Die Schattenseiten des K-Pop: Glitzernde Sternchen

Pop aus Südkorea ist erfolgreich. Doch viele der „idols“ halten dem Druck im Land nicht stand. Depression ist immer noch ein Tabuthema.

Die Mitglieder der südkoreanischen Boyband TST. Yohan ist der zweite von links. Foto: Hu Wencheng/imago

Als Yohan vor knapp zwei Wochen starb, war er gerade einmal 28 Jahre alt – Nachrichten wie diese sind der koreanischen Musikszene leider allzu vertraut. Yohan (eigentlich Kim Jeong-hwan) war ein Mitglied der koreanischen Boy-Group TST. Die Todesursache wurde nicht veröffentlicht, doch wie so oft wird über Suizid spekuliert.

In der Meldung, die zuerst über das koreanische Popmusik-Portal Allkpop online zirkulierte, ist ein Youtube-Video verlinkt, in dem der Sänger noch lachend über den Bildschirm geistert. In diesem letzten, fast vierstündigen Livestream von Anfang Mai beantwortet er Kommentare seiner Fans und legt kurze Tanzeinlagen zu den Hits seiner Band ein. „You did well, we’ll never stop loving you“, schreibt ein User vor ein paar Tagen unter das Video.

„Das hast du gut gemacht“, diesen Satz findet man immer wieder in den Kommentarspalten, wenn ein Star der Musikindustrie verstorben ist. Er ist einerseits bezeichnend für den treuen Fankult und andererseits für den Erfolgsdruck, dem die Stars der südko­rea­nischen Entertainmentbranche standhalten müssen.

Zuletzt waren es Sulli und Goo Hara, zwei bekannte Sternchen am K-Pop-Himmel, die sich im Herbst 2019 kurz nacheinander mutmaßlich das Leben nahmen. Lange Zeit hatten beide Frauen die oberflächlichen Normen des Business erfüllt: Jung, schlank und hellhäutig tanzten sie mit ihren Girl-Groups über die K-Pop-Bühnen. Doch im ungnädigen Rampenlicht der Öffentlichkeit gerieten sie im Zusammenhang mit „Sexskandalen“ immer wieder in die Negativschlagzeilen – es ging um Missbrauch, an dem die Frauen dann laut Onlinekommentaren selbst schuld sein sollten. Goo Hara wurde 28, Sulli nur 25 Jahre alt.

Vorproduzierte Identitäten

K-Pop aus Südkorea ist heute vor allem durch Boy-Groups wie BTS und Girl-Groups wie Twice bekannt, die mit ihren wechselnden Haarfarben und mitreißenden Pop-Tunes seit 2016 die größten Konzerthallen der Welt bespielen. Hypersynchrone Choreografien, makelloses Aussehen und die kollektive, internationale Fankultur gehören zum Erfolgsrezept des K-Pop, dessen Ursprünge bis weit in die Nachkriegszeit reichen, als amerikanische GIs präsent im Land waren. Auch in den Neunziger Jahren speiste sich koreanischer Pop aus Vorbildern der amerikanischen Musikszene und schwappte später als „Hallyu“, als „Koreanische Welle“, wieder zurück in die USA und auch nach Europa.

Neue K-Pop-Melodien werden mittlerweile von großen internationalen Produzenten komponiert, und für die Auftritte lässt man Choreografen von Weltstars wie Justin Bieber oder Jennifer Lopez einfliegen. Je nach Zielgruppe werden Lieder auch von Beginn an komplett auf Englisch und Spanisch geschrieben, wenn nicht sogar direkt mit Popstars wie Lady Gaga zusammen aufgenommen.

Eine Pop-„Manufaktur“ mit Milliardenumsätzen ist entstanden – von den Songs über die Kleidung bis hin zu Charaktereigenschaften werden die Identitäten der sogenannten idol groups für die Öffentlichkeit vorproduziert. Jedes Jahr scouten Agenturen die „idol“-­An­wär­te­r*innen. Die jüngsten sind gerade einmal 12 Jahre alt – man möchte sie möglichst früh ins K-Pop-System eingliedern.

Von morgens bis abends haben sie Tanzunterricht, lernen Japanisch, Englisch, singen und rappen. Meist wohnen sie gemeinsam in firmeneigenen Wohnheimen. Nur ein Bruchteil von ihnen schafft den Aufstieg zum „idol“, davor stehen harte Auswahlprozesse mit großem Konkurrenzdruck. Während des Trainings machen die Teenager noch ihren Schulabschluss, am besten später auch noch einen an der Hochschule.

Obligatorischer Militärdienst in Südkorea

Mitglieder der Boy-Groups müssen vor dem 30. Lebensjahr zusätzlich den obligatorischen Militärdienst in Korea absolvieren. Für sie gibt es keine Ausnahmen, denn sie gelten als Vorbilder für Abertausende von jungen Ko­rea­ne­r*innen.

Häufig ist von extremen Vertragsbedingungen die Rede, denn die Agenturen erwarten für ihr Investment in die Jugendlichen maximalen Trainingseinsatz, inklusive Diät und Datingverbot. Nach dem Debüt müssen die angehäuften Schulden zunächst „abbezahlt“ werden, bevor die neuen Stars selbst Geld verdienen können.

Erst vor Kurzem forderte die vierköpfige Boy-Group The Rose die Kündigung ihres Vertrags ein, da ihre Agentur extreme Anforderungen an die Band gestellt hätte, ohne sich umgekehrt an die vertraglichen Zahlungen zu halten. Die Agentur dementierte dies und drohte mit juristischen Schritten – ein solcher Akt der Emanzipation, zumal in der Öffentlichkeit, bleibt jedoch bislang eine Ausnahme in der Branche.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Der international ausgeprägte Fankult um K-Pop ist ein organisiertes Universum für sich. Man gehört Clubs an, zahlt Mitgliedsbeiträge und genießt Vorteile wie exklusive Videos oder frühen Zugriff auf Konzerttickets. Fans nennen sich Army, wenn sie für BTS schwärmen, oder iGot7, wenn sie die Boy-Group Got7 lieben. Es gibt Fangesänge und Fanprodukte für Konzerte. Online versammelt man sich in sogenannten Fancafés, das sind Internetforen, auf denen man mit seinen Lieblingen kommunizieren kann.

Die „idols“ geben alles für die Fans: Jedes Jahr ein neues Album, interna­tio­nale Tourneen, regelmäßige Online-Livestreams. Der einwandfreie Auftritt, inklusive eines unausgesprochenen Züchtigkeitsversprechens, ist selbstredend. Zugleich sind die Schattenseiten der koreanischen Popmusik, die Suizidfälle und Prostitutionsskandale, regelmäßig Thema medialer Berichterstattung.

Und erst vor Kurzem empörte sich ein Musikjournanlist in der größten englischsprachigen Zeitung Koreas über die Dauerbeobachtung: „Gibt es einen Doppelstandard im Bezug auf K-Pop in den Medien?“ Der Autor kritisierte, dass beim Thema K-Pop alle über einen Kamm geschoren würden. Den „idols“ würde jede Selbstständigkeit abgesprochen – während sich kaum noch jemand daran erinnere, dass Mega­stars wie N’Sync oder Destiny’s Child aus amerikanischen Talentshows und Musikindustrie-Bootcamps der 1990er Jahre entstanden sind.

Zu wenig wird auch darüber gesprochen, dass die koreanische Popwelt ein verdichtetes Spiegelbild Südkoreas ist. Alltagssexismus, ein patriarchales, mehrheitlich christliches System und extremer Karrieredruck nagen im Verborgenen an der südkoreanischen Gesellschaft.

Die Selbstmordrate des Landes ist eine der weltweit höchsten, in Südkorea gilt Suizid als eine der häufigsten Todesursachen unter Menschen bis Ende 30. Derweil ist die Thematisierung psychischer Gesundheit immer noch stark stigmatisiert, ebenso das Sprechen über sexuelle Orientierung. So gibt es im koreanischen Entertainmentbusiness nur wenige offen queere „idols“, keines davon wird von einer großen Agentur vertreten.

Angst vor Coming-out

Das Schweigen über Homosexualität und der fehlende Diskriminierungsschutz offenbarten sich jüngst Anfang Mai, als die Seouler Clubszene im Bezirk Itaewon über Nacht von einem starken Virusaufkommen heimgesucht wurden. Covid-19 hatte sich dort über mehrere Clubs ausgebreitet, die in der Hauptstadt als Heimat der LGBTQ-Szene gelten. Aus Angst vor Diskriminierung und einem ungewollten Coming-out vor Familie und Kollegen hinterließen viele Betroffene falsche Informationen und mieden den Kontakt mit zuständigen Behörden komplett. „Zuerst HIV, jetzt das Corona­virus“, hieß es in homophoben Onlinekommentaren.

Dass K-Pop auch positive Impulse setzen kann, zeigte sich ebenfalls während der Pandemie: Während der Proteste der Black-Lives-Matter-Bewegung wurden K-Pop-Fans über Twitter mobilisiert, rechte Hashtags wie „WhiteLivesMatter“ innerhalb kürzester Zeit mit Videoclips ihrer Lieblingsstars, sogenannten Fancams, zu spamen. Und vor Trumps Wahlkampfauftakt in Tulsa beteiligte sich die K-Pop-Community an der Bestellung sämtlicher Platztickets – und sorgte so mit dafür, dass von der Veranstaltung Fotos von halbleeren Rängen um die Welt gingen.

Die Verbreitung asiatischer Popkultur in Europa bringt einen subtilen Imagewechsel mit sich: Androgyne asia­ti­sche Männer mit Engelsstimme, die sich vom Label „Frauenkleidung“ nicht abschrecken lassen und mit Lidschatten und Make-up über den Bildschirm hüpfen, werden heute von jungen, insbesondere LGBTIQ*-Fans vergöttert. Asiat*innen als internationale Popstars, seit dem koreanischen Oscar-Gewinner „Parasite“ auch interna­tio­nale Filmstars, liefern uns neue, kulturelle Referenzbilder – es muss nicht immer nur Brad Pitt oder Taylor Swift sein.

Gleichzeitig bleiben die internen Probleme der Szene bestehen, auch wenn immer mehr „idols“ auf eine öffentliche Diskussion um die mentale Gesundheit in Korea drängen und das Fannetzwerk Informationen zu Hilfsdiensten bei psychischen Problemen verbreitet. Für den mutmaßlichen Sui­zid Yohans kommen solche Hilfsangebote allerdings zu spät.

Hinweis: Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie da­rüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0 111 oder 08 00/111 0 222) oder www.telefonseelsorge.de besuchen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.