Roman „Echos Kammern“ von Iris Hanika: Narzisstinnen, Gefühle suchend

Schön streitbar, witzig, immer neurotisch: Die Schriftstellerin Iris Hanika produziert in ihrem Roman „Echos Kammern“ viele Reibungen in Sachen Liebe.

Die Autorin Iris Hanika

Iris Hanika steht auf der Shortlist des Leipziger Buchpreises mit „Echos Kammern“ Foto: Alberto Novelli/Villa Massimo/dpa

Mit der Jugendkultur hat sie es nicht so. 2013 fiel Iris Hanika mit einem Rant über Technomusik auf („Techno ist eine Weiterentwicklung der chinesischen Wasserfolter“), der anschließende Shitstorm gab ihr wohl zu denken, in Teilen hat sie ihr Verdikt im Anschluss zurückgenommen; dabei hatte sie dem Berliner Technotempel Berghain in ihrem bislang besten Roman „Tanzen auf Beton“ (2012) sogar ein Denkmal errichtet. Als Kultstätte der Trieb­abfuhr. Obwohl es in dem schön zerfahrenen, splitterhaften Buch wenn um Musik, dann vornehmlich um Heavy Metal und Hard Rock ging.

Jetzt legt die Berliner Autorin mit „Echos Kammern“ ihren nächsten Wurf vor, den insgesamt fünften Roman, und wieder kommen Millennials und ihre alltäglichen Verhaltensweisen nicht gut weg: Ständig schauen sie auf ihr Handy, hohe Aufmerksamkeitsspanne und tiefe Betrachtung sind hingegen nicht so ihr Ding.

Von Literatur haben sie keine Ahnung, vom Leben insgesamt auch nicht. Am deutlichsten wird das in der Figur des Josh, der im Roman eine besondere Rolle einnimmt, dafür aber, in einer seltsamen Verdrehung, mit voller Absicht flach bleibt.

Das ist, wie so oft bei Hanika, schön streitbar, oft witzig, immer neurotisch, immer auf der Kippe (Stichwort: Ambivalenz), und von vorn bis hinten unterhaltsam.

Wahlkreuzbergerin

Die 1962 in Würzburg geborene Autorin, seit Ende der siebziger Jahre Wahlkreuzbergerin, bekannt geworden durch ihre Arbeit für die legendären „Berliner Seiten“ der FAZ um die Jahrtausendwende und den anschließend in einigen Büchern ausgefeilten Kurzprosastil mit chronistischer wie kritischer Komponente, hat mit dem neuen Roman nach Ausflügen in die Psychoanalyse, in die Geschichtserkundung und dem neuen flotten Gesellschaftsroman zu einer Melange all dieser Felder und Stile gefunden.

In „Echos Kammern“ schickt sie ihre erste Hauptfigur, die Lyrikerin Sophonisbe, eine Frau im besten Alter, nach New York, wo sie sich zwischen Hass und Liebe zu dieser Stadt aller Städte nicht so recht entscheiden kann. Auf einer Party zu Ehren von Beyoncé (die leider nicht wirklich im Text auftaucht) lernt sie Josh kennen, der ihr – großer Zufall – später im Café noch einmal über den Weg läuft.

Von da an gibt es eine Verbindung, die über ein mit Sophonisbe befreundetes Pärchen mit ukrainischen Vorfahren weiblicherseits bis nach Berlin läuft, wo im hinteren Teil des Romans die zweite Hauptfigur, die erschöpfte Ratgeberbuchautorin Roxana, die Fäden übernimmt.

Voller Sehnsucht

Roxana verliebt sich gar in Josh, allen kulturellen Gegensätzen und vor allen Dingen dem doch recht großen Altersunterschied zum Trotz, und führt ihn durch die deutsche Hauptstadt, hält sich gleichzeitig zurück und vergeht voller Sehnsucht.

Es ist zunächst einmal ganz witzig, diese Schräglage in Sachen Liebe und Begehren aus der umgekehrten Perspektive zu sehen. Oft genug werden weibliche Objekte als Projektionsflächen eingesetzt, in der Literatur wie im Leben, nicht nur, aber natürlich vornehmlich von Männern, hier ist es andersherum.

Josh sehen wir nur durch die Brille erst von Sophonisbe, die von seiner Naivität und Jugend genervt ist, dann von Roxana; er wird beschrieben als „schön“, „strahlend“, „jung“, „jüdisch“ und „bourgeois“, später dann als „Spielzeug“ und „Kerlchen“, und es kommt nicht nur hier der Verdacht auf, dass sich die Autorin einfach zweigeteilt hat – in die skeptische, schnell beleidigte Lyrikerin Sophonisbe und eine altersgemäß leicht verzweifelte Ratgeberautorin, die dem „Liebeswahn“ erliegt, der reine Projektion ist – und freiwillig und mit Ansage – auch bleibt.

Ist Liebe Wahn und Projektion?

Stellt sich natürlich die Frage, ob das immer so sein muss mit der Liebe. Alles nur Wahn und Projektion? Ein ewiges Herbeiwünschen eines, einer Anderen, die uralten Wunden endlich zu schließen? Kein Entkommen aus dem, sagen wir es auf gut freudianisch, Ödipuskomplex?

In „Tanzen auf Beton“ hat Hanika versucht, das Thema theoretisch und analytisch zu umkreisen, hier, in „Echos Kammern“, spielt sie das Schema noch einmal nahezu eins zu eins durch, dabei nie wirklich konsequent.

Nun sind Klagen über Geld, Gentrifizierung und Tourismus auch nicht neu

Warum wird die sexuelle Vereinigung ausgespart? Warum würde das, wie im Text einmal steht, die Sache „nur noch schlimmer“ machen? (Eine klassisch stereotyp weibliche Position, nebenbei bemerkt, auch wenn der asexuelle Part Josh zugeschrieben wird.) Immerhin ist es nicht mehr ganz so wie in „Treffen sich zwei“, einem Groschenroman mit unglücklicher Wendung und, merkwürdig oder auch eben nicht, Hanikas bislang erfolgreichstem Buch.

Echo, Narziss und Spiegelung

Nun heißt der neue Roman „Echos Kammern“. Es geht also um Echo und Narziss, um Spiegelung und um allerlei Tricks; und der erste Gedanke wäre natürlich der, dass der Millennial Josh hier für den unglücklich selbstverliebten Narziss steht. Aber Schönheit ist nicht automatisch mit Narzissmus gleichzusetzen. Und Narzissmus nicht mit Schönheit.

So ist das skeptisch Abwehrende der einen, und das umkreisend Distanzierte der anderen Hauptfigur viel narzisstischer als das Wesen des schönen Josh; und zu dieser Grundformation passen andere Aspekte dieses Romans: Die Abwehr des, sagen wir, Neumodernen, die auch etwas narzisstisch Gekränktes hat.

Wobei man natürlich weit mitgehen mag in der Hanika’schen Klage über das „alles verwüstende“ Geld, über die stadtsäubernde Gentrifizierung, den Overtourismus. Andererseits sind diese Klagen nicht neu, sondern durchaus gängig und grenzen hier auch an etwas, das man früher einmal Kulturpessimismus genannt hat, Kulturpessimismus Altkreuzberger Art.

Schöne Stadtbetrachtungen

Ansonsten: Neben den gewohnt genauen und durchaus schönen Stadtbetrachtungen ist es wieder das Russophile, das Hanika beschäftigt und weitergibt. Wobei sie diese Liebe einerseits auf die Ukraine erweitert, andererseits mit der Geschichte, insbesondere der großdeutschen Geschichte, sagen wir, diskursiv verschaltet.

Deutschland mit seiner Hauptstadt Berlin ist seit einigen Jahren durchaus international „in“, vor allem in New York, unter (nicht nur, aber auch) jüdischen jungen Leuten, was Hanika berechtigterweise seltsam findet.

Was es im Roman noch gibt, sind kleine Einsprengsel (Ratgeber) und, besonders am Anfang, den Versuch, eine Art V-Effekt zu erschaffen, indem zu einer künstlichen Sprache, einer „Lengevitch“ gegriffen wird, was sich in etwa liest wie das radegebrochene Deutsch einer, sagen wir, Russlanddeutschen. Was es im Anhang gibt, sind allerlei Verweise, so auch zu Jorge Luis Borges’ Kurzgeschichte über einen Autor, der Cervantes’ „Don Quixote“ noch einmal neu ­schreiben will und dabei eine wortgetreue Kopie anfertigt.

Karl Ove Knausgård

An dieser Stelle könnte man noch tiefer in die Problematik von Original und Kopie respektive Echo einsteigen. Witzigerweise begegnete mir der Verweis auf Borges’ Kurzgeschichte ­nahezu zeitgleich in dem an­deren Buch, das ich gerade lese, nämlich in Karl Ove Knausgårds Mammut-Projekt-Abschluss „Kämpfen“, in dem es auch um Hitler und dessen Kampfschrift geht.

Und um Schönheit: „Charisma ist eine der beiden großen, grenzüberschreitenden Kräfte im sozialen Leben, die andere ist Schönheit. Es sind Kräfte, über die wir nur selten sprechen, denn beide strahlt das Individuum aus, man kann sie weder erlernen noch erringen, und in einer Demokratie, deren Grundvoraussetzung es ist, alle gleich zu betrachten, und in der alles möglichst gerecht zugehen soll, können sie nicht als Wert anerkannt werden“, und werden es eben doch, und zwar immer und unerschütterlich, so Knausgård.

Interessant wäre es, die Schönheit, egal, ob Original oder Kopie, selbst sprechen zu lassen, doch das muss Iris Hanika aus offensichtlichen Gründen vermeiden. Nichtsdestotrotz liest sich auch „Echos Kammern“ gewinnbringend, denn immerhin ist es ein Roman, der Reibung produziert, ohne neurechts zu sein oder linksidentitär um sich zu schlagen.

Es ist ein kluges Buch einer Autorin, die man stets aus einer Art Hassliebe liest, auch weil sie aller Psychoanalyse zum Trotz immer noch so voller blindspots, blinder Flecken, zu sein scheint. Da helfen auch keine Spiegel.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.