Humboldt Forum: Und sie rudern weiter zurück

Am Donnerstag eröffnet das Kernstück des Humboldt Forums, die außereuropäischen Sammlungen. Die jahrelange Kritik hat das Haus erschüttert.

Der Thron „Mandu Yenu“ in der Ausstellung des Ethnologischen Museums im Humboldt Forum Foto: Staatliche Museen zu Berlin/Stiftung Humboldt Forum/Alexander Schippel

BERLIN taz | Selbst am umstrittenen „Luf-Boot“ haben sie nachgebessert, jenem wunderschönen, 15 bis 16 Meter langem, reich verzierten Auslegerboot aus dem heutigen Papua-Neuguinea, das 1904 nach Berlin kam. Beim letzten Presse­rundgang im Juni wussten die Mu­se­ums­ma­che­r*in­nen noch keine Antwort auf die Frage, warum direkt am Objekt keine offensive Auseinandersetzung mit der Geschichte des Bootes wie mit der Kolonialgeschichte Deutschlands stattfinde.

Anfang Mai hatte der Berliner Journalist und Historiker Götz Aly mit seinem Buch „Das Prachtboot“ recherchiert, wie die deutschen Kolonialherren im „Schutzgebiet“ Deutsch-Neuguinea getötet, vergewaltigt und die Bewohner zur Zwangsarbeit auf ihren Plantagen verschleppt hatten – und wie das Boot später von derselben deutschen Firma erworben wurde, die 20 Jahre zuvor, am Ende des 19. Jahrhunderts, das deutsche Militär um eine sogenannte „Strafexpedition“ auf der Insel Luf gebeten hatte.

Die derzeitigen Besitzer des Bootes, genauer gesagt, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) hatte vor Erscheinen des Buches aus dieser Geschichte einen „rechtmäßigen Erwerb“ gemacht – und musste nun zurückrudern.

Und sie rudern weiter zurück, wie ein neuerlicher Rundgang am Montagvormittag anlässlich der Eröffnung eines großen Teils der außereuropäischen Sammlungen zeigte. Inzwischen hat das Ethnologische Museum, so sagte der stellvertretende Direktor Alexis von Poser, den Filmemacher Martin Maden gebeten, auf Luf und um Luf herum auf Spurensuche zu gehen – Oral History zu betreiben: Zur großen Überraschung der Museumsleute hat er relativ rasch Nachkommen der Be­woh­ne­r*in­nen Lufs gefunden, die das umstrittene Boot gebaut haben. Auch ist die kleine Insel nach Recherchen Madens heute, anders als angenommen, gar nicht mehr unbewohnt.

Sie wollen das Wissen zurück

„Das Wissen muss zu uns zurückgebracht werden“, sagt Interviewpartner Stanley Inum, ein Nachfahre eines der Bootsbauer von Luf, im Film. „Wir möchten nach Berlin kommen, Fotos machen und ein neues Boot bauen“, fügt er an. „Ich gehe davon aus, dass wir nächstes Jahr eine Delegation hier haben werden“, folgert von Poser gegenüber der taz. Im Oktober wird es im Humboldt Forum eine Diskussionsveranstaltung geben, an der sowohl Götz Aly als auch der Filmemacher Maden teilnehmen werden.

Auch jenseits des Luf-Boots erhält man bei der Betrachtung der Ausstellungen, die schon mal 4.000 der am Ende 20.000 Objekte im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst im Humboldt Forum zeigen werden, den Eindruck: Dieses rund 680 Millionen teure Haus, das teuerste Kulturprojekt der Bundesrepublik mitten in Berlin, hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Es wurde durch die anhaltend scharfen Debatten um Kolonialismus, Provenienzforschung und Restitution geradezu erschüttert.

An vielen der Objekte, die größtenteils im 19. Jahrhundert gekauft, geraubt oder erpresst wurden, befinden sich auf orangefarbenen Tafeln die Informationen zu deren Geschichte, die die vier Provenienzforscher*innen, die seit 2019 am Humboldt Forum arbeiten, bislang erforscht haben. Bei einer Kette aus Känguruzähnen aus Australien erfährt man beispielsweise, dass sie wahrscheinlich von Yarruun Parpur Tarneen gefertigt wurde, einer bedeutenden Ahnin der Gunditjmara People, die von idigenen Aus­tra­lie­r*in­nen als Symbolfigur des Widerstands gefeiert wird.

Künstlerische Interventionen

In anderen Räumen gibt es zahlreiche künstlerische Interventionen. So setzt sich Justine Gaga aus Kamerun in ihrer Arbeit „Indignation“ mit den Folgen des Kolonialismus auseinander: Auf 18 bunten Säulen aus Gaskanistern prangen bezeichnende Begriffe wie „Violence“ und „Frontière“.

Und die namibische Künstlerin Cynthia Schimming befasst sich mit dem Genozid an den Herero und Nama durch die deutschen Kolonialherren, indem sie ein Herero-Kleid neu interpretiert. Das prächtige Gewand verfügt über eine Kopfbedeckung in Form von Rinderhörnern, die an die stolze Vergangenheit der Herero als Vieh­züch­te­r*in­nen erinnert. Am Saum des Kleides gibt es die Abbildung eines Ekori, einer Kopfbedeckung, wie sie Herero-Frauen vor der Kolonialzeit trugen und wie ihn Schimming, so der Ausstellungstext, zum ersten Mal im Humboldt Forum gesehen hat. Diese Ausstellungsräume gehören zu den besten, die ab Donnerstag im Humboldt Forum zu sehen sein werden.

Ab Donnerstag Mit einem weiteren Öffnungsschritt im Berliner Humboldt Forum sind von diesem Donnerstag an erstmals auch wegen kolonialer Hintergründe umstrittene Objekte der beteiligten Museen zu sehen. Ethnologisches Museum und Museum für Asiatische Kunst öffnen in der zweiten und dritten Etage des Westflügels ihre ersten Räume.

Umgezogen Von den etwa 500.000 Objekten der zuvor im Stadtteil Dahlem präsenten Museen sollen fortan rund 20.000 im Humboldt Forum gezeigt werden. Dazu gehören neben anderen Objekten auch die als koloniales Raubgut geltenden Benin-Bronzen (siehe Text), die allerdings schon im nächsten Jahr restituiert werden könnten. (dpa, taz)

Hermann Parzinger, Präsident der SPK, sprach vor Kurzem noch lieber diplomatisch von der Zirkulation der Objekte als von deren Restitution. Nun redet er scheinbar ohne Bedauern davon, dass vieles von dem, was ab Donnerstag die Ausstellungen schmückt, bald nicht mehr zu sehen sein wird. Die Benin-Bronzen beispielsweise, so viel steht fest, werden endlich im nächsten Jahr zurück nach Afrika gehen. „Das Humboldt Forum ist kein Museum“, sagt Parzinger, „sondern ein Austragungsort.“ Und damit trifft er tatsächlich mal einen Nerv.

Denn im Humboldt Forum wird sich nicht nur entscheiden, wie sich die deutschen Museen zu ihren Sammlungen werden verhalten müssen. Hier wird auch diskutiert werden, wie sich Deutschland insgesamt zu den Veränderungen unserer Zeit verhalten könnte. Denn dieses Ausstellungshaus wird vermitteln müssen zwischen der tiefen Sehnsucht nach Sicherheit in einer wackligen Welt, die in der Rekonstruktion einer barocken Schlosshülle ihren Ausdruck gefunden hat – und zwischen einer Welt, die zunehmend von Migration, Urbanisierung und Klimawandel auf den Kopf gestellt werden wird.

Insofern ist es Zeit, den Ma­che­r*in­nen des Humboldt Forums nachzusehen, dass sie lang nicht in die Vorderhand kamen. Nun kann endlich über die Ausstellungen gesprochen werden.

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