Ausstellung „Hautnah“ von Barbara Baum: Luxus und Verführung

Die Deutsche Kinemathek in Berlin stellt Arbeiten von Barbara Baum aus. Kleider und Hosenanzüge belegen die eindrucksvolle Arbeit der Kostümbildnerin.

Straßenszene, drei Schauspielerinnen, Johanna Wokalek, Heike Makatsch, Maria Schrader, laufen mit den schwingenden Mantelsäumen über die Straße

Auch für „Aimée & Jaguar“ kamen die Kostüme von Barbara Baum zum Einsatz Foto: DFF/Senator Film

Wenn Kleider Leute machen – was macht dann ein „Kasack aus Crêpe de Chine mit Goldlamé-Tüpfeln“ aus einem Menschen? Und wie fühlt sich jemand, der ein „hautenges Abendkleid aus Silberlamé“ trägt, dessen Ärmel „übertrieben stark gepolstert“ sind?

In Rainer Werner Fassbinders luzidem Kriegsmelodrama „Lilli Marleen“ tritt die Schauspielerin Hanna Schygulla in den genannten Kleidern auf: Sie spielt die Sängerin Willie, die durch das Lied „Lili Marleen“ während des Zweiten Weltkriegs Karriere macht – und trotz Erfolgs bei den Nazis ihren jüdischen Liebhaber Robert nicht vergessen kann. Den „Kasack“, eine Bluse mit überschnittenem V-Ausschnitt, trägt sie im Film unter anderem bei einer Aussprache mit dem Liebsten: „Dir gefällt das doch“, wirft er ihr den offenen Schulter(polster)schluss mit den Mördern vor, „Du genießt die Vorteile die du dadurch hast.“ Sie antwortet: „In gewisser Weise … schon.“

Während sie die Szene spielt, leuchten die Blumen auf dem Kasack unter einem Polarfuchspelz, den sie um den Hals trägt – ein unfassbarer, geradezu unverschämter Luxus, der textil das unterstreicht, was Willie soeben zugegeben hat.

Die Kostümbildnerin Barbara Baum, der die Deutsche Kinemathek momentan eine Ausstellung mit dem Titel „Hautnah“ widmet, hatte die Kleider für Willie genauestens geplant. Zeichnungen mit detaillierten Beschreibungen wurden mit Stoffproben versehen, dazu kamen Fotos der Schauspieler*innen im Kostüm.

Meterweise Stoffproben

Geplant war die Show „zum Anfassen“ – man wollte Baums Arbeit und ihre überragende Stoffkenntnis auch Blinden und Sehbehinderten vermitteln. Wegen der Coronapandemie musste man ein wenig improvisieren: Wer den ersten der zwei Räume betritt, in dem auch meterweise Stoffproben auf Bügeln nebeneinander hängen, bekommt ein Tütchen mit Einmalhandschuhen ausgehändigt. So bleibt das Textil dann doch nur indirekt erlebbar – dennoch können die farbigen, golddurchwirkten Seiden- und Brokatstoffe ihre Wirkung entwickeln: Kostümbild ist eine umfassende kreative Anstrengung.

„Hautnah – Die Filmkostüme von Barbara Baum“, Deutsche Kinemathek Berlin, bis 3. Mai 2021, Öffnungszeiten unter www.deutsche-kinemathek.de/

Und die 76-jährige Baum, die für „Homo Faber“ auch mit Volker Schlöndorff zusammenarbeitete, ist eine Meisterin darin, sich einzufühlen: „Diese Intuition ist Barbara Baums große Stärke“, wird der Regisseur zitiert.

Im zweiten Raum der Ausstellung kann man das unmittelbar erleben: Hier stehen die Kleider, Mäntel, Hosenanzüge und Pelze auf Modellen, und richten ihre Botschaft an den oder die Betrachter*in. Denn wenn die Liebhaberin eines verheirateten Frankfurter Industriellen unerwartet in einem goldenen, tief dekolletierten Kleid auf dessen Geburtstagsparty auftaucht, dann teilt sie damit etwas mit: Hier bin ich, und ich schäme mich nicht. Mode ist Kommunikation – und Kostümbild, das im Rahmen eines eingerahmten Narrativs erschaffen wird, erst recht.

Das goldene Kleid der Rosemarie Nitribitt

Nina Hoss trug jenes goldene Kleid in Bernd Eichingers Fernsehadaption des 1958 entstandenen Spielfilms über den Femizid an der Prostituierten Rosemarie Nitribitt. Statuesk leuchtend wirkt das Kleid wie ein großes, vestimentäres Ausrufezeichen.

Inwiefern Eichinger die selbstermächtigende Komponente des Kleidungsstücks bewusst war, ist nicht klar – seine Kostümbildnerin hat sie auf jeden Fall erkannt. Zusammen mit Nina Hoss’ Film-Maske, dem blonden Haar und dem roten Lippenstift, wirkt es wie eine trotzige Marilyn-Monroe-Rüstung: Indem der Stil der US-Schauspielerin bewusst zitiert wird, bekommt der Stoff eine zusätzliche Ebene. Hoss alias Nitribitt, die nach der Szene im Goldkleid sterben wird, drängt den Zuschauer*innen ihre von der High Society ignorierte Präsenz geradezu auf, und stellt sich damit selbstbewusst neben die Damen der besseren Gesellschaft.

Die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Barbara Baum arbeitet seit dem Ende der 1960er Jahre vor allem für historische Filme. Ihre Entwürfe, das kann man in einem langen Interviewvideo erfahren, folgen den Entwicklungen der Filmfiguren: Sie sollen „Gefühle ausstrahlen“, sagt sie. Wenn etwa „Effi Briest“, 1974 verfilmt von Rainer Werner Fassbinder, im Laufe der Geschichte immer ernster wird, muss sich auch das Kostüm zurückhalten.

Das „Kostüm“, in dem sich die Deutsche Kinemathek zeigt, hat sich übrigens ebenfalls etwas geändert: Seit Anfang Oktober empfängt das Haus in einem neuen, überarbeiteten Corporate Design, das sich in rundlichen Fonts und bunten Flyern zeigt. Auf jeder Etage gibt es Sitzgelegenheiten, die Stoffsessel wurden aus Theaterauflösungen „upgecycelt“, und verhelfen dem kühlen Glasbau zumindest an ein paar Ecken zu einer redseligen Gemütlichkeit. Und vor dem Bau flattern ein paar neue Flaggen: Auch sie laden zur Kommunikation ein.

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