Urteil gegen Nawalnys Organisationen: Opposition nun endgültig verboten

Ein Moskauer Gericht stuft die Organisationen des inhaftierten Kreml-Kritikers als extremistisch ein. Die demokratische Fassade ist dahin.

Eine Fernsehbildschirm mit dem Bild des inhaftierten Alexei Nawalny

Nawalny in einer Videoübertragung aus dem Gefängnis während einer Gerichtsverhandlung am 31. Mai Foto: TV Rain/ap

MOSKAU taz | Es war eine Marathonsitzung hinter verschlossenen Türen. Zwölf Stunden verhandelte das Moskauer Stadtgericht am Mittwoch etwas, das längst entschieden war: Alle Organisationen des inhaftierten Kremlkritikers Alexei Nawalny sind als „extremistisch“ einzustufen.

Das Urteil bedeutet das Aus für deren Arbeit und eine Zäsur für die politische Kultur Russlands. „Wenn Korruption die Grundlage der Staatsmacht ist, sind Korruptionsbekämpfer Extremisten“, ließ Nawalny über seinen Instagram-Account nach dem Gerichtsurteil mitteilen. Das Team um den 45-Jährigen, der seine zweieinhalbjährige Strafe in einer der härtesten Strafkolonien des Landes absitzt, gibt sich optimistisch. „Wir klären das, ändern was, entwickeln uns weiter, werden uns anpassen. Von unseren Zielen und Ideen rücken wir nicht ab“, heißt es bei Nawalny. Der Entscheid aber erschwert das Leben seiner Mit­ar­bei­te­r*in­nen und auch seiner An­hän­ge­r*in­nen enorm.

Der Prozess glich einer Farce. Zwölf Stunden lang blätterten Anwälte in leeren Seiten, wurden die Anträge der Angeklagten allesamt abgewiesen und Zeugen nicht zugelassen, obwohl ihre Namen ständig in den 22 Bänden des als „geheim“ eingestuften Falles erschienen. Die Sitzung klärte nicht, welchen Gegenstand sie eigentlich verhandelt, aber sie zeigte – und nur dafür war der Prozess letztlich angesetzt –, dass das System Putin keine Opponenten duldet: Nicht in landesweiten organisierten Gruppen, nicht auf der Straße und schon gar nicht bei Wahlen.

Nawalnys Antikorruptionsstiftung (FBK), seine Stiftung zum Schutz der Bürgerrechte, die als Ersatz für die FBK gegründet worden war, sowie seine als „Stäbe“ bekannten Regionalvertretungen müssen nun überall als „extremistisch“ gekennzeichnet werden. Medien, die das nicht tun, drohen hohe Geldbußen, Internetnutzer*innen, die nicht darauf verweisen, machen sich ebenfalls strafbar. Selbst Spen­de­r*in­nen könnten bis zu acht Jahre in die Strafkolonie kommen.

Angst und Apathie

Daraus ergibt sich ein Minenfeld der Unsicherheit. Hunderttausende Rus­s*in­nen sind durch das Urteil mit Ter­ro­ris­t*in­nen und Ter­ror­sym­pa­thi­san­t*in­nen wie jener der Miliz „Islamischer Staat“ gleichgesetzt. „Sie haben extremistische Tätigkeiten ausgeführt“, sagte der Staatsanwalt nach der Verhandlung. Worin der „Extremismus“ in den Tätigkeiten von FBK und Nawalnys „Stäben“ besteht, erklärte er nicht. Die Anwälte wollen in Berufung gehen.

Die Arbeit hatten all diese Organisationen bereits vor Wochen einstellen müssen. Nawalnys Team hatte diese auf Druck der Behörden aufgelöst, um das Leben der Mit­ar­bei­te­r*in­nen und Ehrenamtlichen nicht weiter zu gefährden. Das Gerichtsurteil von Mittwochnacht war nur noch eine Formalie.

Seit Nawalny im Januar nach seiner Genesung nach dem Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok nach Moskau zurückgekehrt ist, rollt eine Welle der Repressionen durchs Land. Angst und Apathie bestimmen das Leben der Menschen mehr denn je, weil ihnen jedes Ventil zur Unmutsäußerung genommen wird. Das Regime geht mit immer plumperen Mitteln gegen die Opposition vor. Es eliminiert diese offen und macht Gewalt zum Prinzip seines Vorgehens.

Putin sieht sich im Belagerungszustand und hat die Opposition zur fünften Kolonne des Feindes erklärt, die es zu vernichten gilt. Deshalb tauchen in der Gesetzgebung Begriffe wie „ausländischer Agent“ oder „unerwünschte Organisation“ auf, deshalb nehmen Verfahren wegen Landesverrat und Extremismus zu. Sich gegen die offizielle Linie aufzulehnen und die Arbeit der sogenannten „Macht“ offen in Frage zu stellen, wird zur Bedrohung des Lebens. Viele Oppositionelle sind in Haft oder haben das Land verlassen. Aus Putin-Gegner*innen werden nun nach und nach Dissident*innen.

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