Debatte über Umgang mit Ungeimpften: Zwischen Drohen und Überzeugen

Sollen Menschen, die sich nicht impfen lassen, Nachteile haben? Nicht nur SPD-Ministerpräsidenten kritisieren Spahns Vorstoß für Verschärfungen.

Eine Mitarbeiterin im weißen Overall und mit Schutzmaske in einem Corona-Testzentrum

Könnte bald kosten: Schnelltests in einem Corona-Testzentrum Foto: Robert Michael/dpa

BERLIN taz | Während die Weltgesundheitsorganisation WHO dringend fordert, bis Ende September Dritt­impfungen einzustellen, weil weltweit viele Menschen aus Risikogruppen noch ungeimpft sind und auf Impfstoff warten, erlaubt man sich in Deutschland weit weniger existenzielle Debatten. Po­li­ti­ke­r*in­nen aller Parteien streiten derzeit darüber, welche Rechte und Einschränkungen Ungeimpfte künftig haben sollen – also jene Menschen, die eine Impfung trotz niedrigschwelliger Angebote ablehnen.

Laut einem kursierenden Papier mit Vorschlägen an die ­Ministerpräsidentenkonferenz aus dem Gesundheitsministerium von Jens Spahn (CDU) wären auch Verschärfungen für Ungeimpfte denkbar, um die vierte Welle möglichst flach zu halten: So gibt es abhängig von Impfquote, Intensivbettenbelegung und Inzidenzwerten unter anderem den Vorschlag von Kontaktbeschränkungen sowie Ausschluss von Veranstaltungen oder der Innengastronomie nur für Ungeimpfte – je nach Pandemielage sogar dann, wenn sie einen negativen Test vorweisen können. Das soll allerdings nicht für den ÖPNV oder Ämtergänge gelten, sondern nur für Bereiche, die nicht der Grundversorgung dienen, wie Spahn im Münchner Merkur erklärte.

Das Gesundheitsministerium schlägt zudem vor, dass Gratis-Schnelltests ab Mitte Oktober abgeschafft werden – Ungeimpfte also für Tests selbst zahlen müssten. Für Personen ohne Impfempfehlung, etwa Schwangere und Minderjährige, sollen Tests laut dem Papier allerdings kostenlos bleiben.

Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen aus SPD-geführten Ländern lehnen die vorgeschlagenen Verschärfungen deutlich ab: Dietmar Woidke aus Brandenburg sagte: „Niemand soll vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden.“ Ähnlich äußerte sich Andreas Bovenschulte aus Bremen. Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern sagte, dass Drohungen für den Impffortschritt wenig brächten, man vielmehr überzeugen müsse.

Von „asozial“ bis „unfair“

Beschlossen sind die Spahn-Pläne ohnehin noch nicht, wie SPD-Bundesjustizministerin Christine Lambrecht in der Augsburger Allgemeinen betonte. Der Vorschlag sei nicht die Position der Bundesregierung. Laut Gesundheitsministerium gingen die Vorschläge an die Gesundheitsministerkonferenz und -ausschuss sowie die Ministerpräsidentenkonferenz. Bund und Länder berieten dazu weiter, heißt es.

Die Linken-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow nannte den Vorschlag „schlicht asozial“. Solange es eine Testpflicht gebe, müsse es auch kostenlose Tests geben. Die Grünen waren zumindest in Teilen aufgeschlossener: Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha sprach sich dafür aus, dass Geimpfte alle Freiheiten zurückbekommen, für Ungeimpfte aber verschärfte Regeln gelten sollten. Der grüne Gesundheitsexperte Janosch Dahmen plädierte dafür, dass zumindest sämtliche Tests weiter gratis sein sollten. Kostenpflichtige Tests seien „nicht nur unfair, sondern vor allem schlecht, weil es uns in einen neuerlichen Blindflug in der Pandemie bringt.“

FDP-Chef Christian Lindner sagte der Welt: „Wer nicht geimpft oder genesen ist, sollte mit einem tagesaktuellen Negativtest am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Alles andere wäre eine unverhältnismäßige Freiheitseinschränkung.“ Vor ein paar Monaten hatte die FDP hingegegen noch Lockerungen für Geimpfte gefordert.

Spahn appellierte für die vor allem gesundheitlich sinnvolle Impfung unterdessen an deutsche Nationalgefühle: „Impfen ist ein patriotischer Akt“, schrieb er am Donnerstagmorgen auf Twitter. Man schütze nicht nur sich selbst, sondern „uns als Gesellschaft“.

Die Impfquote liegt derzeit bei 53,6 Prozent der Bevölkerung. Das Impftempo hat in den vergangenen Wochen deutlich abgenommen. Die Infektionszahlen steigen derzeit wieder kontinuierlich.

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