Gute
Statue,
schlechte
Statue

Die Proteste gegen rassistische Polizeigewalt verstärken in Europa die Forderung, sich kritischer mit der eigenen Kolonialgeschichte zu befassen. In Belgien und Großbritannien sind die ersten Denkmäler
entfernt worden

Braucht dringend ne Dusche: Die Statue des belgischen Königs Leopold II ist von Demonstranten im Rahmen eines Black Lives-Matter-Protests beschmiert worden Foto: Francisco Seco/ap

Auf die Statue des Südstaaten-Generals Robert E. Lee in Richmond, Virginia, wird ein Foto von George Floyd projiziert Foto: Steve Helber/ap

Die Debatte Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, hat die Entfernung von Denkmälern von Führungsfiguren der US-Südstaaten aus dem Sitz des Kongresses gefordert. Mit diesen elf Statuen werde „dem Hass gehuldigt“, schrieb die Anführerin der oppositionellen Demokraten am Mittwoch an einen parteiübergreifenden Ausschuss. Die mit diesen Denkmälern geehrten Männer seien für „Grausamkeit und Barbarei“ eingetreten. Der pensionierte General David Petraeus hatte diese Woche außerdem gefordert, die zehn Militärbasen, die nach Süd­staaten-Generälen benannt sind, umzubenennen.

Die Statuen In den Hallen des Kongresses stehen unter anderem Statuen von Jefferson Davis, dem Präsidenten der abtrünnigen Konförderierten Staaten von Amerika, und seines Stellvertreters Alexander Stephens. Auch ein Denkmal des Generals Robert E. Lee, der die Südstaaten-Truppen angeführt hatte, steht dort. In Boston wurde eine Statue von Christoph Kolumbus enthauptet, wie die Polizei mitteilte. Der Seefahrer aus Genua gilt als „Entdecker“ des amerikanischen Kontinents. Kritiker argumentieren aber, Kolumbus habe der Kolonialisierung und Tötung zahlloser Menschen den Weg bereitet. (mit afp)

Bristol und London machen es vor

Milligan, dessen Statue hier rund 150 Jahre stand, „gehörten“ 526 Sklav*innen in Jamaika und zwei Plantagen

Aus London Daniel Zylbersztajn

Da waren es schon zwei. Erst versenkten Akti­vist*innen am Sonntag die Statue des englischen Sklavenhändlers Edward Colston im Hafen­becken. Am Montag dann wurde die des Sklavenbesitzers Robert Milligan in den Londoner Docklands entfernt. Der Ort ist bezeichnend für die Geschichte des Mannes: Am ehemaligen „West India“-Hafen legten die Zuckerfrachter aus der Karibik an. Ein Handel, der das Resultat brutalster Sklaverei war. Milligan, dessen Statue hier rund 150 Jahre stand, „gehörten“ 526 Sklav*innen in Jamaika und zwei Plantagen.

Die Entscheidung, die Statue entfernen zu lassen, traf am Montag die Canal & River Trust, eine Stiftung, die das Gelände an Flüssen und Kanälen in England und Wales verwaltet. Das Londoner Dockland Museum, vor dem die Statue stand – und in dem es im dritten Stock die einzige permanente Ausstellung in London zum Thema Sklaverei gibt – bezeichnete die Statue als Versuch, sich von der Geschichte reinzuwaschen, „ohne dabei die Schmerzen über die Verbrechen Mlligans anzuerkennen“.

Dieses „whitewashing“ war bisher ein elementarer Teil des kollektiven britischen Bewusstseins. So gedachten die Brit*innen im Jahr 2007 zwar der Abschaffung des Sklavenhandels vor 200 Jahren. Dass Großbritannien jedoch zunächst die Sklaverei eingeführt hatte und im 18. Jahrhundert Menschen afrikanischer Herkunft gegen das Joch der Sklaverei rebellierten, war bei offiziellen Zeremonien kein Thema.

In Bristol wird nun diskutiert, was mit dem Ort passiert, an dem die Statue des Sklavenhändlers Colston stand. Inzwischen wurde sie vom Boden des Hafenbeckens geborgen. Offiziell, um nicht den Schiffsverkehr zu gefährden. Die Statue befinde sich nun einen sicheren Ort und lande wahrscheinlich im Museum, teilte die Stadt mit.

Ein ähnliches Schicksal könnte die Statue von Cecil Rhodes am Oriel College der University of Oxford nehmen. Da Rhodes als Architekt des Apartheidsystems in Südafrika angesehen wird, sehen viele die Statue als entwürdigend an. Seit 2016 werden die Forderungen, sie entfernen zu lassen, immer wieder laut. Am Dienstag versammelten sich nun Hunderte vor dem College und riefen lautstark: „Bring it down“ – Stürzt sie! Sowohl der Stadtrat als auch die beiden Parlaments­abgeordneten aus Oxford unterstützen das Anliegen. Auch in anderen britischen Städten, etwa in Edinburgh und Cardiff, reichten Bürger*innen Petitionen ein, um Statuen von Sklavenhändlern oder Sklavenhaltern zu entfernen.

Schon im Jahr 2002 Jahr startete eine Kampagne zur Errichtung eines angemesseneren Denkmals im Londoner Hydepark, um der versklavten Afrikaner*innen und ihres Freiheitskampfes zu gedenken. Weil die dafür notwendige Summe von umgerechnet 4,5 Millionen Euro nicht zusammenkam, steht das Denkmal bis heute nicht. Dabei konnte es auf das Wohlwollen des damaligen Londoner Bürgermeisters zählen, der sogar der Enthüllung des Modells beiwohnte: Boris Johnson, der aktuelle Premierminister.

Nun, da die Statue in Bristol von Black-Lives-Matter-Aktivist:innen zu Fall gebracht wurde, bekommt auch das Denkmal im Hydepark plötzlich wieder Aufmerksamkeit, erzählt die Mitgründerin der Kampagne Oku Ekpenyon der taz. In einem Brief, den Premier Johnson ihr vergangenes Jahr geschrieben hat, habe dieser staatliche Fördermittel noch ausgeschlossen. Dennoch habe die britische Regierung im Januar angekündigt, eine Million Pfund für ein neue Holocaust-Gedenkstätte bereitzustellen, erzählt Ekpenyon.

Zudem sei in den letzten Jahren dem Vorhaben einer Gedenkstätte neben dem Parlament zur Erinnerung an den Holocaust zugestimmt worden – nicht Großbritanniens Verbrechen, sondern das der Deutschen, betont Ekpenyon – mit ungerechnet 100 Millionen Euro Staatsgeldern. „Die Steuergelder Schwarzer Briten finanzieren dies mit, ohne dass es ein einziges Denkmal in London, geschweige denn Großbritannien gibt, das an die Opfer der Sklaverei erinnert.“ Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan sagte der taz, dass er so ein Museum oder ein Denkmal in London für richtig halte.

Belgiens Kongo-Terrorkönig im Visier

Die Kampagne „Réparons l’Histoire“ verlangt, sämtliche Leopold-II.-Denkmäler in Belgien zu entfernen

Aus Brüssel François Misser

Leopold II., König von Belgien zwischen 1865 und 1909, prägte das Gesicht Afrikas. Er errichtete die belgische Kongo-Kolonie, Vorläufer der heutigen Demokratischen Republik Kongo, als sein Privateigentum, und zu ihrer Gründung wurde 1884/85 die Berliner Afrika-Konferenz einberufen, aus der die bis heute gültigen kolonialen Grenzziehungen in Afrika hervorgingen. 10 Millionen der damals geschätzt 20 Millionen Einwohner des Kongo starben kritischen Historikern zufolge bei der kolonialen Eroberung, in der die einheimische Bevölkerung zur Zwangsarbeit in Plantagen requiriert wurde und Schwarzen, die nicht genug Kautschuk aus den Gummibäumen holten, die Hände abgeschlagen wurden. Belgien wurde reich, während der Kongo im kolonialen Terror versank.

Die globale Schockwelle „Black Lives Matter“ seit der Ermordung von George Floyd in den USA führt nun in Belgien zu einer beispiellosen Kampagne zum Schleifen der Leopold-II.-Denkmäler im Land. In Ekeren nahe Antwerpen musste ein Königsdenkmal zur Restaurierung abgebaut werden, nachdem Aktivisten es mit roter Farbe übergossen hatten, als Symbol für das vergossene Blut im Kongo, und dann anzündeten.

Vor dem berühmten prachtvollen Afrikamuseum in Tervuren außerhalb von Brüssel, wo seit der Kolonialzeit Reichtümer des Kongo ausgestellt sind, wurde eine Büste des kontroversen Monarchen rot eingefärbt und mit den Buchstaben FDP („Fils de pute“ – Hurensohn) versehen. In Gent schrieb jemand auf eine Leopold-II.-Büste „I Can’t Breathe“, die berühmten letzten Worte von George Floyd. Weitere Denkmäler in Ostende, Halle und Antwerpen wurden Opfer von „Vandalismus“.

Die Kampagne „Réparons l’Histoire“ (Reparieren wir die Geschichte) verlangt, sämtliche Leopold-II.-Denkmäler in Belgien zu entfernen. An der Universität Mons hat die kongolesischstämmige Studentin Marie-Fidèle Dusingize als Sprecherin der Studierenden afrikanischer Herkunft 2.500 Unterschriften dafür gesammelt, dass die Leopold-II.-Büste der Universität in einem Schrank verschwindet – mit Erfolg.

In kürzester Zeit unterschrieben auch in Brüssel 50.000 Menschen eine Petition an den Bürgermeister für eine Entfernung der Königsdenkmäler der belgischen Hauptstadt. Man wolle nicht die Vergangenheit, sondern „die Ehrung dieses Mannes“ ausradieren, stellen die Initiatoren in Reaktion auf Kritik an ihrer Aktion klar.

Es ist nicht die erste derartige Kampagne in Belgien, aber nie war sie so breit und sichtbar. Die Renovierung des Afrikamuseums von Tervuren 2018 hatte bereits heftigen Streit zwischen der afrikanischen Diaspora und belgischen Nachkommen kolonialer Siedler hervorgerufen. Letztere reagieren nun auch auf die Angriffe gegen die Leopold-II.-Denkmäler, die sie als Angriffe auf die Symbole ihrer eigenen Geschichte werten.

Die Verbände „Union royale belgo-africaine“ und „Mémoires du Congo“ haben eine Gegenpetition organisiert und behaupten in einem Meinugsbeitrag, den die Tageszeitung La Libre Belgique veröffentlichte, die Vorwürfe gegen Leopold II. „beruhen im Wesentlichen auf Einbildung und nicht auf der Geschichte“. Die Zahl von 10 Millionen Toten sei „Fake News“, von englischsprachigen Historikern in die Welt gesetzt. Leopold II. habe in Wahrheit aus Belgien die „zweite Industriemacht Europas“ gemacht, die „weit über den Kongo hinaus gestrahlt“ habe, und sich gegen ein staatliches Symbol „ohne demokratische und akademische Debatte über die historische Realität“ zu wenden, sei ein Werk der „Zerstörung der Nation“.

Stattdessen schlagen die Kolonialnostalgiker eine Untersuchungskommission über rassistische Diskriminierung in Brüssel vor. Der Stadtrat der Hauptstadt ist gespalten und hat erst mal eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Aber eine konkrete Auswirkung gibt es bereits: Sowohl die flämischen als auch die wallonischen Bildungsverantwortlichen im sprachlich geteilten Belgien haben am Mittwoch verkündet, dass die Kolonialzeit zukünftig Teil des Geschichts­unterrichts sein soll.