Friedenspreis für Amartya Sen: Theoretiker der Armut

Amartya Sen forscht seit Jahrzehnten über wirtschaftliche Ungleichheit. Der Deutsche Buchhandel ehrt den indischen Philosophen mit dem Friedenspreis.

Amartya Sen hält sich eine Hand in den Nacken

Amartya Sen erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2020 Foto: Richard Drew/ap

BERLIN taz | Der indische Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph Amartya Sen erhält den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Sen setze sich als Vordenker seit Jahrzehnten mit Fragen der globalen Gerechtigkeit auseinander, erklärte der Stiftungsrat des Börsenvereins am Mittwoch in Frankfurt am Main. Seine Arbeiten zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit in Bezug auf Bildung und Gesundheit seien heute relevant „wie nie zuvor“.

Der heute immer noch an der amerikanischen Harvard-Universität lehrende 86-jährige Sen habe früh Konzepte vorgelegt, „die bis heute hohe Maßstäbe für die Ermöglichung, Gewährleistung und Bewertung gleicher Chancen und menschenwürdiger Lebensbedingungen setzen“. Sein Werk sei ein Aufruf, „eine Kultur politischer Entscheidungen zu fördern, die von der Verantwortung für andere getragen ist und niemandem das Recht auf Mitsprache und Selbstbestimmung verwehrt“.

Zu Sens wichtigsten Forderungen gehöre, gesellschaftlichen Wohlstand nicht allein am Wirtschaftswachstum zu messen, sondern auch an den Entwicklungsmöglichkeiten für die Schwächsten. Sen hebe Solidarität und Verhandlungsbereitschaft als essenzielle demokratische Tugenden hervor.

Sen, den Spötter als „Mutter Teresa der Wirtschaftswissenschaft“ bezeichnen, ist ein Kritiker der klassischen Marktideologie. Diese verdränge, dass der Marktindividualismus zu untauglichen Ergebnissen für die Gesamtwirtschaft führen könne.

Verwirklichungschancen sind entscheidend

Sen sieht Armut deshalb eben nicht nur als ökonomisches Problem, sondern als Mangel an Verwirklichungschancen des Menschen. Deshalb betont er stets die Rolle von Bildung. Aber auch ein funktionierendes Gesundheitswesen, Rechtsstaat und freie Meinungsäußerung seien für die wirtschaftliche Entwicklung nötig. Die Freiheit des Einzelnen sei eben auch ein soziales Gebot.

Damit wendet er sich gegen zwei gängige politische Strömungen. Gegen diejenigen, die den Kapitalismus als Reich der Freiheit feiern, ohne nach deren sozialen Voraussetzungen zu fragen. Und gegen diejenigen, die dem sozialen Unrecht allein mit staatlichen Eingriffen und materiellen Transfers zu Leibe rücken wollen.

Sen weist aber auch diejenigen zurück, die politische Konflikte allein auf die kulturelle Identität reduzieren wie der Politologe Samuel Hunntington mit seiner These vom „Kampf der Kulturen“ oder auch islamistische Fundamentalisten mit ihrem „heiligen Krieg“. Laut Sen habe niemand nur eine Identität.

Lehren aus Bengalens Hungersnot

Sen wurde 1933 im indischen Bengalen geboren. Er wuchs in einem Professorenhaushalt während Indiens Unabhängigkeitsbewegung und der damals schweren bengalischen Hungersnot in den 40er Jahren auf. Damals starben bis zu 4 Millionen Menschen. Beides prägte ihn.

1998 erhielt er den Nobelpreis für Wirtschaft für seine grundlegenden theoretischen Beiträge zur Wohlfahrtsökonomie in Entwicklungsländern.

Die mit 25.000 Euro dotierte Auszeichnung wird am 18. Oktober zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse in der Paulskirche verliehen. (mit afp)

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