Leicht verschwiemelt

Alter Junger Wilder: Die Hamburger Kunsthalle ehrt den Maler Werner Büttner

Werner Büttner, „Graue Mädchen vor phallischer Form“, Öl auf Leinwand, 2018 Foto: Egbert Haneke/Kunsthalle Hamburg

Von Falk Schreiber

Natürlich darf man im Alter anfangen, an Gott zu denken. Man muss aber nicht. Werner Büttner etwa, Jahrgang 1954, bekommt von der Hamburger Kunsthalle eine große Ausstellung unter dem Titel „Last Lecture Show“ ausgerichtet. In dieser Ausstellung gibt es ein Kapitel „Aus dem Leben der Götter“, und hier hängt eine Madonnendarstellung, farbberauscht, mit dem wilden, expressiven Pinselstrich, der die frühen Arbeiten Büttners prägte und der hier, 2016, zurück in seine Malerei findet. Und wie heißt diese Madonna? „Die Witwe des Drogenbarons“, das selige Lächeln der Figur hat nichts zu tun mit ekstatischer Entrückung, sondern mit einer anderen Form von Ekstase.

„Die Witwe des Drogenbarons“ gibt einen Hinweis, was für eine Haltung sich durch das Gesamtwerk Büttners zieht. Klar in einem politischen Kontext verortbare Gemälde wie das kindlich-naive „Nach der Straßenschlacht“ (2014) bleiben die Ausnahme, trotz Büttners Anfängen im Umfeld der „Jungen Wilden“. Es ist auch nicht der Malgestus – zwischen den abstrakten Farbexplosionen von „Meine Frau, schlafend“ (1985) und der Klarheit von „Mega­strenge Komposition“ (2015) liegen Welten, gerade wenn man einrechnet, dass dazwischen auch eine Phase altmeisterlicher Könnerschaft kommt („Killed By Death“, 2007). Tatsächlich liegt die die gesamte Ausstellung prägende Stimmung im Humor Büttners. Im bösen, verschrobenen Humor.

„Last Lecture Show“ ist anlässlich seiner Verabschiedung als Professor an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste (HfBK) entstanden, nach über 30-jähriger Lehrtätigkeit. Eines der jüngsten Gemälde in der Ausstellung thematisiert diesen Abschied als humorvoll-melancholische Bildkomposition: „Büttner geht von Bord“ (2020) zeigt unverkennbar das ikonografische Treppenhaus der HfBK, eine einerseits bedrohlich wirkende, andererseits ästhetisch ansprechende Institutionsarchitektur. Und in diesem Treppenhaus ist ein Schatten zu sehen, ein leicht gebeugt die Stufen hinabsteigender Mann, der hier zum letzten Mal die Räume durchwandert. Ach je!

Denn das ist Büttner eben auch: ein alter, weißer Mann, dessen Umgang mit Sexualität und Erotik leicht verschwiemelt daherkommt. Die grundsätzliche Paarskepsis, die sich im Kapitel „Flucht ins Duett“ mit Bildern wie „Nestbauenthusiasten“ (2016) manifestiert, die pornografisch grundierte Körperästhetisierung in „Diesmal Made in Germany“ (2016) wirken ein wenig von gestern, weil sie Sexualität als Solidarität gar nicht mal zu denken scheinen. Dafür aber als Witz: „Graue Mädchen vor phallischer Form“ (2018) ist auch nicht mehr als eine comichaft überzeichnete Surrealismus-Travestie, aber als solche auch ziemlich gelungen.

Als Ausstellung kommt die von Kunsthallendirektor Alexander Klar kuratierte „Last Lecture Show“ brav daher – ein durchkanonisierter Künstler erhält hier eine verdiente Würdigung, wird allerdings nie hinterfragt. Gemälde hängt neben Gemälde, und die acht Kapitel sind zwar stimmig, aber nicht besonders innovativ. Einzig „Aus dem Leben der Götter“ wird ­verschränkt mit „Aus dem Leben der Loser“, da scheint eine kuratorische Brillanz auf, die der Präsentation sonst fehlt. Zumal die so entstehende Parallelführung von „Gott“ und „Loser“ ihre Entsprechung im bösen Humor dieser Kunst findet.

Gerade letzteres Kapitel zeigt auch, was für ein vielschichtiger Künstler Büttner ist, weil es tatsächlich den großen Bogen spannt, von den Achtzigern bis in die Gegenwart. Da findet man die Abstraktion von „Drei ­Landser auf dem Heimweg“ (1988), die über die kopulierenden Monster in „Hooligans“ (1990) bis zur fiesen Gerhard-Richter-Kopie „Nach der Saalschlacht mit Stuhlbeinen, ihretwegen …“ (2016) führt. Klug. Aber eine Ausnahme.

Was Büttner auch kann, ist in dieser vielleicht zu ehrfurchtsvollen Schau an den Rand gedrängt: „Unvernunft keimt, wie Unkraut, schon bei Sternenlicht“ zeigt neben dem wirbelnden Derwisch-Gemälde „Whirling Weltgeist“ (2020) kleinformatige Arbeiten, die nicht so recht zu passen scheinen zur kuratorischen Haltung: Collagen, jeweils mit kurzen Untertiteln, Witzbildchen eigentlich. „Rätselhaftes Menschenwerk“ steht unter dem Bild eines extrem überzüchteten Pudels (2011), „Frauen, die sich geliebt wähnen, überleben die Statistik …“ unter einer düsteren Reihenhaussiedlung (2013), „Dieses Kind wird sich totsaufen …“ (2013) unter der Abbildung eines Mädchens im Heckenlabyrinth. Diese Bild-Text-Collagen bilden nur eine kurze Phase ab, aber vielleicht bieten sie einen originellen Zugang zu seinem Werk. Origineller als die restliche, so ordentliche wie unspektakuläre Ausstellung.

Bis 16. Januar 2022, Hamburger Kunsthalle