Jüdisches Filmfestival zum 27 Mal: Vielversprechende Staffelübergabe

Am 12. August startet das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg mit neuer Festivalleitung. Besonders interessant sind diesmal die Dokumentarfilme.

Israel, ein Friedhof, darauf Gräber und ein Mann und eine Frau, die sich umarmen: ein Szenenfoto aus dem Dokumentarfilm „Kinder der Hoffnung (Promised Lands)“, der im neue Wettbewerb um den besten Dokumentarfilm beim 27. Jüdischen Filmfestival läuft

Szenenfoto aus dem Dokumentarfilm „Kinder der Hoffnung (Promised Lands)“ Foto: Made in Germany Filmproduktion

BERLIN taz | Eine Lehrerin schwingt das Akkordeon, ihre Kinder singen ein patriotisches Lied auf Hebräisch. Die Super-8-Aufnahme wird leiser, man hört eine weibliche Stimme. „Wenn ich an das Jahr 1988 denke, erinnere ich mich daran, wie stolz ich damals war“, sagt sie. „In diesem Jahr wurde Israel 40 Jahre alt und wir waren acht.“ Und dann: „Wir versprachen zu bleiben.“

Der Dokumentarfilm „Kinder der Hoffnung (Promised Lands)“ der in Berlin lebenden israelischen Filmemacherin Yael Reuveny ist einer der stärksten, weil nachdenklichsten des 27. Jüdischen Filmfestivals Berlin Brandenburg (JFBB), das nächste Woche beginnt. Denn Reuveny ist für den Film nicht nur in ihre Heimatstadt Petach Tikwa zurückgekehrt, um ihre damaligen Klas­sen­ka­me­ra­d*in­nen zu befragen, wer sie geworden sind. Die Filmemacherin befragt auch immer wieder ihr eigenes, verwickeltes Verhältnis zu ihrem Land, das sie vor über 15 Jahren verlassen hat. Sie will wissen: Haben wir dieses Versprechen freiwillig gegeben? Hatten wir tatsächlich Hoffnung – oder waren wir die Hoffnung unserer Eltern?

Das Jüdische Filmfestival Berlin und Brandenburg (JFBB) zeigt zur Eröffnung am 12. August im Potsdamer Hans-Otto-Theater die queere Komödie „Shiva Baby“ der kanadischen Regisseurin Emma Seligman.

Bis zum 22. August sollen in 14 Spielstätten in Berlin und Potsdam 46 Filme aus 21 Ländern gezeigt werden. Hinzukommen vier Serien aus Israel und die Sektion „Kino Fermished“, in der unter anderem die restaurierte Fassung von Max Nosseks Klassiker „Singing in the Dark“ (1956) Premiere feiert. In zwei Wettbewerben werden der beste Spielfilm und der beste Dokumentarfilm mit jeweils 3.000 Euro prämiert. Programminfos unter www.jfbb.de. (sm)

Es ist interessant, sich in diesem Jahr das JFBB anzusehen, denn 2020 hat es die so leidenschaftliche wie unbestechliche Gründerin Nicola Galliner in die Hände des Filmfestivals Cottbus gelegt. Galliner war dafür berühmt, dass sie unbeirrt kritische Filme zeigte und arabische Perspektiven einbezog.

Das Filmfestival Cottbus setzt diese Tradition fort. Das beweisen Produktionen wie der unterhaltsame Eröffnungsfilm „Shiva Baby“ von Emma Seligman, bei dem es um eine junge bisexuelle Frau ohne Karrierepläne aus gutem jüdischem Hause in New York geht. Das zeigen Streifen wie das Debüt von Amen Nayfeh „200 Meter“, das mit viel Leichtigkeit von einem Mann in Westjordanland erzählt, dessen Familie hinter der Mauer in Israel lebt.

Neu ist der „Wettbewerb Dokumentarfilm“

Das verdeutlicht aber vor allem der neu ins Leben gerufene „Wettbewerb Dokumentarfilm“, in dem neben „Kinder der Hoffnung“ zahlreiche weitere Dokus laufen, die eine von Konflikten geprägte Vielfalt des jüdischen Lebens auf der ganzen Welt zeigen.

Das dokumentarische Porträt der deutsch-jüdischen Emigrantin Irmi Selver von ihrer Tochter Veronica Selver etwa basiert auf Memoiren einer großartigen Frau, die auf der Flucht aus Deutschland Mann und Kinder verlor, schließlich in New York noch einmal von vorn anfing – die Frage, woher manche Menschen ihre Resilienz hernehmen, wird nie gestellt, schwingt aber immer mit.

Um Widerstandskraft geht es auch in „Displaced“ von der in Deutschland geborenen und in Berlin lebenden Filmemacherin Sharon Ryba-Kahn, die wie Yael Reuveny der sogenannten dritten Generation von Überlebenden der Shoah angehört. Beide Filme sind ähnlich diskursfreudig, doch stellt Ryba-Kahn ihre Fragen nicht nur über die eigene Generation, sondern auch über die Geschichte ihrer Familie väterlicherseits. Nach sieben Jahren Funkstille gibt es endlich wieder einmal ein Telefonat mit dem Vater, der heute in Tel Aviv lebt. Das Verhältnis ist schwierig. Anders als in der Familie der Mutter, so die Regisseurin, gab es in der des Vaters keine Gespräche.

Nach und nach schält sich heraus, dass der Großvater aus dem heutigen Polen stammte, ­Auschwitz überlebte und schließlich in München strandete. „Er hat mir das gegeben, was er konnte“, sagt der Vater mit stoischem Gesicht bei einem Interview in seiner Wohnung. Später, in einem Café, fragt ihn die Tochter: „Wie hat die Shoah die dritte Generation beeinflusst?“ Und er sagt: „Bei euch ist der Prozess der Integration relativ normal vorangegangen.“ Darauf die Tochter: „Aber wie kann es sein, dass unsere Eltern so sehr betroffen sind und wir nicht mehr?“

Und so entwickelt sich „Displaced“ von einer Spurensuche, wie man sie schon oft gesehen hat, zu einem Film, der ähnlich wie „Kinder der Hoffnung“ die transgenerationale Weitergabe von Traumata diskutiert – also darüber, was die Geschichte mit jungen Leuten hier und heute macht, je nachdem, welche Rolle ihre Familien in ihr spielten und wie sie später mit ihr umgingen. Irgendwann sagt die Tochter eines anderen Holocaustüberlebenden einen traurigen Schlüsselsatz. „Es gab viele, die keine Liebe mehr geben konnten.“

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