Neues Album von Vince Staples: Lass dich nicht ermorden

Mit seinem gleichnamigen neuen Album hat Vince Staples sein bislang persönlichstes veröffentlicht. HipHop-Klischees geht er mit Humor aus dem Weg.

Ein Porträt von Vince Staples

Vince Staples hat sein neues Album nach sich selbst benannt Foto: James Mataitis

Vince Staples ist ein Beach Boy ohne Leichtigkeit. Er ist in Kalifornien geboren, aber weit weg von der Welt des Glam. Seine Heimat ist Long Beach, eine knappe Autostunde entfernt von Beverly Hills. In seiner Heimatstadt wird der 28-jährige US-Rapper bis heute kaum auf der Straße erkannt und selbst seine Mutter sieht keine Notwendigkeit, damit anzugeben, dass die beiden verwandt sind. Dabei müsste sie sich nun wirklich nicht für ihren Sohn schämen.

Mit drei Alben hat Staples eine eigenen Nische im kalifornischen HipHop-Universum erschaffen. Er verzichtet auf Kiff-Geschichten und Gangsta-Posen, hat mit In­die­künst­le­r:in­nen und avantgardistischen Dance-Produzenten zusammengearbeitet und erzählt von einer Gesellschaft, in der der pazifische Ozean vor der Haustür liegt und die Armut dahinter.

Staples’ Mutter hat auch auf „Vince Staples“, dem neuen Album ihres Sohns, einen kurzen Gastauftritt. In einem Skit sampelt er eine Voice­mail, in der sie von einer Party erzählt, die Vince Staples eigentlich besuchen wollte. Sie endete mit Blutvergießen. „Vince Staples“ sei sein persönlichstes Album, sagt der Rapper.

Drei Jahre hat er sich dafür Zeit genommen und gleich im ersten Track „Are you with that?“ steigt er hinab in die Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend, die Spiele auf der Straße und seine Freunde, die „dead homies“. Dahin würde er niemals zurückkehren, rappt er.

Schlieren und Sprünge

Vince Staples: „Vince Staples“ (Def Jam/ Universal)

Dabei ist der Sound seiner Kindheit auf „Vince Staples“ immer präsent. Sein Produzent Kenny Beats bedient sich am Repertoire von G-Funk und R&B der 90er Jahre: säuselnde Synthesizer, gesampelte Soul-Vocals und Flamenco-Gitarren. Aber all diese Soundsignaturen einer vergangenen Zeit bearbeitet er mit Filter und Hall-Effekten zu akustischen Erinnerungsmomenten, die voller Schlieren und Sprünge sind. „Vince Staples“ erinnert sich an die 90er Jahre, aber verzichtet darauf, damit eine goldene Ära heraufzubeschwören, die erst im Nachhinein zu dieser verklärt wurde.

Dazu passt, dass sich Vince Staples bei seinem Trip in die Vergangenheit kurz fasst. Gerade einmal 20 Minuten dauern die insgesamt zehn Songs zusammengenommen – Vince Staples breitet sein Leben aus, indem er es verdichtet. Dabei schleichen sich immer wieder Motive ein, die man bereits aus anderen HipHop-Geschichten kennt: Straßen-Schießereien nach Sonnenuntergang, willkürliche Polizeikontrollen auf der Fahrt vom Einkaufszentrum nach Hause, die Freundin, die einen nicht versteht.

Aber Vince Staples erzählt davon, ohne den Ausweg des „ghetto fabulous“, dem oberflächlichen Glam von Konsum, der letztlich nur dazu dient, die materielle Armut der eigenen Lebensumstände zu kaschieren. „Louis bag, Gucci bag, you got baggage“, rappt er auf „Law of Averages“, nur um schließlich die Straßen seiner Heimatstadt als ziemlich durchschnittlich zu bezeichnen.

Auch sein Drogenkonsum ist ziemlich banal. Er sei der Erste, der beim Kiffen husten müsse, bekennt er auf „Taking Trips“. Und wer an Straßenecken rumhängt, könne sich auch gleich am Deckenventilator aufhängen, meint er an anderer Stelle. Dieser Humor schützt Vince Staples davor, moralisch instrumentalisiert zu werden. Denn der Gegenpart zum nihilistischen Gangsta-Rapper ist der mahnende Conscious Rapper, der der neoliberalen Anrufung des sozialen Aufstiegs durch materialistische Rücksichtslosigkeit die ebenso neoliberale Anrufung des Aufstiegs durch die Tugendhaftigkeit des Individuums und seiner Community entgegensetzt.

Vince Staples glaubt an keinen der beiden Aufstiege. „Don’t get murdered“ warnt er auf „The Shining“ in einem Tonfall, der an einen Ratschlag erinnert, den ein Elternteil seinem Kind mit auf den Schulweg gibt. Denn Erlösung gibt es im Kosmos von „Vince Staples“ nicht: „We’re dying broke and live with broken heart“, rappt er im gleichen Song; und nur das melancholisch zerhackte Pianomotiv verrät, dass er nicht bereit ist, das einfach so hinzunehmen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.