Ausstellung und Wettbewerb zur Mode: Wo die Mode gemacht wird

In Stuttgart fragt man: „Fashion?! Was Mode zu Mode macht“. In Triest antwortet man: Anerkennung, Gespräch, Zusammenhalt.

Buntes abstraktes Bildmuster von Willi Baumeister

Stoffdesign von Willi Baumeister, entworfen 1954 für die Textildruckfirma Pausa in Mössingen Foto: Landesmuseum Württemberg, Hendrik Zwietasch

Fritz Münch entwarf 1954 für „Münch. Die Herrenschneider“ in Stuttgart den sogenannten Telefonanzug. Der schmal geschnittene, dreiteilige Anzug aus safranfarbener Seide, bestehend aus Hose, Jackett und statt der Weste aus einem sportlichen Hemd mit Reißverschluss, hatte tatsächlich schon extra in das Jackett und seine Ärmel eingelassene Taschen für das tragbare Telefon. Fritz Münch sah es noch in seiner damaligen Form als Telefon mit Wählscheibe und dem über Kabel verbundenen Hörer, nur etwas miniaturisiert.

Wie kommt ein Herrenschneider ausgerechnet in Stuttgart, das auch in den 1950er Jahren keine Weltstadt war, dazu, sich derart avantgardistische Gedanken zu technologisch instruierter Kleidung zu machen? Wo wir doch jederzeit glauben, diese Idee wäre erst neueren Datums und mit der Digitalisierung entstanden. Die große Landesausstellung 2020 im Landesmuseum Württemberg „Fashion?! Was Mode zu Mode macht“, in der das Kleidungsstück ausgestellt ist, stellt diese Frage in den Kontext allgemeinerer Fragen.

Sie drehen sich in vier Ausstellungskapiteln um das Leben mit Mode, das Machen von Mode, das Zeigen von Mode und schließlich das Tragen von Mode, also um diejenigen Praktiken, die Mode als solche ausdifferenzieren.

Mode machen, in dieses Register fällt der Telefon-Anzug unbedingt und steht – obwohl erst einmal repräsentativ für das Modeschaffen in Stuttgart in den 1950er Jahren – zu Recht vor dem Herrenoutfit mit Rock, das Jean-Paul Gaultier 1999 auf den Laufsteg brachte. Mode nicht nur aus der globalen, sondern ganz bewusst aus der regionalen und lokalen Perspektive zu betrachten: das ist die große Stärke der Ausstellung.

Der Glanz von Dior

Denn Mode wird in der Provinz gemacht. Der Glanz etwa von Dior stammt von jeher aus Pforzheim und zwei Ausstellungsstücke – ein Jumpsuit für Julien Macdonald aus dem Jahr 2004 und ein 1954 von Pierre Balmain entworfenes Abendkleid – sind Leihgaben aus Wattens, einem Kaff in Tirol, wo sich schon der Begründer der Haute Couture, Charles Frederick Worth, die Kristallsteine für seine Abendroben bei Swarovski holte. So wie es heute Prada, Alexander McQueen oder Jimmy Choo tun.

Die Latschen von Steve Jobs, die im letzten Ausstellungskapitel „Mode tragen!“ zu sehen sind, haben ihren Ursprung in Linz am Rhein, von wo aus die Firma Birkenstock seit geraumer Zeit die Modewelt aufmischt. Gerade in diesem Sommer musste, wer modisch auf sich hielt, das Modell Arizona an den Füßen haben. Allein zwischen April und Juni stieg die Nachfrage nach dem Gesundheitsschuh mit dem bequemen Fußbett um 225 Prozent.

Die Sneaker neben den Birkenstocks hat dann US-Rapper Kanye West für Adidas entworfen, den weltweit zweitgrößten Sportartikelhersteller aus dem fränkischen Herzogenaurach, der längst ein bedeutenden Player in der Modewelt ist. Mode machen, das ist auch für Baden-Württemberg ein wichtiges Thema.

Mit der Textil- und Bekleidungsindustrie begann schon im 18. Jahrhundert die frühe Industrialisierung und damit die Erfolgsgeschichte des Landes. Spinnereien, Webereien wie etwa die 1766 gegründete Württembergische Cattunmanufaktur in Heidenheim oder Textildruckunternehmen wie die Pausa AG in Mössingen, die ab 1921 mit dem Deutschen Werkbund und dem Bauhaus zusammenarbeitet und deren Belegschaft 1933 den Mössinger Generalstreik gegen die Nazis initiierte, waren noch bis in die 1970er Jahre ein wichtiger Wirtschaftszweig.

Die alten Strickmaschinen auf der Alb werden ausgemottet

Und wenn das auch schon lange her ist: So lange ist es nicht her, dass Wissen und Infrastruktur völlig verloren gegangen wären. Deshalb können, so erfährt man in der Ausstellung, heutige Designer auf die Alb fahren und lokale Hersteller ermuntern, ihre alten Strickmaschinen auszumotten und ihnen die Trikotstoffe für ihre nachhaltigen Entwürfe zuliefern.

In einer kleinen Nische steht deshalb ein Ensemble aus Poloshirt und Shorts für einen kleinen Jungen von Bleyle (gegründet 1889 in Stuttgart, geschlossen 1988) neben einem Kinderstrickensemble aus Biogarn von Macarons Fashion (gegründet 2011 in Stuttgart), deren Stoffe auf der Schwäbischen Alb hergestellt werden.

Mode nicht nur aus der globalen, sondern auch aus der regionalen Perspektive zu betrachten, ist die große Stärke der Ausstellung

Die Ausstellungskuratorinnen Maaike van Rijn und Raffaela Sulzner griffen auf die Sammlung des Modemuseums im Residenzschloss Ludwigsburg zurück, um ihre vestimentären wie archivalischen Schätze zu bergen. Das Zweigmuseum des Landesmuseums besitzt rund 700 Kostüme und Accessoires des 18. bis 20. Jahrhunderts, wobei die Mode des Rokoko im Zentrum steht.

Bewusst setzten sie nun aber in den 1950er Jahren ein, als nicht mehr nur großbürgerliche Kreise eine ostentative Bereitschaft zur Identifikation mit der saisonalen Definition von Kleidung und Accessoires durch große Couturiers an den Tag legten, sondern vor allem die Jugendlichen erstmals ihre Ideen von einem coolen Auftritt in Kleidern artikulierten. Die stammten dann allerdings gerne von Modemachern, die in ihrer Sub- oder Gegenkultur verwurzelt waren.

Anders als die Society-Damen waren die Jugendlichen laut und diskussionsfreudig. Ihr Erscheinen machte deutlich, dass Mode sich in einem komplex codierten Kommunikationsprozess gegenüber Bekleidung ausdifferenziert. Entsprechend großen Raum geben die Kuratorinnen daher den Protagonist*innen des Modediskurses. Neben De­sig­ne­r*in­nen, Models, Stilikonen, Redak­teu­r*in­nen und Foto­gra­­f*in­nen der Modepresse, gehören dazu nun auch Social Media und deren Influen­ce­r*in­nen sowie selbstverständlich die Aus­stel­lungs­be­su­che­r*in­nen.

Männliche Model liegt ma Boden, eingehüllt in überdimensioniertes Sakko

Jackett aus Noa Baruchs Kollektion 2020 beim International Talent Support Foto: ITS Triest

Doch nicht nur die Protagonisten, auch die Themen wechseln, sind Zeitgeschehen und Zeitgeist doch kardinaler Bestandteil modischer Kommunikation. T-Shirts wie „Atomkraft? Nein danke“, 1975 von Anne Lund entworfen, bis zu „We Should All Be Feminists“, 2017 von Maria Grazia Chiuri für Dior auf den Laufsteg gebracht, dokumentieren über die Jahrzehnte hinweg wann welche gesellschaftspolitischen Themen auf der Agenda standen.

Jetzt ist natürlich Corona das auch die Mode beherrschende Thema, freilich erst einmal dahingehend, dass sie durch das Virus stillgelegt wird. Auch ITS, der International Talent Support für aufstrebende De­sig­ne­r*in­nen, wurde vom Juli erst auf den 23. Oktober verschoben und konnte dann doch nur virtuell stattfinden. International anerkannt, ist der Wettbewerb ein Leuchtturmevent im Bereich der Mode und belegt ein weiteres Mal: Mode wird in der Provinz gemacht. Denn sein Austragungsort ist Triest, das in Italien nun nicht der Ort ist, der sonst für Mode stünde.

Aber Barbara Franchin, die ITS 2002 ins Leben rief, wusste einen Salon zu gründen, in dem zusammenkommen zu können für Talente, Produzenten, Dozenten, Kritiker, Kuratoren und Sponsoren weltweit extrem attraktiv ist. Den Trend, der sich im Wettbewerb dann abzeichnete, zeigten in nuce Syna Chens im Schnitt minimalistischen, dann aber voluminös aufgeblasenen Modelle, für die sie den erstmals vergebenen und mit 5.000 Euro dotierten ITS Press Choice Award erhielt.

Bis 25. April (zurzeit geschlossen), Landesmuseum Württemberg, Stuttgart, Katalog (Belser Verlag) 10 Euro; Pop-up-Store in der Calwer Str. 42-44. ITS: https://www.itsweb.org

Viel Volumen, viel Wolle, viele Lagen und viele Größen zu groß, tendenziell brutalistisch: Das scheint der gemeinsame Nenner, wobei der israelische Designer Noa Baruch dieses Prinzip mit seinen riesigen Trenchcoats und Anzügen in einen faszinierend überdimensionierten Karomuster am glamourösesten realisierte. Für seine Demin-Variante erhielt er den mit 10.000 Euro dotierten ITS Diesel-Award. Wertvoller als das Geld machen die insgesamt 15 Preise die mit ihnen verbundenen Mentorship- und Residence-Programme, die Praktika, Tutorien und Publikationen. Denn der Entwurf ist wie das unveröffentlichte Foto. Was Mode zu Mode macht, ist Wahrnehmung, Anerkennung, Diskussion.

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