Online-Theater in Hannover: Generation Homeschooling

Theresa Henning sucht im Lockdown den „Beginn einer neuen Welt“. Ihr in Hannover uraufgeführter Text trifft den Duktus genervter Jugendlicher.

Eine Theaterschauspielerin in einem Raum voller Scheinwerfer

Momentaufnahmen eines Lebens­gefühls: vom ­Lockdown genervt Foto: Isabel Machado Rios

Herzrasen als Groove für mäanderndes Denken. Das in existenzielle Verlorenheit abtaucht und platzend vor Lust auf anderes wieder auftaucht. Zermürbendes Realitätsgrau und geahntes Morgenrot im steten Wechsel, das ist „Der Beginn einer neuen Welt“. So betitelt Theresa Henning ihr neues Stück.

Die Berliner Autorin, Regisseurin und Schauspielerin sollte am Schauspiel Hannover zwar etwas anderes inszenieren, aber dann kam Corona und sie nutzte das quarantänisierte Leben, um den Diktatoren der Vernunft wie auch den dämonischen Gegenspielern in ihrem Kopf zu lauschen und diesen inneren Monolog aufzuschreiben.

Das Ergebnis wusste wohl zu beeindrucken, jedenfalls wurde die Produktion des ursprünglich geplanten Stücks abgebrochen und Henning konnte ihren Text für alle ab 14 Jahren uraufführen. Zumindest als Onlinepremiere, die laut Theaterangaben von 4.156 Personen aufgerufen wurde. Das sind 20 Mal so viele Menschen, wie bei einer analogen Premiere in der Spielstätte Ballhof 2 Platz gefunden hätten.

Für drei Stimmen ist der Text geschrieben. Auf die Bühne tritt ein Schauspieltrio, um sich mit jugendlichem Furor zu beschweren. #corona. Die eigentlich von Austausch, Ausprobieren und Orientierung gekennzeichnete Adoleszenz läuft ins Leere. Der Stillstand des öffentlichen Lebens und die eingeschränkte Selbstbestimmung sorgen für Stress. Wer sich nicht damit abzufinden vermag, lehnt sich gegen das Unvermeidbare auf, leugnet die Pandemie oder verfällt Verschwörungstheorien.

„Der Virus öffnet uns die Augen“, heißt es hingegen bei Henning. Für sie befördert der Lockdown eine Offenheit gegenüber der Unsicherheit. Sie entdeckt, dass die Welt schon immer ungewiss gewesen ist – viele aber wohlstandsvergessen gelernt haben, das auszublenden.

Unbehagen an der Alltagskultur

Keine neue Erkenntnis, passt aber gerade sehr gut. Das coronabedingt eingeschränkte Leben wird zum Anlass, ganz grundsätzlich das Unbehagen an der Alltagskultur zu formulieren. „Nur leere, hohl gewordene Konzepte“ werden konstatiert, „diesem zu Tode konditionierten Sein, dem maschinellen Fühlen“ Absagen erteilt.

Gut gelingt, die Hüpf-, Sprung-, Flugbewegungen des wilden Denkens auf den Rhythmen zeitgenössischer Popmusiksplitter in körperliche Bewegungen umzusetzen. Auf und um ein achteckiges Podest wird viel getanzt und getobt im leeren, dank drangsalierender Projektionen von Stahlskulpturen flirrenden Raum.

Beglückend auch die Arbeit der durchs Geschehen irrlichternden Kameraleute. Sie stellen eine Nähe zwischen den Spielenden her, die es coronaverordnungsbedingt auf der Bühne gar nicht geben darf.

Drang nach Ablenkung

Der Text trifft wunderbar den Duktus fragmentarischen Räsonierens einer gerade von Homeschooling, digitalem Studium oder Leerstellenmangel genervten Generation. Ihr Drang nach Ablenkung mag noch so immens sein, es pulsiert auch das Bedürfnis nach Veränderung – ebenso wie die Angst davor, hat doch niemand konkrete „Ambitionen, Pläne und Konzepte“.

Ob das Schauspieltrio nun verträumt im Liegen artikuliert oder lautstark mit kämpferischer Gestik seine Sätze illustriert, meist sind es Versuche schwärmerischen Aufbrechens. Die Utopie wird mit Worten beschrieben, die auch jede PR-Agentur als positiv konnotiert in den Raum unendlicher Möglichkeiten werfen würde – „Leben“, „keine Begrenzung mehr“, „Transformation“, „Einheit der Gegensätze“, „Liebe“, „Freiheit“.

Alles kommt verzweifelt bedeutungsvoll und pathosgetränkt daher. Ist eben Ausdruck einer Suchbewegung nach einer neuen Welt mit klischeehaften Worten der alten Welt. Klassische Dialoge und eine narrative Konstruktion mit Anfang und Ende haben da keinen Platz. Schauspielerisch und inszenatorisch spürt die Produktion das Warum der jugendlichen Widerstandssehnsucht auf, ohne Ahnung, wohin damit. Authentisch wirken so die Momentaufnahmen eines diffusen Lebensgefühls.

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