Völkisches Grundrauschen

Das Landesmuseum Oldenburg gewährt erstmals Einblicke in die Erforschung des eigenen Bestands an während des Nationalsozialismus erworbener Kunst. Und zeigt Wolken

Gerade als Neuerwerbung in Haus gekommen: Karl Schmidt-Rottluffs Aquarell „Strand mit Körben“ Foto: Landesmuseum Oldenburg, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Von Bettina Maria Brosowsky

Dem Freistaat Braunschweig gebührte die fragwürdige Ehre, als allererster Gliedstaat der Weimarer Republik bereits im Oktober 1930 der NSDAP die Regierungskoalition ermöglicht zu haben. Im Oldenburgischen Gegenstück erhielt die Partei bei der Landtagswahl vom 29. Mai 1932 dann reichsweit erstmals die absolute Mehrheit. Nach der Vereinigung mit dem Land Bremen im Jahr 1933 fungierte der Oldenburgische Ministerpräsident Carl Röver bis zu seinem Tode 1942 als Gauleiter sowie Reichsstatthalter und entfaltete kulturpolitisches Sendungsbewusstsein im Sinne NS-konformer Künste.

Auch die Arbeit lokaler Museen änderte sich unter den neuen Machtverhältnissen. In Oldenburg verloren schon 1932 erste jüdische Mitbürger*innen ihren Besitz, manches davon gelangte auf unrechtmäßige Weise in museale Sammlungen, wohl auch ins dortige Landesmuseum. 1998 verpflichtete sich die Bundesrepublik Deutschland durch die Unterzeichnung der „Washingtoner Erklärung“ zur Provenienzforschung in ihren öffentlichen Museen und Sammlungen, die Basis für Restitutionen an rechtmäßige Eigentümer*innen.

Verschwiegene Bestände

Seit Februar 2011 ist der Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Marcus Kenzler am Oldenburger Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte mit dieser Aufgabe befasst. Das Haus zeigte dann Ende 2017 als Zwischenbilanz die Sonderschau: „Herkunft verpflichtet! Die Geschichte hinter den Werken“: Rund 60 exemplarische Stücke – Gemälde, Möbel, kunstgewerbliche Objekte, Inventarbücher und Auktionskataloge – gewährten Einblicke in die Fragestellungen und Recherchemethoden der laufenden Erforschung des eigenen Bestandes.

Marcus Kenzler, 1972 in Hannover geboren, hat nach Studien dort und in Hildesheim zur „Kunst in der DDR“ promoviert. Er hat auch zum Film im „Dritten Reich“ geforscht, scheint somit Spezialist für die Künste diktatorischer Systeme. Nun hat er für eine Kabinettausstellung eine Handvoll Werke und Dokumente aus dem Depot geholt, die alle zwischen 1933 und 1945 im Rahmen der offiziellen NS-Ankaufspolitik ins Landesmuseum gelangten.

Zu allem Überfluss erhielt das Haus nach Kriegsende weitere NS-Kunst durch die britische Besatzung übereignet, so aus einer Privatsammlung Carl Rövers im Kontext der „Stiftung Stedingsehre“ in Bookholzberg bei Ganderkesee. Das gehobene Material wird jetzt weitgehend erstmals gezeigt, es gehöre zu den lieber „verschwiegenen Beständen“, so Kenzler, wie sie wohl jedes deutsche Museum sein Eigen nennen darf.

Zum indoktrinären Programm in Bookholzberg zählte ein Freilichttheater mit kleinem Theaterdorf, ein Oberammergau des Nordens, das nach 1935 mehrfach ein Stück des plattdeutschen Heimatdichters August Hinrichs zum Besten gab. Dessen Inhalt, die zwar letztlich erfolglose Auflehnung der Landbevölkerung anno 1234 gegen Adel und Klerus, ließ sich politisch bestens als „Aufstand der Arier“ für Massenveranstaltungen in­strumentalisieren, so Kenzler.

Zwei Frauenporträts aus der NS-Zeit von Bernhard Winter (oben) und Carl Horn Fotos: Landesmuseum Oldenburg

Sechs große Gemälde der Protagonisten zählten zur Sammlung Röver, ein monumentales Ganzporträt in hölzernem Malduktus bildet jetzt den Auftakt der Präsentation. Es ist neben dem Bildnis eines BDM-Mädels das politisch eindeutigste Werk, denn weder propagandistische Szenen, Parteisymbole oder Fahnenmeere zieren die weiteren Gemälde.

„Harmlose“ Heimatkunst?

Bei den unter anderem auf drei „Großen Gauausstellungen“ zwischen 1938 und 1944 erworbenen Arbeiten handele es sich zumeist um „Heimatkunst“ regionaler Künstler*innen, sagt Kenzler. Die Werke seien, bis auf eine noch 1945 erworbene (und nicht ausgestellte) Hitlerbüste – wohl eine finanzielle Unterstützung der Künstlerin – allesamt „harmlose“ Kunst, so Kenzler weiter: Porträts, Akte, Familien­idyllen, Landschaften.

Dass diese Sujets neben ihrem unverkennbar völkisch-nationalen Grundrauschen in unterschiedlicher künstlerischer Qualität nicht nur Nuancen malerischen Ausdrucks, sondern auch gesellschaftspolitischer Interpretationen zuließen, davon erzählen zwei Frauenporträts.

Das eine von Bernhard Winter (1871–1964) zeigt in virtuos kargem Realismus seine Ehefrau, in strengem Kleid einige Zimmerpflanzen umsorgend. Das andere, in expressiverer Malweise, eine selbstbewusst moderne Frau, die Zigarette in der Hand: ein Werk, das sich auch in den 1920er- oder 1950er-Jahren verorten ließe. Es stammt erstaunlicherweise von Carl Horn (1874–1945), er sollte zwischen 1935 und 1942 als Leiter der „Nordischen Kunsthochschule“ in Bremen eine rassenideologisch genuine NS-Kunst etablieren. „Es ist Kunst im Nationalsozialismus, und nicht Kunst des Nationalsozialismus“, bezeichnet Kenzler seine präsentierten Funde.

Das Landesmuseum Oldenburg unterstand seit seiner Gründung 1921 Walter Müller-Wulckow (1886–1964), der während der 1920er-Jahre einen Programmschwerpunkt zu Bauhaus, Architektur und Wohnkultur der Moderne vertrat, aber sowohl 1933 als auch 1945 als politisch unbelastet im Dienst bestätigt wurde.

Was veranlasste ihn zu derartigem Sammeln, war er vielleicht doch kein so lupenreiner „Moderner“? Er müsse einen Weg gesucht haben, um handlungsfähig zu bleiben, sich nicht vereinnahmen zu lassen, vermutet Kenzler. Müller-Wulckow war kein Parteimitglied, aber Förderer der Waffen-SS, und bereits in den 1920er-Jahren hat er Malerei der Heimatkunstbewegung gesammelt.

Wie alle Museumsdirektoren musste auch Müller-Wulckow 1937 als „entartet“ geltende Kunst der entschädigungslosen Konfiszierung melden. Das Oldenburger Haus verlor immerhin 103 Werke, von denen seit 1945 lediglich vier zurückerworben werden konnten. Zum Verlust zählen 18 Arbeiten der Brücke-Maler Kirchner, Schmidt-Rottluff, Müller und Heckel, so aus ihrer Sommerfrische im friesischen Dangast. Die Maler waren 1908, während einer ersten Ausstellung in Oldenburg, noch auf „Unverständnis“ der Besucher*innen gestoßen, erfährt man dann in der Dauerausstellung im Anschluss an das NS-Kabinett.

Verborgen vorm NS-Furor

Schaut man dort auf die Inventarvermerke weiterer Exponate, so findet sich einiges, das offensichtlich dem NS-Furor verborgen bleiben konnte: Eine frühe „Dangaster Landschaft“ von Erich Heckel etwa oder die „Ziegelei“ der gleichfalls verfemten Emma Ritter, beide in den 1920er-Jahren erworben. Gerade kamen zudem acht Arbeiten von Heckel, Schmidt-Rottluff und Ritter als Neuerwerbung ins Haus. In einer weiteren Kabinettschau „Wolken in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts“ trifft man dann auf die impulsiven Himmelsformationen von Georg Müller vom Siel (1865–1939). Auch diese Handvoll Blätter des psychisch erkrankt seit 1909 Hospitalisierten, gemäß NS-Diktion ja eine gesellschaftliche „Ballastexistenz“, verblieb 1935 nach einer solidarischen Verkaufsausstellung ganz unbehelligt im Landesmuseum.

„Kunst zwischen 1933 und 1945“: bis 30. 8.;

„Wolken in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts“: bis 2. 8.; beide im Prinzenpalais, Landesmuseum Oldenburg