Debatte um Boykott der Buchmesse: Eine dünne Eisdecke

Das Recht, an einer Buchmesse teilzunehmen, muss so inklusiv wie möglich gehalten werden. Sonst übernimmt man das Gift jener, die man bekämpfen will.

Zwei POlizisten in den Messehallen, während der Frankfurter Buchmesse

An der Grenze des Tolerierbaren muss patrouilliert werden. Polizeistrafe auf der Buchmesse Foto: Star-Media/imago-images

Es ist eine bittere Erfahrung, dass kaum etwas Neues passiert. Auf der Buchmesse haben rechte Verlage ausgestellt, Autorinnen of Color fühlten sich bedroht, boykottieren die Messe, ein rechter Verlag bekommt mehr Publicity, als er ohne den Boykott hätte erhoffen können – und zumindest eine der boykottierenden Autorinnen auch.

Die Reaktionen teilen sich in Solidarität mit der schwarzen Autorin und Abscheu gegen die Rechten auf der einen Seite, auf der anderen Seite mit dem warnenden Hinweis darauf, dass die Buchmesse wenig Handhabe hat, Aussteller auszuschließen, solange sie sich nichts strafrechtlich Relevantes haben zuschulden kommen lassen. Dagegen wird mit dem Rekurs auf authentische Gefühle und Bedrohungserfahrungen reagiert wie mit dem leise vorgebrachten Zweifel, ob subjektive Erfahrungen ausreichen, um rechtlich zweifelhafte Entscheidungen zu treffen.

Bei der Verleihung des Friedenspreises an eine schwarze Autorin wird von einer ebenfalls schwarzen Politikerin behauptet, Schwarze seien auf der Messe nicht willkommen (der verdutzte Ortspolitiker hat keine Zeit, darauf distanziert zu reagieren), während andere zumindest verschämt auf einen performativen Widerspruch vor Ort verweisen.

Man kann sagen: Zum Fall ist alles gesagt, und irgendwie haben alle recht, auch wenn sie sich widersprechen. Authentisches Erleben ist ohnehin nicht kritisierbar, aber auch die rechtlichen Argumente stimmen.

Es ist schwer auszuhalten, dass es eine rechte Publizistik gibt, die die Grenzen des Sagbaren sehr deutlich auslotet und die Kunst des Grenzregimes an der Demarkationslinie zwischen Tolerierbarem und Unerträglichem ziemlich gut beherrscht; aber es gilt auch der Satz, dass es nicht so einfach ist, diese Demarkationslinie eindeutig und einseitig festzulegen. Dass es auch rechtes Denken gibt, muss man wohl aushalten, wenn man in einer offenen Gesellschaft leben will. Wo das Rechtsradikale und Extremistische beginnt, ist sogar für Strafverfolgungsbehörden kaum objektiv zu klären.

Vermintes Gelände

Das Feld ist ein vemintes Gelände, zu dem man kaum Stellung beziehen kann, weil alle Stellungen schon bezogen sind – und wer seinen Standpunkt verabsolutiert, unterschreitet die Gemengelage, die hier vorliegt. Übrigens kommt man auch nicht mit Motivunterstellungen weiter. Man hat schon gehört, der prominenten Boykotteurin sei ein Coup gelungen, weil sie mehr Aufmerksamkeit erhalten habe, als sie sonst bekommen hätte – ebenso wird den Rechten unterstellt, sie provozierten bewusst, damit die Dinge sich so verknoten, wie sie es gerade tun.

Im Diskurs über Rassismus kann der bekennende Rassist geradezu etwas Entlastendes haben

Und wer zu bedenken gibt, dass das Knäuel zumindest dabei helfen kann, auf die Schwierigkeit des Problems und die Unmöglichkeit der Entknotung durch die allzu starke Erwartbarkeit aller beteiligten Rollen(zuschreibungen) hingewiesen worden zu sein, wird womöglich als unsicherer Kantonist angesehen, dem es an strammer Haltung gegen das Rechte fehlt.

Wenn aber diese Haltung gegen die rechte Zumutung einer völkischen Einteilung der Welt nur dazu führen kann, dass solche verknoteten Verhältnisse entstehen, gehen die Rechten als Sieger vom Platz, bevor sie ein Wort gesagt haben. Die einen haben dann eine Haltung, die anderen brauchen nur einen Stand auf der Messe.

Die Grenze des Tolerierbaren

Wenn wir die Rechten und das Rechte loswerden wollen, müssen wir uns vielleicht daran gewöhnen, dass es sie gibt. Dass es in der Demokratie auch Rechte gibt, ist ohnehin unvermeidbar und auch legitim (es gäbe sonst keine Linken, und wer das für ein Hufeisenargument hält, sollte so schwierigen Dingen wie diesen Knoten nicht begegnen).

Wo die Tolerierbarkeit des Arguments aufhört und die Form der Bedrohung beginnt, ist die entscheidende Frage. An dieser Grenze muss patrouilliert werden, nicht an einer abstrakten Leugnung des Rechten als allzu präsenter Teil der Gesellschaft, in der wir uns selbst immer schon befinden.

Vor diesem Hintergrund bekommt übrigens die genau genommen (performativ) widersprüchliche Intervention während der Friedenspreisverleihung eine subtilere Bedeutung, denn die Bedrohung der liberalen Gesellschaft geht weniger von jenen aus, die sichtbar am Grenzregime zwischen Sagbarem und Unsagbarem herumbauen, sondern von jenen Einstellungen, die wenig davon wissen, dass sie zu jenem Syndrom gehören, das das Andere immer nur als Anderes ertragen kann.

Ambivalenzen der Anerkennung

Vielleicht ist die überbordende semantische Anerkennung nur die andere Seite derer, die das Andere nur anders ertragen. Der offene Rassist entlastet die alltägliche Obsession gegenüber dem Anderen, dem Exotischen, dem angeblich Fremden, dessen Anerkennung und Aufwertung dann ziemlich ambivalent wird.

In solche Probleme gerät man, wenn man den Knoten aufdröseln will. Rechte, an der Grenze zum Rechtsradikalen wandelnde Verlage von der Buchmesse zu verbannen, ähnelt der Selbstberuhigung, den eigenen Differenzblick in der positiven Diskriminierung als blinden Fleck zu führen, der mehr der eigenen Moral als der Rettung des Anderen dient. Wer den Anderen retten will, muss in ihm immer noch den Anderen sehen. Der Selbstberuhigung in der grenzenlosen Solidarität mit dem Anderen entspricht die Drastik, die sichtbaren Sünder aus der Gemeinde zu vertreiben.

Ich will nur darauf hinaus, dass es keinen unbeteiligten und keinen unschuldigen Blick gibt und geben kann – auch nicht für jene moralischen Anklägerinnen, die die Eingemeindung der Opfer völkischen Denkens ins Eigene durch drastische Maßnahmen promovieren wollen. Das verweist darauf, wie entlastend im Diskurs über den Rassismus der bekennende Rassist ist, den man von der Buchmesse expedieren kann. Aber das wäre schlicht zu einfach – und davor muss man dann ehrlicherweise sogar die Rechten in Schutz nehmen, solange sie nicht strafrechtlich auffällig geworden sind.

Kalte Anwendung des Rechts

Am Ende zeigt sich, dass die einzige Möglichkeit, die dünne Eisdecke der Zivilisation ausreichend stabil zu halten, nur durch eine möglichst kalte (sic!) liberale Anwendung des Rechts gelingen kann: Das Recht, an einer Buchmesse teilzunehmen (die übrigens in erster Linie eine Produktmesse ist und weniger eine Kulturveranstaltung Gleichgesinnter, man muss nur mal durch die Reihen gehen, was es so alles gibt), muss so liberal und inklusiv wie möglich gehalten werden, sonst übernimmt man das Gift jener, die man damit bekämpfen will.

Rechte stehen allen zu, solange keine Rechte anderer justiziabel eingeschränkt werden. Wie gesagt, die dünne Eisdecke der Zivilisation braucht diese Kältegarantie.

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