Regisseur Stölzl über „Schachnovelle“: „In der Zelle ist alles echt“

In der „Schachnovelle“ lösen sich Wahn und Realität auf. Regisseur Philipp Stölzl über die Neuverfilmung des Stefan-Zweig-Klassikers.

Dr. B. (Oliver Masucci, r.) und Franz-Josef Böhm (Albrecht Schuch) stehen sich in einem dunklen Hotelzimmer an einem Tisch gegenüber.

Protagonist und ­Antagonist: Dr. B. (Oliver Masucci, r.) und Franz-Josef Böhm (Albrecht Schuch) Foto: Studiocanal

Im Spielfilm „Schachnovelle“ wird der Anwalt Josef Bartok (Oliver Masucci) kurz vor seiner Flucht vor den Nazis durch die Gestapo verhaftet und in einem fast leeren Zimmer des Wiener Hotels Monopol arretiert. Um ihn zur Herausgabe ihm anvertrauter Konten zu zwingen, enthält man ihm jegliche Abwechslung vor. Bartok gelingt es, seinen Peinigern ein Schachbuch zu entwenden und sich Schachfiguren aus Brotresten zu kneten – es könnte seine Rettung sein. Phi­lipp Stölzls Film ist die zweite Kino­adaption des gleichnamigen Romans von Stefan Zweig.

taz: Herr Stölzl, wie kamen Sie zur Schachnovelle?

Philipp Stölzl: Auf ungewöhnliche Weise. Einer der beiden Produzenten hat seinen Sohn in der gleichen Kitagruppe wie ich, und wir haben auf dem Spielplatz immer viel über unsere Projekte gesprochen, er erzählte mir von den Plänen für die „Schachnovelle“. Ich habe die verschiedenen Stufen der Idee also zwanglos mitverfolgt, habe auch, nur aus Neugier, die Drehbuchfassungen gelesen. Als sie einen Regisseur suchten, hat er mich gefragt, ob ich das machen möchte. Es war somit ein wenig Glück dabei – ich bin eigentlich kein Arthouse-Regisseur, und vermutlich hätte ich ein solches Buch sonst nicht angeboten bekommen. Die Begegnung mit den Produzenten war, denke ich, aber für beide Seiten befruchtend.

Das Drehbuch war also schon vorhanden?

Ja, der Drehbuchautor Eldar Grigorian stammt aus Russland – und er hat immer viel Schach gespielt, war sogar im Schachverein. Er hatte darum eine große Nähe zum Sujet. Der Clou an der Geschichte, dass quasi alles aus der Zelle heraus erzählt wird, der war schon im Drehbuch vorhanden, und die Idee hat mich sehr überzeugt.

Film und Roman erzählen fast umgekehrt – in Zweigs Novelle ist der Rahmen die Erzählung eines Emigranten, der auf einem Schiff nach Buenos Aires auf einen Schachweltmeister trifft, im Film dagegen ist „Dr. B.“ von Anfang an der Protagonist. Warum diese Änderung?

„Schachnovelle“. Regie: Philipp Stölzl. Mit Oliver Masucci, Albrecht Schuch u. a. Deutschland/Österreich 2020, 110 Min.

Das Buch hat eine Zwiebelstruktur, also die Geschichte in der Geschichte – eine Form, die filmisch selten gut funktioniert, außer vielleicht bei Ang Lees ­„Tiger and Dragon“. Wir haben für den Film zwar auch zwei Geschichten ineinander geschachtelt, aber es stellt sich heraus, dass die eine der beiden Ebenen sich im Kopf des Protagonisten befindet. Wir haben uns also bewusst von Zweigs Struktur entfernt.

Der Film passt zur aktuellen Diskussion um die Systemrelevanz der Kultur – wir sehen einen Menschen, der buchstäblich jeglicher Kultur, jeglicher Inspiration, jeglicher Bilder depriviert wird …

Ja, das ist das zentrale Thema der Geschichte: Was macht die Deprivation mit dir, was ist der Wert der inneren geistigen Welt? Bei Zweig ist das in Verbindung mit Emigration eine wichtige Frage: Zweig glaubt zwar, dass wir unsere Geisteswelt mit uns herumtragen. Aber aus seiner Perspektive in den 40er Jahren, als man dachte, durch den sicheren Sieg der Nazis sei das gesamte geistige Universum dem Untergang geweiht, ist damit alles verloren. Das ist eine unfassbar düstere Erkenntnis, von der wir Gott sei Dank heute weit entfernt sind.

wurde 1967 in München geboren. Nach einer Ausbildung zum Bühnenbildner arbeitete er als Bühnen- und Kostümbildner an deutschen Theatern. 1997 drehte er sein erstes Musik­video für den Song „Du hast“ von Rammstein, 2002 seinen ersten Spielfilm „Baby“. Stölzl arbeitet als Film-, Werbe-, Theater- und Opernregisseur.

Nebenfiguren sind Albrecht Schuch als Gegenspieler und Birgit Minichmayr als Frau des Dr. B. – eine Figur, die in der Novelle keine so große Rolle spielt – wieso?

Der Held braucht ein Ziel, einen Grund, überleben zu wollen, wie bei Odysseus oder wie im Film „Cast Away“, in dem ein Paketbote auf einer einsamen Insel strandet und die Einsamkeit nur erträgt, weil er sich an den Gedanken klammert, dort wegzukommen, um das letzte Paket zustellen zu können. Das gibt einem das Gefühl, nicht nur allein zu sein, sondern etwas zurückgelassen zu haben, das auf einen wartet – im Fall unseres Films ist das Bartoks Frau, mit der der Abschied schicksalhaft war: Er sagte ihr, sie solle zum Bahnhof vorfahren, er käme gleich nach. Und das hat dann nicht geklappt. Er weiß also, sie ist irgendwo und wartet – das ist seine Passionsgeschichte, sein Grund, am Leben zu hängen. Sie ist eine Art warmer Magnet, der dem Film Kraft gibt. Wir haben zudem versucht, eine bereits lange bestehende, kinderlose Ehe zu porträtieren, eine Verbindung auf Augenhöhe, kein Kinoklischee. Darum habe ich die Frauenfigur mit einer Charakterdarstellerin besetzt.

Und Schuch als Gestapo-Mann?

Bei Zweig ist der Antagonist ja eher eine anonyme Maschine. Bei uns gibt es das Gesicht dazu. Das liegt daran, dass die Novelle ihr Geheimnis zwar nicht komplett freigibt, eine naheliegende Interpretation bei Zweig lautet aber, dass seine Figur des analphabetischen, groben Schachweltmeisters eine Metapher für die Nazis ist: Ein grobschlächtiger Barbar im Thomas Mann'schen Sinne, der auf dem Schach-Schlachtfeld im Vernichten des anderen jedoch ein Genie ist. Quasi ein Bild für die Nazis, die mit hoher Präzision einen grausamen Genozid durchführen. Im Konstrukt des Drehbuchs ist das Schiff eine Überschreibung der Ereignisse in der Zelle – wie bei Freud hat alles Reale seine Entsprechung in der Fantasie, im Traum. Der Gestapo-Mann, der das Verhör durchführt, ist darum in der Vorstellung der Schachweltmeister, gegen den man gewinnt. Wir haben natürlich überlegt, ob wir Schuchs Doppelrolle überhaupt vorher kommunizieren, haben uns aber dafür entschieden, denn das ist kein Spoiler – die Grenzen von Wahn und Realität lösen sich eh die ganze Zeit Stück für Stück auf.

Wie kam es zum Casting von Masucci und Schuch?

Masucci ist ein rasend begabter Schauspieler, er ist ja Rheinländer, war aber lange am Burgtheater und hat den Klang der Sprache im Ohr. Man merkt, dass er viel gedreht hat – er ist immer auf dem Punkt beim Spielen, sehr präzise. Und Al­brecht Schuch ist ein echter method actor – er bleibt teilweise auch außerhalb des Sets in der Rolle und ist dabei immer wahnsinnig gut vorbereitet.

Wieso haben Sie sich dagegen entschieden, den Protagonisten Dr. B. wie in der Novelle in „Schwarz-Ich“ und „Weiß-Ich“ aufzusplitten?

Darüber haben wir lange nachgedacht, aber wir haben ihn ja schon in Zellen-Ich und Schiffs-Ich aufgesplittet – irgendwann würde es dann eine Umdrehung zu viel, zu formal. Unser Konstrukt war: In der Zelle ist alles echt, der Rest ist seine Vorstellungskraft.

Wenn man tatsächlich nicht wüsste, wer die Nazis waren und was sie verbrochen haben, erzählt einem der Film nicht viel darüber – sie wirken fast wie eine Art Arbeiterbefreiungsbewegung …

Das ist bewusst so erzählt – im gesamten Film sind wenig Hakenkreuze zu sehen, auch nicht am Gestapo-Chef Böhm selbst, weil die Schachnovelle eben nicht Kerrs „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ ist oder „Das Tagebuch der Anne Frank“ oder Brechts „Furcht und Elend des Dritten Reiches“. Stattdessen hatte Zweig etwas Kafkaeskes geschaffen, es selbst quasi psychologisch überschrieben. Er versucht, aus dem Grauen der Zeit ein Symbolbild zu schmieden, ein Bild, das eine eigene Wahrheit, ein künstlerisches Schweben hat. Ich wollte darum die historische Fläche eher im Hintergrund halten und die Themen Arm/Reich und Sinnesentzug in den Vordergrund schieben.

Es geht um moralische Fragen – macht man mit oder nicht? Schützt man die Falschen oder die Richtigen? Von Thomas Mann gibt es Texte, in denen er als Kulturmensch dem Nazipöbel seine Verachtung entgegenschleudert. Das ist in der Figur des Schuch ein wenig verarbeitet – jene Elite, die von den Nazis vernichtet und weggeschickt wird, hatte zum Teil auch das Gefühl, ihr könne keiner etwas anhaben. Das Thema spiegelt sich in mancher Hinsicht auch heute noch, etwa bei der Wahl von Trump zum US-Präsidenten – die Kulturelite war fassungslos, aber die ist nur ein winziger Teil der Gesellschaft.

Was sagt das über die Gesellschaft aus?

Dass unter einer dünnen Schicht jede Menge Grobheit, Gemeinheit oder Ignoranz lauern. Die Milieus, in denen wir uns bewegen, sind eben auch nur klitzekleine Blasen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.