Tanztage-Kurator über Coronazeiten: „Am Rand eines Burn-outs“

Mitten in der Coronapandemie wurde Mateusz Szymanówka neuer Kurator der Tanztage Berlin. Ein Gespräch über die Herausforderungen der Stunde.

Porträt von Mateusz Szymanówka

Mateusz Szymanówka, Kurator der Tanztage Berlin Foto: Jakub Swietlik

taz: Herr Szymanówka, Sie haben Ihren neuen Job im Sommer 2020 angetreten. Seitdem versuchen Sie das Unmögliche: Tanz in Zeiten der Pandemie zu programmieren. Wie steht es denn um Ihre Frustrationstoleranz?

Mateusz Szymanówka: Frustration ist ein starkes Wort, aber unangenehm war die Erfahrung als Vertreter einer Institution, eine Art Polizist zu werden und ständig zu sagen, was nicht geht. Ich habe aber auch entdeckt, dass ich recht widerstandsfähig bin. Nicht nur in Bezug auf die pandemischen Arbeitsbedingungen sondern auch auf die Tatsache, dass in diesem Jahr die dreißigste Ausgabe der Tanztage stattfindet: ein Jubiläum, mit dem hohe Erwartungen verknüpft sind. Ich habe beschlossen, nicht der Gefahr zu erliegen, etwas zu präsentieren, was ich nicht selbst fühle. Im Punkt Planen und Pandemie habe ich aus meinen Erfahrungen beim Performing Arts Festival im Frühjahr 2020 gelernt: Wir mussten damals in Windeseile eine Online-Version entwickeln. Das wollte ich nicht noch einmal haben.

Warum haben Sie sich entschieden, die Tanztage in eine Online- und Offline-Ausgabe zu splitten und sie nicht im Gesamten in den April zu verschieben?

Es war mir klar, dass sich die Situation nicht so schnell ändern würde und dass es, auch wenn die Theater wieder aufmachen, Leute geben wird, die es sich aus gesundheitlichen Gründen noch nicht zutrauen, sie wieder aufzusuchen. Daher wollte ich auf jeden Fall auch ein Online-Programm bieten. Und zwar eines, das als solches konzipiert ist. Ein anderer pragmatischer Grund: Auf diese Art können wir mehr als 20 Leute rechtzeitig bezahlen. Ich glaube, das ist derzeit generell ein wesentlicher Aspekt für Online-Formate. Ein weiterer ist die Tatsache, dass ich etwas tun muss, um mich und mein Umfeld weiterhin zu motivieren und dass wir über die Themen, die in der Online-Version behandelt werden, jetzt sprechen müssen: über seelische Gesundheit und Arbeitsstrukturen sowie Zukunfts- und Begegnungsfragen. Zuletzt denke ich, dass es wichtig ist, in diesem langen Berliner Winter nicht weiter in eine Starre zu verfallen.

Die derzeitige Krise betrifft die Szene auch insofern existentiell, als die Techniken des Tanzes stark an körperlich geteilte Erfahrungen gebunden sind.

Es ist die große Frage, inwiefern uns die aktuelle Krise noch weiter von unseren Körpern entfremden und die Kräfte, die unkontrolliert auf uns wirken, stärken wird. Körperpraxisbasiertes Wissen und eine körperpolitische Orientierung sind die große Stärke des Tanzes. Etwas erreichen können wir aber nur, wenn diese Qualitäten in die Politik sowie auch in andere Bereiche der Gesellschaft zurückwirken. Zum Beispiel in Bezug auf das Verständnis von individuellen Traumata und Gemeinschaft.

geboren 1988, ist seit Juli 2020 Tanz- und Performancekurator der Berliner Sophiensæle sowie des dort jährlich im Januar stattfindenden Nachwuchsfestivals Tanztage. Szymanówka studierte Kultur-, Theater- und Tanzwissenschaften in Warschau und Berlin. Seine bisherige kuratorische und dramaturgische Arbeit, unter anderem mit dem queeren Warschauer Kulturfestival Pomada, ist geprägt von der Verbindung der Anliegen von Club- und Kunstszene.

Darum wird sich auch der zweite Teil der Zukunftswerkstatt über „Mental Health“ im Programm der Tanztage drehen. Wie der Kulturkritiker Mark Fisher vor Jahren schrieb, lässt sich Depression nicht ausschließlich als ererbt oder niedriger Serotoninwert des Gehirns begreifen, der einzig eine Angelegenheit der Pharmaindustrie ist. Oder eben der Einzelnen: Iss besser, geh mehr raus, nimm deine Medizin und so weiter. Es ist vielmehr Aufgabe der Gemeinschaft herauszufinden, wie sie sich fühlt und welche Komponenten sich in ihren Beziehungen ändern müssen. Dafür dürfen wir die Verantwortung nicht nur an Expert:innen aus anderen Bereichen abgeben, sondern müssen sie auch selbst ergreifen.

Welche Verantwortung sehen Sie konkret bei der Tanzszene?

Ich denke, wir – ich bin mir im Klaren darüber, dass ich das Wort „wir“ zu oft benutze – waren schon vor der Coronakrise am Rand eines Burn-outs. Nun werden die Bedingungen unserer Arbeit durch die politische und ökonomische Situation noch extremer. Ich kenne viele, die im Zuge der Krise Freund:innen und Familienmitglieder verloren haben. Als Aufgabe des Tanzes und von Menschen, die mit dem Körper arbeiten, sehe ich es, gemeinschaftliche Räume zu schaffen, in denen wir gemeinsam trauern sowie unseren Körpern wieder trauen können. Vielleicht mit der Konsequenz, sie weniger regieren zu lassen.

Aber gerade dazu fehlen ja unter den jetzigen Umständen die Möglichkeiten.

Ich versuche zu widersprechen: 2020 war das Jahr, in dem unter anderem durch Black Lives Matter ein sehr starkes allgemeines Bewusstsein für die Beziehungen zwischen Körper, kollektivem Trauma und Politik entstand.

Auch Tanzkünstler:innen haben versucht, ihre Werkzeuge nicht wegzuschließen, sondern Präsenz zu zeigen. Ich denke beispielsweise an Maria Scaroni, die „Techno Drifting“ entwickelt hat: eine Hingabe an den Sound aus Headphones im öffentlichen Raum. Oder Heather Purcell, die das Format „Rave Fitness“ geschaffen hat. Solche resilienten Ansätze der queeren Tanzkultur werden bei den Tanztagen von Pedro Marum vorgestellt. Trotz Pandemie haben sich viele Menschen on- und offline organisiert, Ressourcen geteilt und Körperarbeit weitergeführt.

Die Tanztage Berlin sind ein populäres Nachwuchsfestival zu Jahresbeginn, das 2021 zum 30. Mal stattfindet. Die diesjährige Ausgabe besteht aus einer Online- und Offline-Version. Die heute beginnende Onlineversion zeigt mit „Showdown AV“ und „Indication Of Spring At The End of Time“ zwei künstlerische Arbeiten, die sich aus queerfeministischer Perspektive mit Survivalism und Science Fiction beschäftigen. Außerdem geht es in weiteren Formaten um soziale Fragen der Kunstszene wie Arbeitsstrukturen, Mental Health und Resilienz, unter anderem mit dem Kollektiv Lecken und der Teppichsession-Einladung „Infinity Rug“ von Pedro Marum. Die Tanztage-Live-Version ist für April geplant. (aka)

Ist der Effekt davon nicht sehr auf eine gewisse Art von Fitness begrenzt? Viele Menschen, gerade auch queere, vor allem solche in Transition, brauchen unmittelbare körperliche Geborgenheit.

Es ist für einen Cis-Mann wie mich schwierig, über Trans-Erfahrung zu sprechen. Aber ich würde sagen, dass es generell in dieser Zeit sehr anspruchsvoll ist, ein zeitgenössischer Körper zu sein, zum Beispiel in Hinblick auf die Verlagerung des sozialen Lebens ins Internet, das heißt auf die Frage der Verkörperung von digitaler Technik oder andererseits der Entkoppelung zugunsten anderer Techniken und Wissensformen. Wenn ich jetzt sage, dass gerade Queer Communities in dieser Beziehung viel alltägliche Arbeit leisten, laufen wir Gefahr, diese Art von Auseinandersetzung zu „othern“, sie nur bestimmten Gruppen zuzuschreiben. Wichtig ist das Interesse an der Arbeit, die geleistet wird.

Ist Resilienz das Wort der Stunde?

Wenn ich ehrlich bin, habe ich im letzten Jahr sehr oft das Wort „Überleben“ benutzt. Darum ist es mir so wichtig, dass die Tanztage in dieser Situation zumindest ein kleines Angebot machen können, das im besten Fall einen Hinweis bietet, wo oder worin ein Ansatz von Hilfe oder Unterstützung zu finden ist. In dem Gefühl unterzugehen, dass an der nächsten Ecke das Ende der Welt wartet, ist nicht sehr hilfreich. Vielmehr sollten wir versuchen, immer wieder zu formulieren, worum es wirklich geht.

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