Neuauflage von Roman „Der Große Pan“: Den Hirtengott heraufbeschwören

„Der Große Pan“ war für den walisischen Schriftsteller Arthur Machen der Durchbruch. Nun wurde der Klassiker des modernen Horrors neu aufgelegt.

Eine Statue des Gottes Pan mit dem Hirten Daphnis.

Den Großen Pan zu sehen, hier mit Daphnis, bedeutet beim Schriftsteller Arthur Machen nichts Gutes Foto: Jastrow

Der walisische Schriftsteller Arthur Machen, der als Vater des modernen Horrors gilt, ist seit dem vergangenen Jahr neu auf Deutsch in der eleganten Übersetzung Joachim Kalkas zu entdecken. Ein Höhepunkt in der Werkausgabe des Elfenbein Verlags ist jetzt der Erzählungsband „Der Große Pan“. War die Titelgeschichte für Machen doch der literarische Durchbruch und für seinen US-amerikanischen Kollegen Stephen King immerhin die „beste jemals geschriebene Schauergeschichte“, der englischen Sprache zumindest.

Dieser Superlativ gilt nicht für bloße Schockwerte, sondern auch in literarischer Hinsicht. Denn Machen, der eine Vorliebe für Protagonisten im Stil von Detektivgeschichten hatte, kreist in der Erzählung „Der Große Pan“, im Original „The Great God Pan“, den Schrecken und damit das Geheimnis seiner Erzählung in immer neuen Anläufen ein, mit einem verwirrend großen Personal an Hobby-Ermittlern, die von Kapitel zu Kapitel nach und nach vorgestellt werden. Jeder dieser distinguierten Herren liefert neue Hinweise, die zusammenzufügen Machen den Lesern oft selbst überlässt.

Am Anfang des Unglücks steht ein hirnphysiologisches Experiment, das ein Arzt an einer Frau vornimmt. Ein kleiner Schnitt in der „grauen Masse“ soll genügen, um eine Brücke zu einem nicht näher benannten „Unbekannten“ zu schlagen. Nach der Operation stellt sich heraus, dass die Frau eine „hoffnungslose Idiotin“ geworden ist. Für den erschreckend unbeteiligten Arzt war der Eingriff dennoch kein Fehlschlag, wie er einem Freund gegenüber bekennt, denn die Frau habe „den Großen Pan gesehen“.

Einige Zeit später kommt es in London zu einer Reihe von seltsamen Todesfällen. Die Opfer sind Männer, sie sterben ent­weder nach einem Nervenzusammenbruch oder begehen Suizid.

Arthur Machen: „Der Große Pan. Erzählungen“. Aus dem Englischen von Joachim Kalka. Elfenbein Verlag, Berlin 2021, 176 Seiten, 22 Euro, Subskriptionspreis 19 Euro

Eine seltsame Schwere

Diese Männer waren stets liiert mit schönen Frauen, und jedes Mal verschwindet die zugehörige Frau hinterher spurlos. Da die Verstorbenen zum Freundeskreis der Protagonisten zählen, machen sich diese, allesamt interessiert an ungewöhnlichen Dingen, auf die Suche nach Antworten.

Arthur Machen streut während dieser Recherchen Details, die auf mysteriöse Kräfte hindeuten. So begibt sich einer der selbsternannten Ermittler, Villiers, in ein leerstehendes Haus, das Schauplatz einer der Tragödien gewesen ist, wo er eine „seltsame Schwere“ spürt, die ihm die Luft abschnürt.

Dieses Etwas, das bei alledem sein Unwesen treibt, erfährt man schließlich, ist durch das fatale Experiment freigesetzt worden. Als weiteres Indiz führt Machen einen, real existierenden, archäologischen Fund ­eines römischen Tempels in Lydney Park an, der dem Gott Nodens gewidmet war.

Das Grauen bleibt unaussprechlich

Ironischerweise steht Machens Rückgriff auf die erst im 19. Jahrhundert als systematische Wissenschaft etablierte Archäologie nicht im Zeichen rationaler Aufklärung, sondern hilft erzählerisch beim Freilegen einer vormenschlichen Realität.

Geschildert ist das mit kontrollierter Distanz, das Grauen bleibt unaussprechlich. Lediglich in der Auflösung gestattet sich Machen so etwas wie eine Vorform des Body Horror, bei der ein Körper drastische Veränderungen durchläuft.

In der ebenfalls im Band enthaltenen Erzählung „Das innerste Licht“ geht es, formal gesehen, erneut um Gewalt gegen Frauen im Namen der Wissenschaft. Wieder hat ein Arzt durch sein Handeln ein Übel heraufbeschworen, wieder macht sich ein Protagonist daran, Spuren in dem mysteriösen Fall nachzugehen. Was er am Ende herausfindet, verstört ihn heftig.

An dieser Geschichte lässt sich nebenbei Machens Einfluss auf den Pop ablesen: Die britische Underground-Band Current 93 betitelte eines ihrer stillsten Alben nach Machen „The Inmost Light“.

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