Graphic Novel über Emilio Salgari: Der italienische Karl May

Er erfand „Sandokan“ und den „Schwarzen Korsaren“: Eine Graphic Novel erzählt die Biografie des literarischen Freibeuters Emilio Salgari.

Eine Szene aus dem Comic

Szene aus „Sweet Salgari“ (Ausschnitt) Foto: Avant Verlag

Conan der Barbar, Indiana Jones, Lara Croft oder Luke Skywalker – so heißen die trivialen Helden des 20. Jahrhunderts. Sie wurden für verschiedene Medien – Romane, Comichefte, Filme oder Games – entworfen und haben im Laufe ihrer Karriere multimedial reüssiert. Seine erste Blüte erlebte das Abenteuergenre jedoch bereits im 19. Jahrhundert. Damals zogen die Fortsetzungsromane in Feuilletons und Magazinen die LeserInnen in ihren Bann. Auch Karl Mays Wildwest- und Orientfantasien üben trotz ihrer teilweise literarischen Angestaubtheit bis heute auf viele eine großen Reiz aus.

Anders erging es Mays Zeitgenossen, dem Italiener Emilio Salgari (1862–1911). Dieser geriet weitgehend in Vergessenheit. Dabei hatte er um 1900 kaum weniger populäre Figuren geschaffen. Und wird heute auch wieder gerne gelesen – clever vermarktet als „italienischer Karl May“.

Salgaris bekanntester Held ist wohl Sandokan, der Tiger von Malaysia. Er zog auch in der gleichnamigen Fernsehserie (in der Titelrolle: Kabir Bedi) in den 1970er Jahren vor allem Kinder und Jugendliche in seinen Bann, ebenso wie auch der Schwarze Korsar, dessen Abenteuer ebenfalls von der Stummfilmzeit bis heute mehrmals verfilmt wurden.

Der 1965 geborene italienische Comiczeichner Paolo Bacilieri hat Salgari bereits 2012 eine Graphic Novel gewidmet, die nun auf Deutsch veröffentlicht wird. Bacilieri arbeitet seit den 1980er Jahren als Comic­zeichner und fiel in regelmäßigen Abständen mit qualitativ hochwertigen Comics auf. Etwa mit Krimis wie „Barokko“ (1991) oder „Adios Muchachos“ (2011, beide erschienen bei Schreiber & Leser). Seine letzte Graphic Novel, „Fun“ von 2018 (erschienen im Avant Verlag), war eine kulturhistorische Detektivgeschichte um die Erfindung des Kreuzworträtsels Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie erinnerte in ihrer Struktur an Umberto Ecos Erzähltechniken.

Schwarz-weiße Tuschezeichnungen

„Sweet Salgari“ ist hingegen nun eine fragmentarisch erzählte Biografie. Sie nimmt einige bekannte Fakten aus Salgaris Leben auf, um daraus eine verträumte Fantasie von dessen prekärer Existenz zu machen. Der Zeichner will an den in Italien einst berühmten, dort heute ebenso wie in Deutschland oft vergessenen Autor erinnern, mit dem er Erinnerungen an die eigene Jugend in den 1970er Jahren und die TV-Serie „Sandokan“ verbindet.

Paolo Bacilieri: „Sweet Salgari“. Aus dem Italienischen von Myriam Alfano. Avant Verlag, Berlin 2020. 176 S., 25 Euro.

Wie die durchweg in feinen schwarz-weißen Tuschezeichnungen gehaltene Comicbiografie zeigt, war Salgaris Leben wenig spektakulär, aber deswegen keineswegs uninteressant. In jungen Jahren besuchte er eine Seefahrtschule, um dann auf einem Segelschiff anzuheuern. Er wurde jedoch übers Ohr gehauen und vor der apulischen Küste bei Brindisi ausgesetzt. Es sollte seine einzige Seereise bleiben.

Früh konsumierte er Abenteuerromane und Sachbücher über die entlegensten Winkel der Welt, bis er selbst mit dem Schreiben begann. Schon bald feiert er erste Erfolge mit seinen in Jugendmagazinen wie L’innocenza veröffentlichten Fortsetzungsgeschichten und brachte es sogar zu Ehrungen durch das Königshaus.

Der Autor Salgari heiratete die Schauspielerin Ida Peruzzi und gab seinen Kindern orientalisch klingende Namen, nach den Heldinnen und Helden seiner Romane. Trotz seines Ruhms – in Italien galt er als Erfinder des historischen Abenteuerromangenres – wurde er zu Lebzeiten nicht als „ernsthafter“ Schriftsteller anerkannt. Er duellierte sich mit einem seiner Kritiker und hatte Zeit seines Lebens finanzielle Schwierigkeiten. Durch einen extremen Knebelvertrag mit dem Florentiner Verlag Bemporad musste er in sehr kurzen Zeitabständen Romane am Fließband abliefern. Und fühlte sich bald ausgebrannt. Insbesondere, als seine Frau geisteskrank wurde und in eine Heilanstalt kam.

Nostalgisch und dezent ironisch

Bacilieri zeigt in einer seitenlangen Sequenz auf, wie ein emotionaler, bittender Brief der noch gesunden Ida Salgari an Verleger Bemporad abprallt. Stattdessen nimmt das Geschäft mit Salgaris neuester Schöpfung – der Roman „Sandokans Rache“ – seinen Lauf, bei der ein Illustrator in Neapel ein burleskes Foto zur Grundlage seiner Arbeit am Buchcover macht.

Bacilieri stellt wichtige Lebensabschnitte Salgaris nach. Das tut er auf nostalgische wie dezent ironische Weise – oft bewusst naiv in der Darstellung der Figuren und gelegentlich zeitgenössische Fotografien in die Seitenlayouts collagierend. Er zeichnet vor allem aber die Orte, in denen der Autor lebte: Verona, Venedig, Genua, Turin. Bacilieri entwirft ruhige Impressionen dieser Städte, in denen um die Jahrhundertwende das Bürgertum Wohlstand erlangte. Aber auch große Teile der Bevölkerung in Armut lebten.

Kontrastierend zu diesen Bildern von Salgaris Wirkstätten montiert er ausgewählte Texte aus dessen Romanen um den „Schwarzen Korsaren“, den „Algerischen Panther“ oder auch aus „Die Wunder im Jahr 2000“. In diesen beschwor Salgari auf schwelgerische Weise einen romantisch-exotischen Abenteuergeist, beschrieb aber auch barbarische Grausamkeiten.

Salgari kannte die Welten, die er in seinen Romanen beschrieb, nicht aus eigener Anschauung, sondern ausschließlich aus Büchern – ähnlich wie Karl May, der jedoch in späten Jahren den Orient bereiste. Die biografische Chronologie wird in Bacilieris Werk immer wieder unterbrochen, etwa wenn die gealterte, verbitterte historische Figur Salgaris zu sehen ist. Eines Apriltages im Jahr 1911 wandert diese gemessenen Schrittes durch die Straßen Turins, bis sie einen Wald erreicht, um sich dort selbst zu töten. Nach „Seppuku“-(Harakiri-)Art eines japanischen Samurai.

Eine Neuentdeckung wert

Bacilieri betont, dass Salgaris Abenteuerfantasien eine große Wirkung auf Kinder und Jugendliche gehabt haben müssen, indem er vor allem junge Menschen zeichnet, die zu Salgaris Beerdigung strömen.

So macht „Sweet Salgari“ neugierig auf einen unterschätzten Autor und dessen Werke, die heute nur noch Liebhaber des Abenteuer- und Groschenromans kennen. Im Unionsverlag ist zuletzt 2011 eines seiner Werke in neuer Übersetzung erschienen, „Sandokan – Der Tiger von Monpracem“. Es ist ein Roman, der durch seine Handlungsdichte, historische Genauigkeit und sprachliche Meisterschaft überrascht. Schon dieser zeigte, das Salgaris Œuvre eine Neuentdeckung wert wäre.

Der einem Fürstengeschlecht entstammende malaiische Pirat Sandokan wird heute als ein früher Freiheitskämpfer gegen die (britischen) Kolonialmächte gelesen. Als Verfechter eines unabhängigen Geistes. Eine profunde Kenntnis der dargestellten Länder und eine deutliche Impe­ria­lismuskritik sprach aus vielen von Salgaris Werken.

Im Vergleich zur schwer gebeutelten Bevölkerung Malaysias war Salgari selbst wohl eher ein Geknechteter seiner selbst. Der sein Talent aufrieb und an den ausbeuterischen Bedingungen des damaligen Verlagssystems zerbrach.

Bacilieri kann zwar keine tiefere Analyse liefern, weshalb sich Salgari in seinen Romanen stets so für die Unterdrückten eingesetzt hat, setzt ihm aber mit der gezeichneten Biografie ein anrührendes Denkmal, das bestens zum Einstieg in die Welt des Emilio Salgari geeignet ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.