Dana Grigorcea liest aus ihrem Roman: (Un-)Tote in der Familiengruft

In „Die nicht sterben“ vermischen sich Traum und Realität. Auch Dracula hat einen Auftritt. Im Brecht-Haus Berlin liest Grigorcea aus ihrem Roman.

Kupferbüste von Vlad dem Pfähler, der als Vorlage für Dracula gilt

Vlad der Pfähler gilt als Vorbild für den von Bram Stoker erfundenen Blutsauger Dracula Foto: imago

In der Walachei, südlich von Transsilvanien, liegt ein kleiner Ort, den die Ich-Erzählerin dieses Romans „B.“ nennt. Es ist das Dorf, in dem ihre Vorfahren lebten und in dem ihrer Familie einst eine Villa gehörte, die unter Ceaușescu enteignet wurde. Dennoch verbringt die Erzählerin schon als Kind all ihre Ferien dort, denn die Villa kann gemietet werden.

Ihre geliebte Großtante Margot pflegt davon regelmäßig Gebrauch zu machen und mit ihrem gesamten großbürgerlichen Hausrat anzureisen, einschließlich zahlreicher Möbel aus altem Familienbesitz, die sie für die Dauer des Aufenthalts gegen das billige Mobiliar des vergesellschafteten Hauses austauscht.

Nach dem Ende des Ceaușescu-Regimes wird das Haus an die Familie zurückgegeben; und zu der Zeit, als der Großteil der Romanhandlung stattfindet, ist die Erzählerin längst erwachsen, hat in Paris studiert und ist Künstlerin geworden.

Diese ihre „Künstlernatur“, wie die Tante sie schon immer genannt hat, spiegelt sich in der gesamten Anlage des großartig erzählten Romans, der sowohl visionär-phantasmagorische als auch groteske Züge trägt und für dessen Handlung über weite Strecken schwer zu entscheiden ist, bei welchen Szenen es sich um Traumsequenzen und welche von realen Begebenheiten handeln. Es ließe sich allerdings mit guten Gründen behaupten, dass diese Unterscheidung ohnehin keine Rolle spielt.

Ein frischer Toter und das Wappen von Dracula

Ein sommerlicher Aufenthalt in der Villa, zu dem allerhand Freunde und Verwandte der Tante mitgekommen sind, bringt Ereignisse ins Rollen und Dinge ans Tageslicht, die lange, zum Teil viele Jahrhunderte lang, in der Familiengruft begraben lagen. Ein tragischer Wanderunfall erfordert die Beerdigung einer Verwandten.

Doch die Zeremonie wird empfindlich gestört, denn in der Gruft findet sich nicht nur bereits ein anderer auffallend frischer Toter, sondern auf dem Sarg einer Vorfahrin zudem das Wappen des wohl berühmtesten Rumänen aller Zeiten: des Fürsten Vlad des Pfählers, auch als Dracula bekannt.

Dana Grigorcea: „Die nicht sterben“. Penguin Verlag, München 2021, 272 S., 22 Euro.

Lesung am 27. 10., 17.30 Uhr, Literaturforum im Brecht-Haus Berlin

Auf die Ich-Erzählerin haben beide Entdeckungen eine starke Wirkung. Der frisch Verstorbene in der Gruft stellt sich als einstiger Junge aus dem Dorf heraus, mit dem sie als junges Mädchen eine heimliche (der Umgang mit Dorfkindern war ihr verboten) Liebesbeziehung hatte.

Vlad des Pfählers Wappen in der Familiengruft wiederum setzt nicht nur in ihrer Künstlerseele allerlei Fantasien in Gang, sondern auch im Hirn des geschäftstüchtigen Dorfbürgermeisters, der sogleich von einem Dracula-Park zu fantasieren und internationale Touristen ins Dorf zu locken beginnt.

Blutsaugertum als politische Metapher

Traumwandlerisch sicher und traumhaft versponnen verwebt Dana Grigorcea zahlreiche historische und narrative Fäden und Schichten mit- und umeinander. Nicht zuletzt wird als Geschichte im Roman auch das Leben des historischen Vlad III. erzählt, eines legendär grausamen transsilvanischen Fürsten aus dem 15. Jahrhundert, den erst Bram Stoker, unter Einbeziehung zahlreicher ortstypischer Vampirsagen, zum nächtlichen Blutsauger literarisierte.

In Grigorceas Roman wiederum lebt das Vampirische nicht nur in der Sage, sondern auch in der Gegenwart, und das gleich in mehrfacher Gestalt. Darüber kann hier nicht zu viel verraten werden, doch es versteht sich von selbst, dass das Blutsaugertum unter anderem auch eine hervorragende politische Metapher ist.

Was der Roman mit der rumänischen Lebenswirklichkeit von heute und gestern zu tun hat, welche Rolle das Vampirische darin spielt und inwieweit auch ihre eigene Familiengeschichte in den Roman eingeflossen ist, all dies und Weiteres kann, wer möchte, Dana Grigorcea sehr bald persönlich fragen, denn an diesem Mittwoch, den 27. Oktober, liest die schweizerisch-rumänische Autorin im Literaturforum im Brecht-Haus aus ihrem Roman.

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