Aktivistin zu Abtreibungsverbot in Polen: „Eine unfassbare Frustration“

Die Berliner Gruppe Ciocia Basia hilft ungewollt Schwangeren aus Polen, einen Abbruch zu bekommen. Die Aktivistin Anne Pfautsch spricht über ihre Arbeit.

Eine Demonstrantin hart roten Pfeil uber das rechte Auge geschminkt und trägt einen regenbogenfarbenen Mund-Nasen-Schutz

Eine Demonstrantin während des Protests gegen das polnische Abtreibungsgesetz in Warschau Foto: Agencja Gazeta/imago

taz: Frau Pfautsch, das polnische Verfassungsgericht hat ein faktisches Totalverbot von Schwangerschaftsabbrüchen erklärt. Was bedeutet das Urteil für Ihre Arbeit?

Anne Pfautsch: Wir werden seit der Entscheidung am letzten Donnerstag von Mails überflutet. Schwangere Menschen in Polen, die einen kranken Fötus in sich tragen, kontaktieren uns. Manche hatten schon Termine für einen Abbruch vor Ort, die sind jetzt gecancelt. Die Menschen sind wütend und verzweifelt.

Können Sie Ihnen helfen?

Schon bisher waren Abbrüche in Polen weitgehend eingeschränkt. Die, die durch die Gesetzesänderung jetzt verboten wurden, haben 95 Prozent der wenigen bisher legalen Abbrüche ausgemacht. Da geht es um die fötale Indikation, also Fälle, in denen der Fötus krank ist oder nicht lebensfähig sein wird. Das wird oft erst spät klar. Spätabbrüche sind aber auch in Deutschland kompliziert und teuer. Auch hierzulande, das vergessen viele, sind Abbrüche gesetzlich verboten und nur unter bestimmten Bedingungen bis zur 14. Schwangerschafswoche straffrei.

Was können Sie also tun?

Wir haben vor fast einem Jahr ein europaweites Netzwerk gegründet, Abortion Without Borders, das aus sechs verschiedenen Gruppen aus Polen, den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland besteht. Dieses Netzwerk ist enorm wichtig: Wir organisieren zusammen, wie wir den ungewollt Schwangeren am besten und schnellsten helfen können.

Welche Länder kommen infrage?

Für Spätabbrüche schicken wir die Menschen entweder nach Großbritannien oder in die Niederlande, Spanien und Belgien sind auch möglich. Ansonsten organisieren wir den schwangeren Menschen bis zur achten Woche Pillen für einen medikamentösen Abbruch oder sie kommen für einen operativen Eingriff nach Berlin. Wir stellen ihnen auch eine Unterkunft zur Verfügung, begleiten sie zu den Vorgesprächen und dem Abbruch und übersetzen für sie.

Können Sie schon schon einschätzen, wie sich die Anfragen entwickeln werden?

34, engagiert sich bei Ciocia Basia Berlin. Die Aktivist:innen der Gruppe, die auf Deutsch „Tante Barbara“ heißt, unterstützen ungewollt Schwangere aus Polen dabei, Abbrüche zu bekommen.

Vor Corona hatten wir zwei bis drei Anfragen pro Woche wegen Pillen und drei bis vier von Menschen, die dann für operative Eingriffe nach Berlin kamen. Seit Corona hat sich das verdoppelt. Und seit der Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts ist per Mail, Social Media und Telefon extrem viel los – sowohl, weil die Leute sich prophylaktisch informieren wollen, als auch, weil sie konkrete Unterstützung benötigen. Die polnischen Gruppen sind momentan überlastet, so dass diejenigen bei uns, die polnisch sprechen, zum Teil deren Telefonschichten übernehmen.

Was erzählen Ihre polnischen Partner:innen?

Die sind die ganze Zeit auf den Beinen, auch wegen der Demos. Da ist eine unfassbare Frustration, die sich gerade Bahn bricht, da sind aber auch viele Tränen. Seit 2016, seit den sogenannten schwarzen Montagen, gehen die Leute auf die Straße, um genau diese Verschärfungen zu verhindern. Jetzt sind sie da.

Was bedeutet das Urteil für die gesellschaftliche Wahrnehmung von Abbrüchen in Polen?

Die Situation ist ja schon lange ziemlich schlimm. Bis 1993 waren Abbrüche erlaubt. Seitdem wurden Rechte von Frauen und lesbischen, schwulen, bi-, trans, queeren, intersexuellen und asexuellen Menschen extrem eingeschränkt. Abbrüche sind stigmatisiert, ungewollt Schwangere sind Anfeindungen ausgesetzt. Uns wird immer wieder gesagt: Wer nach Möglichkeiten für Abbrüche googelt, findet vor allem Webseiten, die suggerieren, man werde in der Hölle schmoren. Es braucht Stärke, um sich in einer solchen Situation überhaupt für einen Abbruch zu entscheiden.

Erreichen Sie mit Ihrem Angebot viele Menschen?

Mittlerweile schon. Wir haben viel geflyert, Sticker geklebt, Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Wir bekommen Anfragen von Menschen aus allen Schichten, aus Städten und vom Land, das war anfangs bestimmt anders. Aber natürlich werden trotzdem Leute durchs Raster fallen.

Das heißt, sie tragen ungewollt kranke Föten aus.

Oder sie greifen auf unsichere Abbrüche zurück. Ein Verbot bedeutet ja nicht, dass es keine Abbrüche mehr gibt – es heißt nur, dass diese für die Betroffenen lebensgefährlich werden. Ich hoffe, dass Menschen in Not uns kontaktieren, weil wir garantieren, dass sie bei uns sichere Abbrüche bekommen.

Wie organisieren Sie sich jetzt?

Wir wollen vor allem noch sichtbarer werden und mehr Spendengelder akquirieren. Bisher sind wir zum Beispiel kein eingetragener Verein, weil wir dann über unsere Ausgaben rechenschaftspflichtig wären. Solche zusätzlichen Belastungen, wenn sie zum Beispiel ihre Reise buchen, wollten wir den Menschen nicht zumuten. Jetzt überlegen wir, wie wir das künftig bewerkstelligen können.

Bekommen Sie momentan viele Spenden?

Ja. Wir erfahren gerade eine Welle der Unterstützung: Leute geben Geld, zum Beispiel für unsere Kampagne auf Gofundme, oder sie melden sich, um der Gruppe beizutreten. Das ist schön. Und dennoch bedeutet Sichtbarkeit auch, dass es Gegner auf den Plan ruft. Wir bekommen gerade auch viele Hassmails.

Hätten Sie sich eine politische Reaktion aus Deutschland erhofft?

Erhofft schon, aber damit gerechnet habe ich nicht. Abbrüche stehen hierzulande neben Mord und Totschlag im Strafgesetzbuch. Diese rückwärtsgewandte Entwicklung vollzieht sich transnational und betrifft nicht nur Polen.

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