountain“ (Bedroom Community/Kompakt)

In Berlin entschied sie sich, auch äußerlich Frau zu werden, was sich auszugsweise auf ihrem Instagramprofil nachverfolgen lässt, inklusive Vorher-nachher-Bildern und Aufnahmen nach der Gesichts-OP. Transparenz und Öffentlichkeit versteht Pramuk, so scheint es, als einen Aspekt ihres Aktivismus.

Musikalisch hatte sie bislang vor allem im Hintergrund gewirkt, für andere Künstler:innen, die wie sie für eine durchaus politisch zu verstehende Rückbesinnung auf die Kraft der menschlichen Stimme stehen, dabei gleichsam aber auch eine Neugier und Offenheit gegenüber Technologien mitbringen, etwa für Colin Self. Pramuk modelt außerdem und tritt in Kunstperformances auf.

Neuerfinden beim Verwandeln

Letzteres etwa für die Künstlerin Donna Huanca, die nun im Gegenzug das Cover für Pramuks Debütalbum gestaltet hat. Dass dieses „Fountain“ betitelt ist, hat übrigens eine simple Erklärung: Der Name Pramuk stammt aus dem Tschechischen und bedeutet dort so viel wie „Quelle“. Gleichzeitig lässt sich der Titel natürlich auch im übertragenen Sinne verstehen, für den Prozess der Künstlerin, durch den sie sich neu gestaltet hat.

Zurück zur Musik: Das Auffällige an Pramuks Gesang ist, dass es dabei viel mehr um das Wie als das Was zu gehen scheint. Texte sind kaum auszumachen oder zu verstehen, das meiste sind einfach Töne, Vokale, loop­artig aneinander gereihte Silben, die mal an abstrahierte Gesangsübungen, mal an gregorianische Choräle erinnern, mal an Roboterstimmen, Klänge, die wabern und flirren, fordern und dann wieder elfengleich wispernd das Ohr umschmeicheln. Ein treibendes Spiel mit Stimmlagen ist etwa „Gossip“, der zweite Song nach „Tendril“, den Pramuk vorab als Single veröffentlicht hatte.

Pramuk hat durchaus einen Sinn für Sprachen, spricht selbst mehrere, arbeitet zudem schriftstellerisch. Dass sie bei ihren Songs bewusst darauf verzichtet, sich stattdessen ganz auf deren sinnliche Wirkung konzentriert, ist umso bemerkenswerter.

Ungemein entspannend mit ASMR-Geflüster

Auf ein paar der Songs arbeitet Pramuk mit ASMR-Geflüster, jener sonoren Tonlage, die ungemein entspannend wirken soll. Musik war für sie Teil ihrer persönlichen Heilung, nicht ganz ausgeschlossen, dass ihr Werk auch auf andere eine heilende Wirkung haben könnte.

Jedoch ist es dabei so wie bei so mancher Medikation: Mitunter wird es anstrengend. Zum fröhlichen Mal-eben-so-Zuhören eignet sich das Album kaum. Ohnehin würde das nicht zum selbstgesetzten hohen Anspruch passen. „Fountain“, so steht in der Pressemitteilung, erkunde ein posthumanes, nichtbinäres Verständnis von Leben und dessen fragile Ökosysteme.

Bleibt zu hoffen, dass man diesem Erkunden bald nicht mehr alleine lauschen muss, man Pramuk, wie auch alle anderen Musiker:innen der Stadt, mal wieder auf Bühnen singen hören und dabei sehen kann.

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