Stoffe wie aus Wasser

Vom klassischen Monumentalmaler zu einem der wichtigsten Vertreter der Moderne: Die Berlinische Galerie widmet Ferdinand Hodler eine umfangreiche Ausstellung

Ferdinand Hodlers Gemälde „Heilige Stunde“ aus dem Jahr 1911 Foto: © Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte, Winterthur; © SKKG, 2020 // SIK-ISEA, Zürich (Philipp Hitz)

Von Charlotte Eisenberger

Noch ist die steinerne Bank warm von der Sonne, auf der die vier jungen Frauen sitzen. Im Hereinbrechen der Nacht leuchten die Rosen besonders kräftig durch das dunkle Laub. Die vier Frauen, bewegt von einer nicht hörbaren Melodie wiegen sie sich mit verträumten Blicken zueinander, jede in ihren Gedanken, wie es scheint. Langsam legt sich der kühle Schleier der Nacht auf die Falten blauer Kleider nieder. Eine Szene, festgehalten im Bild „Heilige Stunde“ von Ferdinand Hodler. Im Rahmen der Berlin Art Week kooperierte das Kunstmuseum Bern mit der Berlinischen Galerie Berlin und eröffnete am 10. September die Ausstellung „Ferdinand Hodler und die Berliner Moderne“. Die „Heilige Stunde“ ist Teil der Ausstellung, die einen Bogen von den Anfängen Hodlers bis zu den bekanntesten Werken spannt.

Gezeigt wird die künstlerische Entwicklung des 1853 in Bern geborenen Malers, der insbesondere durch die Berliner Moderne internationalen Erfolg und Einfluss auf die ganze Epoche erlangte. Die Porträts von Augustine Dupin oder Albertine Bernhard, beide um 1885 entstanden, sind zwar noch weit vom späteren Stil des Malers entfernt, jedoch sind gerade Linien und Umrisse schon in Kleidern und Haaren erkennbar. Auch die Figurenbilder „Verwundeter Jüngling“ und „Zwiegespräch mit der Natur“, beide um 1884, zeigen die zwar noch sehr realistische Umsetzung der Körper, der Hintergrund jedoch ist schon von grafischen Elementen und detailarmer Malweise geprägt. Der auffällig reduzierte, grafische Malstil lässt die Bilder Hodlers herausstechen aus den weich dunkel gemalten Bildern seiner Berliner Kollegen. Hodler stellt 1899 „Die Lebensmüden“ in der neugegründeten Berliner Secession aus, in die er 1900 als korrespondierendes Mitglied eintritt.

Zwar unterscheiden sich die Mitglieder der Berliner Secession in ihrer Malweise alle von der damaligen Fasson, doch wird der Unterschied zwischen ihnen und Hodler deutlich: Das Landschaftsbild „Sommer“ von Hans Thoma beispielsweise ist sehr detailliert, dunkle satte Farben, ideale Darstellung einer verträumten Landschaft im Sommer. Hodler hingegen erforscht die Reduktion, experimentiert mit Blickwinkeln und Symmetrien und entwickelt schließlich eine Art der Komposition, die er Parallelismus nennt. In seinen Landschaftsbildern der Schweiz stören keine vertikalen Striche: Die ganze Komposition verläuft horizontal und formt so einen weiten Blick, der nicht vom Rahmen eingeschlossen wird und über die Seiten des Bildes hinausführt.

Besonders für den Charakter der neuen Kunstepoche war auch der Farbauftrag, weswegen Ferdinand Hodler unter anderem mit Paul Cézanne, Vincent van Gogh und Edvard Munch zu den einflussreichsten Malern der europäischen Moderne gehört. Anders als im Naturalismus sind die Pinselstriche an manchen Stellen klar zu erkennen. Die Blumen in „Heilige Stunde“ zum Beispiel sind nur angedeutet, haben keine besondere Form, wirken wie schnell dahingetupft. Dafür sind Haut und Kleidung der meisten Figuren fein gearbeitet. Auf dem Bild „Lied in der Ferne“ schmiegt sich das Kleid der Frau an ihren Körper. Fast so, als wäre es nass, fließt es um die Rundungen am Bauch über das vordere Bein. Die Farbe ist kraftvoll und ohne Lücke aufgetragen, langsam und bedacht. Dieses Spiel von grober pastoser Arbeitsweise und sinnlichen Formen gibt den Werken eine intrinsische Dramatik.

Besonders für den Charakter der neuen Kunstepoche war auch der Farbauftrag

Der Fokus auf Körperlichkeit und Bewegung wird das zentrale Thema, welches sich durch das Gesamtwerk des Künstlers zieht. Vorbild für die sich wiegenden oder dahinschreitenden Figuren ist der moderne Tanz, den Holder um die Jahrhundertwende durch seinen engen Freund, den Komponisten Émile Jaques-Dalcroze, kennenlernt. Die Ausdrucksweise von Emotionen durch den Körper inspiriert den Künstler. Er studiert die Bewegungen der Tän­ze­r:in­nen in zahlreichen Skizzen und fügt sie in die Werke mit ein. So entsteht eine Mischung aus Zeichnung und Malerei. Aber nur diese Erneuerung brachte ihm noch keinen großen Erfolg.

Was man heute wohl als Networking bezeichnen würde, erkannte der Maler damals schon als geeignetes Mittel, berufliche Ziele zu erreichen. Nachdem sein Werk „Die Nacht“ aus einer Schweizer Ausstellung entfernt wird, da es nackte Körper und eine vermeintlich obszöne Szene zeigt, organisierte er kurzerhand eine private Ausstellung und nutzte das verdiente Eintrittsgeld, um sein Werk in den Pariser Salon zu bringen. Von dort aus begann sein internationaler Erfolg, vor allem in Paris, München und Wien wurde der Künstler nun regelmäßig ausgestellt und vielfach ausgezeichnet. Berlin aber wurde sein Liebling, wo er auch die größten Erfolge feierte.

Es folgen viele Ausstellungen in München, Wien, Berlin und später dann Bern und Zürich. Bis zu seinem Tod 1918 in Genf ist er ein renommierter und angesehener Vertreter der Moderne.

Bis 17. Januar 2022, Berlinische Galerie