Regisseur über Serie „We Are Who We Are“: „Universelle Identitätsfindung“

Regisseur Luca Guadagnino kennt man für den schwulen Coming-of-Age-Film „Call Me By Your Name“. Nun läuft seine Serie über adoleszente Suche an.

Junge Menschen am Strand

Zunächst verbindet die Menschen nichts außer, dass sie in einer US-Militärbasis in Italien leben Foto: Yannis Drakoulidis/HBO

taz: Herr Guadagnino, man kennt Sie für Kinofilme wie „Call Me By Your Name“ oder „Suspiria“, gerade feiert in Venedig Ihr Dokumentarfilm über den Schuhdesigner Salvatore Ferragamo Premiere. Mit „We Are Who We Are“ haben Sie nun allerdings erstmals eine Fernsehserie gedreht, die im US-Fernsehsender HBO startet. Fühlte sich das an wie etwas ganz Neues?

Luca Guadagnino: Ich habe dieses Projekt keine Sekunde lang wie eine Serie behandelt. Wir waren ja auch weit von der üblichen TV-Herangehensweise entfernt, wo die Folgen von mehrere Regisseuren inszeniert werden. Hier lag alles ausschließlich in meiner Hand. Deswegen habe ich nicht anders gearbeitet, als ich es bei einem Film getan hätte. Unser Drehplan war kein bisschen chronologisch; auf eine Szene aus der ersten Episode konnte eine aus der dritten oder vierten folgen.

Warum haben Sie diese Geschichte dann nicht als Kinofilm erzählt?

Mir wurde das Projekt schon in Serienform angeboten. Der Produzent Lorenzo Mieli klopfte mit der Idee zweier Drehbuchautor*innen bei mir an und fragte, ob ich nicht Lust hätte, eine Serie über Jugendliche und fluide Identitäten in einem US-amerikanischen Vorort zu drehen. Letzterer Aspekt interessierte mich nicht, aber ich schlug vor, stattdessen den Mikrokosmos einer Militärbasis unter die Lupe zu nehmen. Davon ausgehend habe ich dann zusammen mit Francesca Manieri und Paolo Giordano die Drehbücher geschrieben.

Im Zentrum der Serie stehen der 14-jährige Fraser und die etwa gleichaltrige Caitlin. Mit Teenagern auf Identitätssuche beschäftigen Sie sich nicht das erste Mal.

1971 als Sohn einer Algerierin und eines Italieners in Palermo geboren, promovierte über die Filme von Jonathan Demme und legte 1999 mit „The Protagonists“ seinen ersten eigenen Spielfilm vor. Der internationale Durchbruch gelang ihm zehn Jahre später mit „I Am Love“, in dem Tilda Swinton die Hauptrolle spielte. Seine Romanverfilmung „Call My By Your Name“ wurde 2018 als Bester Film für den Oscar nominiert. Beim Filmfestival in Venedig präsentierte Guadagnino, der mit seinem Lebensgefährten in der Lombardei lebt, gerade einen Dokumentarfilm über den Schuhdesigner Salvatore Ferragamo.

Moment, ich möchte nicht, dass hier der Eindruck entsteht, „We Are Who We Are“ sei eine Serie über Teenager. Vielmehr geht es hier um zwei Familien und deren Umfeld. Eltern, Jugendliche, junge Erwachsene. Zwei sehr spezifische und unterschiedliche Familien noch dazu: eine bestehend aus zwei Ehefrauen und dem Sohn der einen, die andere eine afroamerikanische Familie, der Vater ein schwarzer Amerikaner, die Mutter Nigerianerin. Die Spannung lag für mich konkret in diesen Konstellationen, zu der auch Freun­d*innen, Kolleg*innen, Nachbar*innen gehören. Und darin, dass diese Personen auf den ersten Blick nichts verbindet außer der Tatsache, dass sie in dieser seltsamen Welt leben, einer US-Militärbasis mitten in Italien.

Sie werden trotzdem zustimmen, dass gerade die Kids und ihr Alltag hier im Vordergrund stehen.

Dass Spannende an Teenagern ist einfach, dass ihr Dasein noch kein bisschen definiert ist. Die eigene Identität befindet sich in einem konstanten Stadium der Mutation, körperlich genauso wie innerlich. Und man muss irgendwie mit einer Welt kommunizieren, die einen nicht versteht: weder die Erwachsenen, die vergessen haben, was man als junger Mensch durchmacht, noch die Gleichaltrigen, die zwar in der gleichen Situation stecken, aber trotzdem ganz individuelle Erfahrungen machen. Die Subjektivität jugendlicher Veränderungserfahrungen ist einfach so interessant wie wenig andere Lebensphasen.

Glauben Sie, dass das Erwachsenwerden heute noch der gleiche Prozess ist wie in Ihrer Jugend?

Ja, sicher. Wenn ich an meine eigene Jugend zurückdenke, oder daran, wie meine Schwester sich mit 16 Jahren den Kopf rasiert hat – das könnten Kids heute genauso nachvollziehen. Natürlich hat sich die Gesellschaft verändert, Werte und Moralvorstellungen sind heute andere. Aber der Prozess der Identitätsfindung an sich ist gewiss ein universeller.

All die popkulturellen Referenzen in „We Are Who We Are“ – von der Musik von Blood Orange über Klaus-Nomi-Poster bis hin zu den Gedichten von Ocean Vuong – lassen doch sicherlich Rückschlüsse auf Ihren persönlichen Geschmack zu, oder?

Nein, ich präsentiere mich nie selbst vor der Kamera, auch nicht auf diese Weise. Ich denke immer nur an die Figuren, mich in sie hinein. So toll ich Ocean Vuong als Dichter und Schriftsteller finde, so sehr ist das in diesem Fall doch eher der Geschmack meines Protagonisten Fraser als mein eigener. Ich hatte ein sehr klares Bild von diesem jungen Kerl, der gleichzeitig ganz versunken ist in der neusten Gegenwartskultur, aber gleichzeitig auch Joan Didion liest und – wie Poster von Klaus Nomi oder „Blue Velvet“ in seinem Zimmer zeigen – einen Bezug zur Vergangenheit hat.

Die authentische Nähe, die Sie zu Ihren Protagonist*innen haben, erstreckt sich auch auf die intimeren Momente und Szenen, auf alles, was mit Nacktheit und Sexualität zu tun hat. Griffen Sie dafür, wie es jüngst bei Serien wie „Sex Education“ oder „Normal People“ üblich war, auf die Hilfe eines sogenannten Intimitätskoordinatoren zurück?

Nein, warum sollte ich?

Viele Ihrer Kolleg*innen und nicht zuletzt junge Schauspieler*innen finden es offensichtlich hilfreich, wenn jemand darauf achtet, dass gewisse Grenzen nicht überschritten werden und sich alle wohlfühlen.

Vermutlich macht ein Intimitätskoordinator Sinn, wenn es um Fragen der Haftung und Verantwortlichkeit geht. So wie es Stuntkoordinatoren gibt, Sicherheitsbeauftragte oder jemanden, der sich um die Tiere am Set kümmert. Also eine Person, die im Zweifelsfall gegenüber dem Konzern im Hintergrund oder deren Versicherung Aussagen treffen kann über die Regeln und Zustände am Set – und die verantwortlich ist, wenn etwas schiefläuft. Die jegliche Form von Unklarheiten und Grauzonen ausräumt, die ja in der Tat ein Arbeitsklima komplett vergiften können.

Warum wollen Sie so jemanden nicht engagieren?

Bei meinen Arbeiten habe ich die Notwendigkeit bislang nicht gesehen. Ich selbst sorge dafür, dass gar nicht erst Grauzonen entstehen. Von Anfang an bin ich jemand gewesen, der sehr eng und vertraut mit seinen Schauspieler*innen arbeitet. Ich nehme sie immer ernst und behandle sie als mündige Menschen. Offenheit, Sorgfalt und Respekt sind das A und O an meinen Sets, da herrscht immer eine Arbeitsatmosphäre, in der jeder alles aussprechen kann und man sich auf Augenhöhe begegnet. Ich wüsste gar nicht, was ein Intimitätskoordinator bei mir noch zu tun hätte.

In den vergangenen Monaten wurden gleich mehrere neue Projekte bekannt, an denen Sie arbeiten, darunter Remakes von „Scarface“ und „Der Herr der Fliegen“ sowie ein Film über den Hollywood-Zuhälter Scotty Bowers. Arbeiten Sie an all diesen Filmen gleichzeitig?

Keines dieser Projekte habe ich selbst offiziell bestätigt. Wenn es nach mir ginge, gäbe es diese Branchenmeldungen nicht. In der Tat sind das alles Optionen, die ich habe, und es ist alltäglich für Filmemacher*innen, mehrere Projekte gleichzeitig zu haben. Allerdings ist es müßig, sie laufend zu kommentieren, denn ob und wann welche tatsächlich realisiert werden, liegt nicht in meiner Hand. Aber solange ich nicht drehe, kann ich sehr gut meine Aufmerksamkeit auf verschiedene Projekte verteilen. Und solange nicht das Gegenteil feststeht, gehe ich auch bei allen davon aus, dass sie irgendwann umgesetzt werden.

Gehört dazu auch noch die mit Spannung erwartete Fortsetzung von „Call Me By Your Name“?

Das Wort Fortsetzung können Sie gleich streichen. Wie ich schon sehr oft gesagt habe, liebe ich diese Figuren und ich liebe ihre Darsteller*innen und würde mich freuen, sie zurückkehren zu lassen. Aber ohne ein zweites Mal auf die gleiche Hülle zurückzugreifen. Mir schwebt so etwas vor, wie es François Truffaut mit seinem Protagonisten Antoine Doinel gemacht hat. Der kam nach „Sie küssten und sie schlugen ihn“ in weiteren Filmen vor, aber das waren keine Sequels, sondern es wurde der Antoine-Doinel-Zyklus daraus. Vielleicht wird es eines Tages von mir den Oliver-Elio-Samuel-Annella-Zyklus geben. Warten wir’s ab.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.