Freigabe der Corona-Impfpatente: Kalt erwischt

Die EU hat der Vorstoß aus den USA überrumpelt. Die Kommission will dem US-Präsidenten nicht offen widersprechen – auch Deutschland bremst.

Ursula von der Leayen und Ozlem Tureci , Mitbegründerin von Biontec

Ursula von der Leyen und Biontech-Gründerin Özlem Türeci (r) beim Besuch des Pharmakonzerns Pfizer Foto: John Thys/Pool/ap

BRÜSSEL taz | Frankreich drängt, Deutschland bremst, die EU-Kommission will sich nicht festlegen: Mit ihrem Vorstoß zur Freigabe der Patente auf Corona-Impfstoffe haben die USA die Europäer in Verlegenheit gebracht. Kurz vor dem EU-Indien-Gipfel am Samstag in Porto zeichnete sich keine klare Linie ab. Das Thema werde bei dem Gipfel zur Sprache kommen, hieß es am Donnerstag in Brüssel.

Mit Entscheidungen wurde nicht gerechnet. Denn Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will nicht nach Portugal reisen – und ohne Deutschland kommt in der EU kein Beschluss zustande. Bisher gilt die von Merkel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verabredete Linie: Massenproduktion in Deutschland und Europa sowie Export in alle Welt – doch die Patente sind tabu.

Diese Linie hat die EU-Kommission bekräftigt. „Wir haben schon 200 Millionen Impfdosen exportiert“, sagte eine Sprecherin. „Damit haben wir genauso viel in die Welt geliefert wie an unsere eigenen Bürger.“ Das zeige, dass die EU offen und fair mit Impfstoffen umgehe. „Die EU ist bereit, jeden Vorschlag zu diskutieren, der diese Krise wirksam und pragmatisch angeht“, so Kommissionschefin von der Leyen.

Brüssel legt sich nicht fest – schließlich will man US-Präsident Joe Biden nicht offen widersprechen. Von der Leyen möchte sich auch nicht mit Indiens Regierungschef Narendra Modi anlegen, der seit Langem die Freigabe der Patente fordert. Indien gilt in Brüssel neuerdings als Vorzugspartner, beim Gipfeltreffen am Samstag will die EU dem Land erneut Hilfe gegen das Corona-Elend anbieten.

Die EU-Kommission steht außerdem kurz vor Abschluss eines neuen Megadeals mit dem deutschen Impfstoffhersteller Biontech. Der Vertrag über 1,8 Milliarden Dosen sieht auch die Möglichkeit vor, Vakzine in Drittländer zu exportieren, zur Not sogar als Spende. Diesen deutsch-europäischen Deal möchte von der Leyen nicht platzen lassen.

Bisher haben die USA und Großbritannien ihre Impfstoffproduktion weitgehend im eigenen Lande behalten. Dies sieht Brüssel als wichtigen Grund für die akute Impfstoffknappheit in den ärmeren Ländern. „Macht es wie wir: produziert und exportiert“, so die inoffizielle EU-Devise. Sie wird von Deutschland geteilt, das mit Biontech und Curevac auch die größten Produzenten beheimatet.

„Entscheidend ist vor allem der weitere Ausbau von Produktionsstätten“, erklärte Gesundheitsminister Jens Spahn in Berlin. Der CDU-Politiker appellierte an die USA, ihre Politik zu ändern: Staaten, in denen Impfstoff produziert werde, müssten bereit sein, diesen auch zu exportieren. Einer Freigabe der Patente hingegen steht Spahn skeptisch gegenüber.

Spahns Haltung wird von Biontech-Chef Uğur Şahin geteilt. Der Verzicht auf geistige Eigentumsrechte sei nicht der richtige Weg, um die Produktion von Covid-19-Impfstoffen zu erhöhen, sagte er. Biontech setze auf Kooperationen mit ausgewählten Partnern, da der Impfstoff schwierig herzustellen sei.

Die Ablehungs-Front bröckelt

Wesentlich wendiger als Deutschland zeigt sich Frankreich. Bisher hatte Paris die Öffnung der Rechte abgelehnt. Nun erklärte Staatspräsident Emmanuel Macron, er sei „absolut dafür, dass das geistige Eigentum aufgehoben wird“. Impfstoffe müssten zum „weltweiten öffentlichen Gut“ werden. Erste Priorität sei es aber, Entwicklungsländern „Dosen zu spenden“ und Impfstoffe „in Partnerschaft mit den ärmeren Ländern zu entwickeln“.

Damit bröckelt die Ablehnungs-Front in der EU. Zuvor hatte sich Polen für eine Freigabe der Patente ausgesprochen. Auch im Europaparlament deutet sich ein Meinungsumschwung an. Linke und Grüne werben zwar bereits seit Wochen für eine Öffnung. Doch erst jetzt finden sie Gehör. „Die EU ist der letzte Ort auf der Welt, wo noch die Profite von Big Pharma über die Gesundheit gestellt werden“, klagt die französische Linken-Abgeordnete Manon Aubry. Die EU müsse nun den transatlantischen Schulterschluss üben und den USA folgen. Es ist ein Seitenhieb auf von der Leyen – denn die präsentiert sich gern als größte Freundin Amerikas.

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