Gelungene Wiederbelebung

„Sunday Open“: Unter diesem Motto haben 42 Kunstgalerien an einem Sonntag pro Monat ihre Pforten geöffnet

Blick in die Gruppen­ausstellung „Out of the Dark II“ in der Galerie KOW in der Kreuzberger Lindenstraße Foto: Alexander Koch

Von Beate Scheder

Alle paar Minuten setzt sich die Maschinerie in Gang, pumpt Luft durch Schläuche und bläst orangefarbene PVC-Würste auf, die bei ChertLüdde von der Decke hängen. Die Luft lässt Falten in den Formen verschwinden, bügelt sie von innen glatt, bis sie sich, prall gefüllt, sanft nach oben biegen. Die Ausstellung des italienischen Künstlers Franco Mazzucchelli in der Kreuzberger Galerie ist eine historische Reaktivierung. 1969 hatte Mazzucchelli sie in Venedig in der Galleria Canale gezeigt, auch damals als zirkuläres System, als Sinnbild für lebende Organismen, für den Rhythmus des Seins. Nun, Ende Mai 2020, durch die Brille von Covid-19, wirken die pneumatischen, quasi atmenden Skulpturen freilich noch viel plastischer, geradezu beunruhigend aktuell.

Am 14. März wurde „Plongée en apnée“ eröffnet, kurz vor dem Lockdown, doch zu sehen war die Ausstellung wochenlang nicht. Seit Ende April haben die Galerien wieder geöffnet, auch ChertLüdde. Zögerlich läuft der Betrieb seither wieder an, unter Beachtung von ­Hygiene und Abstandsregeln und ohne große Events. Für letzten Sonntag, kurz vor Ende der Laufzeit der Schau – sie läuft noch bis zum 30. Mai –, gab es aber doch einen Programmpunkt anzukündigen, nicht nur bei ChertLüdde, sondern auch in 41 weiteren Berliner Galerien: „Sunday Open“. Der offene Sonntag, der fortan über den Sommer hinweg einmal im Monat stattfinden soll, ist eine Initiative des Index. Offiziell mitmachen können folglich nur Galerien, die auch dort gelistet sind. Alle sind ohnehin nicht dabei, manche haben noch gar nicht wieder regulär geöffnet, bei anderen passt es offenbar aus anderen Gründen nicht.

Aus Be­su­cher*in­nen­per­spek­tive kann man Sunday Open eigentlich nur gut finden. Die Idee: denjenigen Zeit für einen Besuch in Ausstellungen zu geben, die momentan kaum aus dem Haus kommen, weil sie dort im Homeoffice festhängen oder ihre Kinder unterrichten müssen, eine weitere Gelegenheit für den arbeitsfreien Tag, Kunst analog zu betrachten, vor allem aber auch, sich mit anderen, etwa den Galeris­t*in­nen, darüber auszutauschen. Gestärkt werden soll so die lokale Gemeinschaft, die sich aus Kunstschaffenden und Kunstinteressierten zusammensetzt. Ein kleines Gallery Weekend, wie manche es vorab bezeichneten, ist Sunday Open jedoch nicht. Kann und soll es auch gar nicht sein. In den 42 an der ersten Ausgabe beteiligten Galerien trat man sich gewiss nicht gegenseitig auf die Füße: Publikum kam schon, verteilte sich aber recht gut.

Der Lockdown hat bei den Galerien den Ausstellungskalender gründlich durcheinandergewirbelt. Eigentlich würden jetzt gerade jene Schauen laufen, die zum Gallery Weekend eröffnet worden wären, also ungefähr die wichtigsten im Berliner Kunstjahr. Verschoben sind die meisten von ihnen in den September – samt Gallery Weekend. Viele der Ausstellungen, die am Sonntag oder auch noch ein paar Tage länger zu sehen sind, laufen wie die bei ChertLüdde schon seit März. Andere, wie KOW in Kreuzberg oder ­Efremidis am Ernst-Reuter-Platz, haben am Wochenende neue Ausstellungen eröffnet. Gruppenausstellungen sind es, in beiden Fällen, die angesichts der neuen Realitäten in kurzer Zeit organisiert wurden und die auf ihre Art und Weise darauf Bezug nehmen.

Sunday Open ist ein klares Bekenntnis zu Berlin als Standort zeitgenössischer Kunst

Die bei Efremidis umkreist Vorstellungen von Intimität, die Frage, wie und wo privates und öffentliches Leben ineinander übergehen, in sozialen Medien zum Beispiel oder anderen digital vermittelten, privaten Situation. Das äußert sich entsprechend in vielen visuellen Selbstinszenierungen und -bespiegelungen, aber auch, und das macht den Reiz der Ausstellung aus, in textbasierten Arbeiten. Pippin Wigglesworth etwa fragt in seinem Beitrag nach dem zwischenmenschlichen, quasi romantischen Potenzial veröffentlichter Texte.

Der zur Gruppenausstellung „Out of the Dark II“ bei KOW veröffentlichte Text spricht indes über Kunstwerke. So bezeichnet er diejenigen, die niemand sehe, als „tragische Geschöpfe“, da sie ja „ausschließlich in den Blicken von Menschen“ lebten. Wer in den Wochen des Lockdowns versucht hat, mit Kunst aus Online-Viewing-Rooms den Mangel an Naherlebnissen auszugleichen, weiß vermutlich, was damit gemeint ist. Dabei gehören KOW sogar zu den Berliner Galerien, deren digitales Kunstprogramm absolut empfehlenswert war und auch noch ist. Die neu eröffnete Ausstellung bringt nun, quasi als Wiederbelebungsmaßnahme, Arbeiten von Künstler*innen der Galerie zusammen, die schon länger in den Lagern auf „die Blicke von Menschen“ gewartet haben, die nun womöglich Dinge anders interpretieren, aber auch neuere und ganz neue, die in Reaktion auf die Situation entstanden sind.

Wie ja auch Sunday Open. Ob es sich durchsetzen wird, werden die kommenden Monate zeigen. Zur rechten Zeit kommt die Premiere auf jeden Fall, nicht nur hinsichtlich der internationalen Krise, sondern auch angesichts der hausgemachten Berliner Unstimmigkeiten – als klares Bekenntnis zum Kunststandort Berlin.

Open Sunday: wieder am 21. Juni von 11 bis 17 Uhr