Medizinstudierende im Corona-Einsatz: Vom Ministerium verarscht?

Medizinstudierenden in Hannover wurde versprochen, ihr Corona-Einsatz in der Klinik werde als Praktikum anerkannt. Nun rudert das Ministerium zurück.

Eine Pflegerin versorgt einen Patienten.

Hilft, lässt sich aber nur in den Semesterferien als Praktikum anrechnen: Pflegedienst in der Klinik Foto: Frank Molter/dpa

OSNABRÜCK taz | Wer anderen hilft, hat Dank verdient. Zumal wenn dieser Dank vorher versprochen wird. Wird er vergessen, droht Verbitterung.

Lennart Simon, der Vorsitzende der Studierendenvertretung Asta der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), weiß, wie sich eine solche Verbitterung anfühlt. Viele Medizinstudierende waren Mitte März einem Hilferuf von Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler gefolgt, sich freiwillig zum Klinikeinsatz zu melden, um in Coronazeiten Versorgungsengpässe abzufedern. Thümler appellierte, „sich dort zu engagieren, wo jetzt dringend Hilfe gebraucht wird“. Man leiste „damit einen wertvollen Beitrag in dieser Krisensituation“.

Auch für den Einsatz zum Dienst auf den Intensivstationen der MHH gab es viele Freiwillige. Simon: „Rund 1.000 haben sich gemeldet. Die Bereitschaft war wirklich groß.“ Der Einsatz dauerte von März bis Juni. Und es war nicht nur Tarifbezahlung vereinbart. Als zusätzlicher Dank war die Anerkennung als eines der Pflichtpraktika zugesagt, die das Medizinstudium vorschreibt, von MHH-Präsident Michael P. Manns persönlich. Simon: „Das war eine sehr, sehr gute Zusammenarbeit. Das Präsidium hat sich auch im Nachgang stark dafür eingesetzt.“ Aber genau diese Anerkennung steht jetzt auf der Kippe.

Auch Simon war einer der Freiwilligen. Er hat auf Station 81 der MHH ausgeholfen, Viszeralchirurgie. „Ich hatte zwar nicht direkt mit Covid-Patienten zu tun. Aber das System entlastet habe ich dadurch natürlich schon.“ Er hat das gern getan. Aber dass Manns’ Zusage nun nicht mehr gilt, macht ihn zornig.

Lennart Simon, Asta-Vorsitzender der Medizinischen Hochschule Hannover

„Persönlich bin ich sehr enttäuscht, dass nicht eingehalten wird, was uns versprochen wurde“

Die MHH ist daran schuldlos. Der Grund ist ein behördliches Verantwortungsgezerre. „Das niedersächsische Wissenschafts- und das Gesundheitsministerium schieben sich das hin und her“, sagt Simon. Formaljuristisch hat alles seine Ordnung. Aber es ist das falsche Signal.

Es geht um die Frage, ob Pflichtpraktika nur in der vorlesungsfreien Zeit absolviert werden können. Eine Anerkennung sei „solange möglich, wie kein studentischer Unterricht besteht“, sagt Tobias Welte, der Vizepräsident der MHH. Also in den Semesterferien. Oder wenn das Studium ausgesetzt ist, durch Corona etwa.

Das Problem: Am 20. April fingen die Lehrveranstaltungen wieder an, wenn auch nur digital. Welte: „Mit Beginn des studentischen Lehrbetriebs gab es dann nach Studienord­nung keine Möglichkeit mehr, die Arbeit als Praktikum anzuerkennen.“ Es gebe hier „klare Vorgaben seitens der Landesprüfungsämter, die wir leider nicht beeinflussen können“.

Wissenschaftsminister Thüm­ler selbst habe im März gegenüber den Studierenden kein Anerkennungsversprechen abgegeben, so Heinke Traeger, Pressesprecherin des Wissenschaftsministeriums. Aber es gebe ein Dankesschreiben an die Freiwilligen, die „die Krankenversorgung in dieser schwierigen Zeit mit Engagement unterstützt“ haben. In ihm erwähne Thümler, er habe sich „gegenüber dem Niedersächsischen Zweckverband zur Approbationserteilung (Nizza) dafür einsetzt, dass es den Medizinstudierenden ermöglicht wird, dass auch in der Vorlesungszeit abgeleistete Zeiten auf die Famulatur bzw. den Krankenpflegedienst anerkannt werden“. Eine Antwort stehe noch aus.

Seit August kämpfen die Studierenden nun schon. Ohne Erfolg. Jetzt ist der zweite Lockdown da. Wieder stehen die Studierenden bereit auszuhelfen. Erneut auch in der Hoffnung auf Praktika-Anerkennung. Und noch immer ist nichts geklärt. „Persönlich bin ich sehr enttäuscht“, bilanziert Simon, „dass nicht eingehalten wird, was uns versprochen wurde“. Studierende, die in der Pandemie ausgeholfen haben, hätten „die Anerkennung unserer Meinung nach schnell und unkompliziert verdient“.

Präsidium, Dekanat und Landesprüfungsamt sei kein Vorwurf zu machen. Simon, bündig: „Der Ball liegt ganz klar bei der Landesregierung.“ Dort gelte es, eine Änderung der Approbationsordnung zu erwirken – oder die aktuelle zugunsten der geleisteten Dienste auszulegen. Und dann rechnet Simon seinen eigenen Fall vor: Arbeitszeit vom 3. April bis zum 31. Mai, erster Monat zu 100 Prozent, zweiter zu 75. Angerechnete Tage: 17. Ernüchternd.

Was in Niedersachsen (noch) nicht zu gehen scheint, geht in Nordrhein-Westfalen übrigens sehr wohl. Die Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN) lobt das. Die ÄKN halte „die Regelung aus unserem Nachbarland für pragmatisch und gut“, sagt ihr Sprecher Thomas Spieker. „Wir weisen in Gesprächen in der Landeshauptstadt immer wieder darauf hin.“

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