Ausstellung „Making Kin“ in Hamburg: Knietief im Kompost

Das Kunsthaus Hamburg macht in der Ausstellung „Making Kin“ das Theoriegebäude der US-amerikanischen Philosophin Donna Haraway begehbar.

Eine Science-Fiction-Landschaft aus Kratern und Monolithen.

Neue Lebensräume: Madison Bycroft hat im Kunsthaus eine Science-Fiction-Landschaft installiert Foto: Madison Bycroft

HAMBURG taz | Der Mensch als Maß der Dinge hat abgewirtschaftet in Zeiten von Klimakrise und drohendem Untergang. Und eigentlich musste er immer schon hart kämpfen, um sich in welterklärenden Theoriegebäuden zu behaupten: einst als Fußvolk des Adels vegetierend, bis ihn Ka­pi­ta­lis­t:in­nen als Verwertungsmasse ausschlachten – und er heute von nicht wenigen Ökos zur „Krankheit des Planeten“ erklärt wird. Uns als Menschen aus dem Elend der Natur zu erlösen, ist jedenfalls schon lange nicht mehr unwidersprochenes Ziel sich progressiv gebender Kräfte.

Den aktuell niedrigen Wasserstand des Humanismus verrät auch, dass eine Autorin wie Donna Haraway gerade angesagt ist wie lange nicht: Vielleicht sogar mehr als in den 1980ern, als die Philosophin mit ihrem spekulativen „Cyborg Manifesto“ bemerkenswerte Hellsichtigkeit bewies. Unbehaglich ist ihre Idee von Mensch-Maschine-Hybriden, die Kategorien wie Rasse, Klasse und vor allem Gender subversiv unterlaufen, nicht weil die mit dem Smartphone verwachsene Gegenwartsmenschheit das Gedankenspiel sogar noch überbieten konnte – sondern weil Haraway mit einem mehrdeutigen Optimismus vom Ende der Menschheit erzählt. Der aktivistischen Linken wurde das bald zu heikel, und umso beliebter dafür bei den Kreativen in der Literatur und – ganz besonders – in der Kunst.

Mit „Making Kin“ zeigt das Kunsthaus Hamburg nun eine Gruppenausstellung, die sich mal mehr und mal weniger ausdrücklich mit Haraways Denken auseinandersetzt; insbesondere mit der Grundidee ihres aktuellen Buchs, „Staying with the Trouble“ (Auf deutsch: „Unruhig bleiben“, Campus 2018, 350 S., 32 Euro). Um eine neue Verwandtschaft aller Lebenden geht es da: Also Schluss mit der untertänigen Natur und dafür einträchtiges „Leben und Sterben“ miteinander.

Grundsätzlich schwierig an künstlerischen Zugriffen auf Haraway ist, dass ihre Theoreme selbst keine starren Konstrukte sind. Sie haben es nicht nötig, von irgendwem zum Tanzen gebracht zu werden, weil sie Dank Poesie und Sprachspiel lange nicht so eindeutig sind, wie ihr Verve vermuten lässt. Statt ästhetischer Verunsicherung erhofft sich Kunsthaus-Chefin Katja Schroeder dann auch eher Klärung: das Ganze „griffig machen“. Dass sie selbst kein großer Haraway-Fan sei, sagt sie auch noch, und gibt den Ball an ihre Kuratorin Anna Nowak ab, die vorab offenbar ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten musste für „Making Kin“.

Ein Hauch von New Age

Die Ausstellung macht sich nun daran, den theoretischen Kosmos der Philosophin bildgewaltig in Szene zu setzen. Großformatige Videos von Melanie Bonajo erzählen etwa vom Mensch-Sein im kapitalistischen Jetzt, vom Wissen indigener Völker und von aktuellen Strategien, dieses heute nutzbar zu machen. In ihrer Serie „Night Soil“ wird etwa halluzinogener Ayahuasca-Sud verköstigt: hierzulande eine Modedroge zur Selbsterfahrung, wie LSD das früher mal versprochen (und in Einzelfällen wohl auch eingelöst) hat. Auch sonst weht hier mehr als nur ein Hauch vom Hippie-New-Age. Eine halbnackte Performerin lässt sich von einer Ziege Gräser vom Schlüpferband knabbern, andere kuscheln im Stroh mit Schweinen, die wie jeder weiß, sonst ein grässliches Leben als Zucht- und Fresstier zu führen gezwungen sind.

Der emotionale Gehalt der Botschaft ist klar. Und wer könnte da auch widersprechen? Interessanter ist ihre Verpackung, denn da gibt es durchaus Brüche zu entdecken. Das Hippieeske erscheint hier nämlich eindeutig als Kostümierung, im Neon drumherum erinnert der Trip viel mehr an den quietschbunten Eklektizismus einer Goa-Party als an erdverwachsene Landkommunen. Diese Offenheit ist höchst erfreulich und mindestens auch ein ironischer Hinweis darauf, dass man vom historischen Scheitern der eigenen Vorgeschichte weiß.

Auch bei Haraway gibt es so eine historische Verortung. Aufs Menschenzeitalter Anthropozän folgen bei ihr erst das Kapitalozän und bald das noch undefinierte „Chthuluzän“: eine Ära des großen Miteinanders unter Anerkennung unserer eigenen Nichtigkeit. Von Pessismus übrigens ist Haraway in erster Linie genervt. Auch wenn es oberflächlich darum geht, will sie vom Weltuntergang durch Klimakrise und so weiter im Grunde gar nicht so viel wissen, sondern zum Perspektivwechsel einladen.

Diese Schwere bleibt in der Hamburger Ausstellung weitgehend außen vor, was kurz skeptisch stimmt, sich aber bald als große Stärke der Schau entpuppt. Unweit der Videowände drehen die haustiergroßen Roboter von Anne Duk Hee Jordan ihre Kreise. Vorsätzlich simpel programmiert von der Berliner Künstlerin versuchen sie gar nicht erst, ihre technische (Nicht-)Natur zu verschleiern. Einer ist wie notdürftig mit Gips verkleidet, der nächste lässt unter seiner durchsichtigen Verschalung Platinen erkennen und bunte Dioden aufblitzen. Und trotzdem stellt sich die große Frage nach Leben spätestens dann mit Wucht, wenn man wie selbstverständlich einem dieser „Critters“ den Vortritt auf dem Weg zum nächsten Gemälde lässt – oder dem Impuls widersteht, der Maschine „Hallo“ zu sagen.

Makin Kin: bis 6. September, Kunsthaus Hamburg

Jordans Arbeiten entfalten das Haraway'sche Miteinander quer durch Kunstformen und den Raum. An der Decke hängen eine Seegurke und Anemone aus Textil und werfen symbolträchtig ihre Schatten auf das mechanische Gewusel am Boden. Und schon ist man mitten drin im schwer zu fassenden Ökosystem dieser Ausstellung.

Als dritte Künstlerin präsentiert Madison Bycroft ein raumgreifendes Panorama zwischen Installation und Gemälde: Die Vorderseite zeigt eine Unterwasserwelt in malerisch komplexer Flächigkeit und mehrdeutigen Kreaturen, die wie Pupillen in den Himmel starren und zugleich wie Ammoniten in die Vergangenheit verweisen. Auf der Rückseite ist eine lila leuch­tende Science-Fiction-Landschaft aus zerklüfteten Felsen und glühenden Himmelskörpern zu sehen. Davor zwei Puppen: ein wilder Pavian neben einem am Schlagzeug erschlafften Faultier; ein Kostüm übrigens, das die Künstlerin sonst auf Performances trägt und das hier darum auf gleich zwei Ebenen leblos bleibt.

Wer Verwandtes sucht, wird das auch finden – und trotzdem bleibt der Besuch im Kunsthaus eine Stippvisite in der Blutsbrüderschaft. Das ist eine große Erleichterung, weil die Frage offen bleibt, ob wir – Mensch wie Tier wie Pflanze – nun wirklich aufgehen wollen in Haraways radikalem Bild vom „Kompost“ des großen Ganzen. Und für die Auseinandersetzung mit der Philosophin bietet die Ausstellung wertvolles Futter. Mehr Spaß macht sie hinterher in jedem Fall.

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