Graphic Novel über das Asperger-Syndrom: Grelle Kollisionen

Teds Leben ist gut, solange es in geregelten Bahnen verläuft. Aber das ist in Émilie Gleasons Graphic Novel „Trubel mit Ted“ nur selten der Fall.

Ausschnitt aus dem besprochenen Comic

Wobbeln und wabbeln: Szene aus „Trubel mit Ted“ Foto: Émilie Gleason

Routinen und Rituale sind alles für Ted: In die Toilettenschüssel pusten, stets auf demselben Platz in der Metro sitzen, jeden Tag dasselbe Hamburgermenü essen. All das sind Absicherungen gegen die Zumutungen einer Welt, die ständig Überraschungen parat hat.

Dieser Ted also ist ziemlich speziell und die Hauptfigur in Émilie Gleasons preisgekröntem Comic „Trubel mit Ted“. Sein Leben ist gut, solange es in geregelten Bahnen verläuft. Leider ist das nur selten der Fall. Immerzu geschehen unvorhersehbare Dinge. Pend­ler­züge fallen aus. Geliebte Menschen werden überfahren. Man stolpert in einen Sexshop.

Ted ist ein großer, schlaksiger Kerl, seine Arme und Beine wobbeln und wackeln, immerzu stakst er im Ausfallschritt. Seinen Kopf trägt er zwischen den Schultern, wie eine Schildkröte bei drohender Gefahr. Einen wie ihn kennt man aus Filmen wie „Rain Man“. Einen wie ihn, der jeden Stellplatz eines Buches der Bibliothek, in der er arbeitet, auswendig kennt, und für den ein Wannenbad allenfalls der Erprobung des archimedischen Prinzips dient.

Ein Autist, genauer: ein Mensch mit Asperger-Syndrom. Ted ist maximal ehrlich. „Sie sind einfach super fett.“ Das findet seine Umwelt nicht so toll. „Wie bitte? Und das von einem Mongo, der nach Pisse stinkt?“

Émilie Gleason: „Trubel mit Ted“. Aus dem Französischen von Christoph Schuler, Hand­lettering von Michael Hau. Edition Moderne, Zürich 2020, 128 Seiten, 24 Euro

Randfiguren des Comics sind die überfürsorgliche Mutter und der zu Wutanfällen neigende Vater sowie Teds Schwester Elena, die die Macken, Marotten und Ticks ihres Bruders ertragen muss. Ab und zu folgt ein Meltdown, der Ted und seine Umwelt ins Chaos stürzt. Gründe dafür gibt es viele: die neue Couch der Eltern, oder die Tatsache, dass ein Fremder seinen Sitzplatz okkupiert.

Menschen, die „anders“ sind

Émilie Gleason erzählt im Nachwort von ihrem Bruder, dem sie mit diesem Comic ein künstlerisch wie komödiantisch herausragendes Denkmal gesetzt hat. Wobei Ted stellvertretend steht für Abertausende von Menschen, die wie er „anders“ sind. Ihre Andersartigkeit wird zum Fanal für eine Gesellschaft, die den Wunsch nach Integration beteuert, aber „besondere Kinder“ mit Medikamenten vollpumpt oder mit pseudotherapeutischen Maßnahmen malträtiert.

„Meine Mutter sagt immer, dass ich normal bin und die anderen blöd, aber ich weiß schon, dass das nicht stimmt.“ Ted ist sich seiner selbst durchaus bewusst. Darf man über einen wie ihn lachen? Man muss! Jedenfalls als Teil einer emotionalen Katharsis: So lacht man nicht über Ted, sondern über das Chaos, das bei der Kollision seiner Welt mit der Umwelt entsteht.

Gleason zeigt die Reaktionen dieser Umwelt in all ihrer bösen Einfältigkeit. Ted, der „Mongo“, wird verprügelt, von gut meinenden Ärzten mit Hunderten Medikamenten, von Ritalin bis Citalopram, behandelt. Und wird doch nicht – natürlich nicht – glücklich oder gar „normal“.

Grellbunt, unübersichtlich und wuselig

Was „Trubel mit Ted“ auszeichnet, ist die unsentimentale Direktheit, mit der die 1992 geborene Gleason ihr Thema behandelt. Als Ted sich in die Jahrzehnte ältere Mariam verliebt, weil sie ihm Aufmerksamkeit entgegenbringt (allerdings deshalb, weil er sie an ihren Sohn erinnert), endet die Liebesgeschichte abrupt, weil sie von einem Auto über den Haufen gefahren wird.

Geradezu genüsslich wird Mariams Unfall dargestellt. Das ist nicht nur absolut köstlich; bunter war schwarzer Humor nie! Überhaupt: Ted stakst durch ein Szenenbild, das grellbunt, unübersichtlich und wuselig ist, von Farben und Personen nur so wimmelt. Fremde sind einfarbige und in Konturlinien aufgelöste Wesen. Nur Teds Vater, Mutter und Schwester erhalten ein individuelles Aussehen. Und, natürlich, Mariam.

Die Sache mit der Liebe und dem Sex wird ohne Mariam nicht leichter für Ted. Man sieht es in einer Szene, in der er unfreiwillig einen Lap-Dance einer recht behaarten Tänzerin über sich ergehen lassen muss. Kann die Geschichte eines Mannes wie Ted gut ausgehen? Das muss man nachlesen, nachschauen. Und sich von den überdrehten Bildern und der aberwitzig temporeichen Erzählung des ­Comics berauschen lassen.

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