Doku über Journalismus in Mexiko: Kämpferin gegen das Schweigen

Die Arbeit der mexikanischen Journalistin Carmen Aristegui ist lebensgefährlich. Juliana Fanjul erzählt in ihrem Dokumentarfilm „Silence Radio“ davon.

Die mexikanische Journalistin Carmen Aristegui umringt von Menschen mit Kameras

Die mexikanische Journalistin Carmen Aristegui umringt von Kolleginnen Foto: Jip Film

Eine Kundgebung im Herzen von Mexiko-Stadt: Parolen, Transparente, Kerzen. Journalistinnen und Journalisten fordern Gerechtigkeit für den ermordeten Reporter Javier Valdez. Einige haben Fotos ausgelegt, um an den Getöteten und die vielen anderen Medienschaffenden zu erinnern, die der Gewalt zum Opfer gefallen sind. Mittendrin steht Carmen ­Aristegui. „Dieser Staat ist verantwortlich“, sagt die Journalistin ins Megafon und spricht von einem Land, das von der Mafia gefesselt sei. „Heute ist das Gesicht Mexikos das eines ermordeten Journalisten.“

Trotz Verfolgung durch Staat und Mafia gibt es Journalisten, die Verbrechen anklagen

Der Einstieg des Dokumentarfilms „Silence Radio“ zeigt seine Protagonistin genau da, wo sie sich meistens befindet: mittendrin. Carmen Aristegui ist nicht immer am Ort des Geschehens, so wie an diesem Tag im Mai 2017, nachdem ihr Kollege Valdez, einer der bekanntesten Beobachter der Drogenmafia, von Killern des Sinaloa-Kartells hingerichtet worden war. Aber bis heute berichtet sie in ihrer Sendung „Aristegui Noticias“ unerbittlich von Angriffen auf indigene Aktivisten, Feministinnen und Menschenrechtsverteidigern oder die korrupten Verstrickungen von Kriminellen und Politikern.

Sie ist noch immer da, obwohl der ehemalige Präsident Enrique Peña Nieto alles daran gesetzt hatte, Aristegui zum Schweigen zu bringen. Die Journalistin und ihr Team deckten 2014 auf, dass der Politiker eine Edelvilla mit Schmiergeldern erworben hatte. Daraufhin kündigte der Radiosender MVS, der zu 80 Prozent von staatlich finanzierter Werbung lebte, der Moderatorin und zwei ihrer Mitarbeiter den Vertrag.

Obwohl Aristegui hohe Einzahlquoten versprach, wagte auch kein anderes Medienhaus eine Kooperation. Zigtausende gingen für die Moderatorin auf die Straße, 200.000 forderten in einer Petition ein Ende der Zensur. Doch zugleich erreichten Aristegui Morddrohungen, Unbekannte schickten ihr Todesanzeigen mit ihrem Namen.

„Silence Radio“. Regie: Juliana Fanjul. Schweiz/Mexiko 2019, 78 Min. Läuft als VoD über jip-film.de, zum Filmstart am 15. April läuft dort um 20.30 Uhr auch ein Gespräch mit Juliana Fanjul und Carmen Aristegui im Livestream.

Dass die Journalistin heute mit „Aristegui Noticias“ eines der wichtigsten Nachrichtenprogramme Mexikos publiziert, ist ihrer Zähigkeit im Widerstand gegen Peña Nieto und dessen korrupter Partei PRI zu verdanken, die über viele Jahrzehnte die Geschäfte des Landes lenkte. „Optimismus ist fast eine moralische Verpflichtung, die Alternative ist aufzugeben“, sagt die 57-Jährige.

Die mexikanische Filmemacherin Juliana Fanjul begleitet Aristegui in der Doku „Silence Radio“ bei wichtigen Stationen ihres Kampfes: beim Besuch bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, beim Aufbau des eigenen Sendestudios, bei Demonstrationen. Sie lässt Aristegui berichten, wie das Regime mit einem massiven Spyware-Angriff gegen sie und andere Kritikerinnen und Kritiker vorgegangen ist.

Die Filmemacherin nutzt auch Aufnahmen einer Überwachungskamera, die zeigen, wie Unbekannte in die Redaktionsräume einbrechen. Zuvor hatte Aristegui darüber berichtet, dass ein führender PRI-Politiker in ein Prostitutionsnetzwerk eingebunden ist.

Fanjul begleitet ihre Protagonistin aus einer sehr persönlichen Perspektive. Die 40-Jährige kennt das korrupte Regime der PRI, und sie ist mit Aristegui groß geworden, 20 Jahre lang hat sie die Sendungen der Journalistin gehört, auch noch, nachdem sie 2011 für ein Filmstudium in die Schweiz gegangen ist. „Carmens plötzliche Stille erzeugte zuerst ein Gefühl von großem Verlust“, sagt sie. Später entschloss sie sich, „Silence Radio“ zu drehen.

Fanjul zeigt eine starke Frau, die immer herzlich gegenüber den vielen Fans ist, die mit ihrer „Carmen“ bei Dreharbeiten auf den Straßen der Hauptstadt ein Selfie aufnehmen wollen. Doch obwohl die Filmemacherin ihre Protagonistin sehr nah begleitet, hält Aristegui eine gewisse emotionale Distanz aufrecht – ein Schutzschild, ohne den sie die vergangenen Jahre wohl kaum ertragen hätte. Nur in sehr wenigen Momenten kommt vorsichtig die Anspannung zum Ausdruck, die bei investigativ arbeitenden Journalistinnen und Journalisten in Mexiko immer mitschwingt. So etwa, als die Moderatorin in ihrer Sendung über den Mord an Valdez berichtet.

In eindrucksvollen Aufnahmen beschreibt Fanjul die gesellschaftliche Situation, in der die Verfolgung Aristeguis stattfindet: hier ein Präsident, der in Saus und Braus sein Amt abfeiert, dort ein Angriff von Kriminellen und Polizisten auf Studenten, bei dem sechs Menschen ermordet werden und 43 für immer verschwinden.

Doch mit ihrer absoluten Fokussierung auf die Moderatorin und ihr Team – „Carmens Arbeit gab uns unsere Stimme zurück“ – lässt Fanjul eine wichtige Entwicklung außen vor. Trotz staatlicher Verfolgung und Mafiaterror, trotz vieler Morde an Medienschaffenden sind in Mexiko in den letzten zwanzig Jahren zahlreiche journalistische Projekte entstanden, die korrupte Machenschaften aufdecken, Menschenrechtsverbrechen anklagen und der Gewalt widerstehen. Wie der Erfolg Aristeguis lässt auch das hoffen, dass das Gesicht Mexikos eines Tages nicht mehr das eines ermordeten Journalisten ist.

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