Briefband Hermann Hesse nach 1945: Wackliges Denkmal

Hermann Hesse hilft bei der Gründung des Suhrkamp Verlags, aber reicht Altnazis die Hand. Nun sind einige seiner Briefe in einem Band erschienen.

Portrait von Hermann Hesse.

Der Nobelpreisträger von 1946: Hermann Hesse Foto: imago

„Wohl dir, daß du so gut vergessen kannst!“ Hermann Hesse ist ärgerlich über seinen Studienfreund, den Schriftsteller Ludwig Finckh. 71 Jahre ist Hesse alt, als er den Brief im Dezember 1948 abschickt. Der Adressat ist ein Jahr älter. Was Hesse so verstimmt hat? Eine Widmung! Finckh hat ihm sein neues Büchlein zugeeignet. Das klingt harmlos. Ist es aber nicht.

Finckhs große Zeit als Schriftsteller lag vor 1945: 1933 unterzeichnete er das „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“ für Adolf Hitler, trat in die NSDAP ein und engagierte sich propagandistisch. 1948 wirbt er dann mit lieblichen Gedichten für sich. Doch Hesse will die vergifteten Blumen nicht. Noch nicht lange sei es her, da habe Finckh Postkarten „von literarischen Nazi-Treffen“ geschickt.

Die versöhnende Hand reicht Hesse seinem alten Freund trotzdem. Aus der Schweiz beobachtet Hermann Hesse, was seit 1945 in Deutschland literarisch passiert: Wie sich der Betrieb langsam neu sortiert und doch vieles beim Alten bleibt. Seine Kritiker von gestern wollen die Freunde von morgen werden: Hesse wird wieder umworben, wenn auch öfter halbherzig. Und reagiert irritiert und verstimmt – so der Grundton der Briefe aus den Jahren 1947 bis 1950, die jetzt bei Suhrkamp erschienen sind.

Literaturnobelpreis 1946

Im November 1946 hat Hesse den Literaturnobelpreis erhalten. Schon auf den letzten Seiten des Vorläuferbands war die Euphorie nur verhalten. Das setzt sich fort: Man liest Klagen über die verspätete Würdigung, über die viele zusätzliche Post. Einzig ein Druckfehler stimmt Hesse heiter: Die kleine Lausanner Gazette hatte aus dem Missionarskind einen Millionärsjungen gemacht. Um Geld und um Geldsorgen geht es in Hesses Briefen immer wieder.

Hermann Hesse: „Das Unerträgliche muß zu Wort kommen“. Die Briefe 1947–1950. Herausgegeben von Volker Michels. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2021, 615 Seiten, 58 Euro

Von den Raubdrucken seiner Werke, die in den Besatzungszonen erscheinen, sieht Hesse erst einmal keinen Cent. Dieselben Verleger, die während der NS-Zeit nichts mehr mit Hesse zu tun haben wollten, drucken ihn nun ungefragt nach. Hesse fühlt sich doppelt ungerecht behandelt: Haben sie erst das Werk um sein Publikum gebracht, verweigern sie dem alternden Autor nun seinen finanziellen Anteil. „Ich habe mein gesamtes Lebenswerk Deutschland anvertraut und bin darum gebracht worden.“ So steht es im ersten Brief des Bandes – einer Drucksache, die Hesse zur Beantwortung der vielen deutschen Bittbriefe produzieren ließ.

Zu großen Teilen ist es eine Männerwelt, mit der Hesse per Brief kommuniziert – die Familie ausgenommen: Vereinzelt bekommen auch Autorinnen Post, Ina Seidel etwa, die auf Hitlers „Gottbegnadeten-Liste“ stand. Nach Peter Suhrkamp fragt Hesse seit 1945 regelmäßig, will unterstützen. Nur kurzzeitig gibt es Misstöne – ausbleibende Antworten, unerlaubte Drucke auch hier. Im 1950 gegründeten Suhrkamp-Verlag ist Hesse ein Zugpferd. Die Bibliothek Suhrkamp macht mit Hesses „Morgenlandfahrt“ auf.

Voller Ambivalenz

Einen anderen Ton schlagen die jüngeren Deutschen an. Hesse bemüht sich: beantwortet Leserbriefe, gibt Bücher an Kriegsgefangene. Gutachtet für Rowohlt über Arno Schmidt: ein Desperado mit Talent, schnoddrig, aber begabt. Aber auch, so abschließend: ein Phantast und Häretiker. Schmidt bekommt den Schiedsspruch zu lesen, revanchiert sich mit einer bitterbösen Postkarte: „Als Gegengabe will ich Ihnen mein Urteil über Ihr Werk senden: Ein begabter Dichter, weich und faltig.“

Auch wenn Hesse manche seiner Briefe in Zeitungen drucken ließ und schon zu Lebzeiten eine Auswahl zu Suhrkamp gab: literarisch geben sie nicht viel her. Als historische Quelle sind sie dafür hochinteressant. Sie zeigen, wie auch die Korrespondenz aus den Jahren zuvor, einen politisch ambivalenten, manchmal strauchelnden Autor. Über Emigrantenschelte und antijüdische Ressentiments hatten sich Kritiker irritiert gezeigt. Von Ambiguitäten ist auch der aktuelle Band nicht frei.

Zorn über Finckh hält Hesse nicht davon ab, ihn zu entlasten. Das Schreiben war durchaus gedacht für die Spruchkammer. Patriotismus, Deutschtümelei, Hitlerliebe – Hesse zählt alles auf. Weil Finckh sich ständig mit allen angelegt habe, so Hesse, habe er im NS keine Vorteile gehabt – sein Nazitum war sozusagen rein: Er habe, „zwar töricht und schädlich, aber reinen Herzens, gutgläubig“ gehandelt. Nationalsozialismus als verquerer Idealismus? Das solle für 90 Prozent der deutschen Intellektuellen gelten: ein fatales Urteil.

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