50 Jahre Maro Verlag: Propheten des Underground

Der Maro Verlag hat Bukowski, Kerouac und Fauser verlegt. Nun wird er 50. Die Verleger:innen Benno und Sarah Käsmayr blicken zurück – und voraus.

Wimmelbild mit einer rauchenden Frau auf einem Kanapee, einem tanzenden Charles Bukowski, Katzen und einem lesenden Menschen

Illustratorin Yvonne Kuschel hat für uns 50 Jahre Maro in ein Bild übersetzt Foto: Yvonne Kuschel

Alles beginnt mit einem einfachen Matrizendrucker. Der Schwager von Benno Käsmayr hat ein solches Gerät im Keller stehen. Es ist 1969, in Gersthofen bei Augsburg plant Käsmayr, 21 Jahre jung, ein selbstgemachtes Magazin in Kleinstauflage unter die Leute zu bringen.

Er setzt sich an die Schreibmaschine, tippt Seite um Seite, zieht Matrize um Matrize ab, umhüllt vom Spiritusnebel. Auf diese Weise entsteht „Das grosse Scheissbuch“, eine Art Dada-Undergroundmagazin. „Ich glaube, wir haben sogar sechs oder sieben Stück verkauft …“, sagt Käsmayr rückblickend und grinst dabei in sich hinein. Das Heft ist der erste Vorbote des Verlags, den er und sein Freund Franz Bermeitinger bald gründen sollen: des Maro Verlags.

„Eine Verlagsgründung im klassischen Sinne war das ganz sicher nicht“, sagt Benno Käsmayr. 1968 hatten er und Bermeitinger die Frankfurter Buchmesse und die „Gegenbuchmesse“ besucht und sich bei einem „Biertischbeschluss“ gesagt: Das, was die kleinen Verlage können, können wir auch. Käsmayr studiert zu dieser Zeit in München Mathematik – bis er aus Versehen Verleger wird: „Eigentlich wollte ich das eher so nebenher machen. Ich bin da halt so reingeschlittert.“

Mit Maro wollen die beiden die deutsche Literaturszene aufmischen. Die ist ihnen zu knöchern, behäbig, bieder. „Simmel war damals der Bestseller. Ich hatte ein paar Leute in München kennengelernt, die alle sagten, die konventionelle Literatur, das ist alles ein Krampf, wir müssen selber was machen.“

So kam die Idee, eine literarische Zeitung zu veröffentlichen, die schließlich der erste offizielle Maro-Titel wird. „Und“ heißt sie, erscheint im Januar 1970 in einer 200er-Auflage. Autoren der ersten Ausgabe sind unter anderem Guntram Vesper und Heike Doutiné, später schreiben auch Jörg Fauser und F. C. Delius für „Und“. „Maro“ nennen sie den Verlag nach den Ini­tialen zweier Brieffreundinnen Bermeitingers (Maria, Roswitha), außerdem ist Maro dessen Spitzname. Aktiv am Verlag bleibt Bermeitinger aber nur das erste halbe Jahr beteiligt.

Der erste Verkaufsschlager

Maro gibt es aber auch fünfzig Jahre später noch, 2020 ist Jubiläumsjahr. Heute führt Benno Käsmayr den Verlag gemeinsam mit Tochter Sarah. Während Ersterer in Augsburg lebt und arbeitet, hat Sarah Käsmayr seit März 2019 einen Verlagsraum in einem ruhigen Hinterhof in Berlin-Moabit. Dort sitzt sie bei einem Besuch Ende Juli am Schreibtisch, via Laptop hat sie ihren Vater aus Augsburg zugeschaltet.

Auf einem Tisch sind Maro-Titel ausgelegt, darunter Pia ­Klemps Roman über Seenotrettung („Lass uns mit den Toten tanzen“, 2019) und der Gedichtband „Brief vom Ende der Welt“ (2006) von der großen US-amerikanischen Lyrikerin Lisel Muel­ler.

Mit dem Maro Verlag verbindet man bis heute vor allem den Namen Charles Bukowski (der übrigens am 16. August 100 Jahre alt geworden wäre). Käsmayr veröffentlicht 1974 dessen ersten Lyrikband auf Deutsch, als Bukowski weder hier noch in den USA eine große Nummer ist („Gedichte die einer schrieb bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang“). Es ist der erste Verkaufsschlager, das Buch geht zwischen 1974 und 1979 stolze 54.000 Mal über die Ladentheke. In dieser Zeit fährt Käsmayr senior ziemlich oft mit seinem kleinen Fiat 600 zur Post, um Päckchen an die Buchhandlungen auszusenden. Vom Satz bis zur Auslieferung macht er alles selbst.

13 Bukowski-Titel führt Maro heute im Programm. Zum 10-jährigen Jubiläum hat Bukowski dem Verlag einst mit folgenden Worten gratuliert: „Benno entdeckte mich vor den größeren Verlagen. Die haben mich ihm aber weggenommen, denn − wie jede Hure − liebe ich Geld und Erfolg.“

Er schrieb übrigens auch, dass Benno Käsmayr für einen Verleger ganz schön still und zurückhaltend gewesen sei, als sie sich Jahre zuvor begegnet waren. Käsmayr ist tatsächlich keiner, der groß tönt. Er spielt sich nicht als Bukowski-Entdecker auf. Den ganz großen Erfolg habe Bukowski erst dank Zweitausendeins gehabt, sagt er.

Genug eingespielt hat der Großmeister des Schmutzes aus L. A. für den Maro Verlag dennoch: „Von dem Geld, das wir mit Bukowski verdient haben, habe ich eine Druckerei aufgebaut“, sagt Benno. „Ich wollte möglichst immer die Produktionsmittel im Haus haben, aus mehreren Gründen: erstens, weil es billiger ist; zweitens, weil ich viel flexibler bin und nicht auf jemand anders angewiesen bin; und drittens, weil ich die Kontrolle über die Qualität habe.“

Auch die Auslieferung macht der Verlag bis heute selbst. Ein Grund dafür ist, dass Maro so viele Titel wie möglich lieferbar halten will. Zudem wäre es zum Teil betriebswirtschaftlich Unsinn, die Auslieferung out­zusourcen. Den Hang zum Auto­didaktentum kommentiert Benno so: „Irgendwie sind wir so ’ne Gruppe, die sich alles selber beibringt.“

In den Siebzigern gehört Maro neben Melzer, März und Kiepenheuer & Witsch zu den Verlagen, die den US-Underground in Deutschland fördern. Autorinnen und Autoren wie Anne Waldman, Al Masarik, Jack Kerouac, John Fante und La Loca veröffentlichen in den Folgejahren bei Maro. Dem Bukowski-Übersetzer Carl Weiss­ner kommt dabei eine Mittlerrolle zu, erzählt Benno: „Carl hat mir dieses Zeug immer gegeben, zum Beispiel Harold Norse oder Jack Micheline. Ein paar Sachen haben wir aber auch selbst entdeckt. Ich hatte amerikanische Underground- und Literaturzeitschriften abonniert. Das war früher ein bisschen schwierig, damals musste man noch Dollars in Scheinen in die USA schicken und bekam dann Wochen später die Hefte.“

Boom der Alternativmagazine

Auch hierzulande erlebt die Alternativpresse einen Boom, es gründen sich Hefte wie Gasolin 23, Der fröhliche Tarzan und Der Gummibaum. Die deutsche Underground-Szene sei aber überschaubar gewesen, so Benno: „Das war nur ein halbes Dutzend Leute, die über Deutschland verstreut waren. Und ich war der Prophet nach draußen.“

Seit einigen Jahren ist eine Prophetin dazugekommen. Sarah Käsmayr passt ganz gut in das Anforderungsprofil Maro-Co-Chefin, auch sie ist der Typ (Selbst-)Macherin, Pragmatikerin, Anpackerin. Jenseits familiärer Hilfsdienste – als Kind klebte sie Etiketten auf Verlagsaussendungen – arbeitete Sarah erstmals nach dem Abitur „richtig“ im Verlag. „Eigentlich sollte ich Benno damals nur für drei Wochen vertreten. Am Ende blieb ich zwei Jahre.“ Nach Abschluss ihres Studiums – sie studierte Design in Bremen und Arnheim – widmet sie sich seit 2016 mehr und mehr dem Verlag, „bis es schließlich zu meiner Haupttätigkeit wurde“.

Der Spirit geht weiter

Kann und will sie Maro neu ausrichten? „Nein, ich muss nicht alles neu erfinden. Der Verlag hat eine Geschichte, deren Spirit mir zusagt. Neben guter Literatur und Lyrik ist da viel Wildes, Schräges und Schönes dabei.“ Daran wolle sie anknüpfen.

Neue Themen setzt die 33-Jährige trotzdem. Zum Beispiel, indem sie gemeinsam mit Zeichner Kolja Burmester die Reihe „Die Marohefte“ ins Leben gerufen hat. „Darin wollen wir uns gesellschaftspolitischen Themen widmen und uns ihnen in einer Mischung aus Essay und Illustrationen aus bestimmten Blickwinkeln nähern“, erklärt sie.

Die ersten beiden Hefte – zu Klimawandel und Kapitalismus sowie zum Mythos Jungfernhäutchen – sind nun erschienen. Sarah liegt viel an der Gestaltung der Bücher, so ist Lydia Dahers Gedichtband „Kleine Satelliten“ mit den Illustrationen von Warren Craghead III extrem aufwendig gestaltet (und erhielt den Förderpreis für junge Buchgestaltung 2017).

Ob sie – als Feministin, als die sie sich versteht –, jemals Probleme damit gehabt habe, Bukowski zu verlegen? „Nein. Ich finde es schwierig, Bukowski auf die Geschichten zu reduzieren, die von Gewalt gegen Frauen oder Vergewaltigungen handeln.“ Darüber hinaus widerstrebe es ihrem Literaturverständnis, Dinge, die in der Realität stattfänden, aus Texten zu entfernen: „Literatur leistet ja genau das: dass man sich Sachen vorstellen kann und dass man in Köpfe von Menschen hineingucken kann, deren Haltungen man vielleicht auch nicht in Ordnung findet oder die einem sogar zuwider sind.“

Sie nennt John Fantes Roman ‚Westlich von Rom‘ als Beispiel: „Darin wird aus der Perspektive eines Vaters erzählt, der abfällig darüber denkt und redet, dass sein Sohn eine Schwarze als Freundin hat. Da fragt man sich ja auch: ‚Wie kann der so etwas sagen und denken?‘“.

Immer noch mit Feuer am Werk

Den jüngeren Diskurs über Hegemonie und Repräsentation in der Sprache und Literatur findet sie gleichwohl wichtig: „Das Nachdenken darüber, wie Kunst und Sprache auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren kann und muss, halte ich für sehr wertvoll. Zum Beispiel, was das Gendern betrifft.“

Als Verlegerin achte sie bei der Programmgestaltung sehr genau darauf, dass bei den wenigen Titeln, die Maro macht – es sind in der Regel 4 bis 5 Titel pro Saison – Frauen genug Raum einnehmen. Nicht nur als Autorinnen, sondern auch als Illustratorinnen, Grafikerinnen, anderweitig Beteiligte.

Was das vielleicht Erstaunlichste an 50 Jahren Maro ist: Wie sich Vater und Tochter immer noch fast diebisch darüber freuen, wenn sie neue Autorinnen und Autoren entdecken oder alte wieder ausgraben (als nächstes steht etwa eine Wanda-Coleman-Veröffentlichung an). Mit wie viel Leidenschaft beide noch über das Lektorieren, das Setzen und Layouten, das Drucken und Falzen sprechen. So, als hätten sie gerade erst gestern entdeckt, welche Freude ein von vorne bis hinten selbst gemachtes Buch bereiten kann; so, als wäre noch mal 1970.

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