Film „Adam“ von Maryam Touzanis: Alles andere als unterwürfig

Die sinnli­chen Formen langer Teig­schlan­gen: Maryam Touzanis Spielfilm „Adam“ erzählt von zweier im Unglück verbundenen Frauen in Casablanca.

Zwei Frauen, die eine arbeitet mit Mehl, die andere hält den Teekessel

Abla (Lubna Azabal) und Samia (Nisrin Erradi, rechts) beim Backen Foto: Grandfilm

Maryam Touzani zeigt mit Vergnügen, dass sie die Kamera liebt. Die dunkle Haarmähne, das Dekolletee, die großen Auftritte ihrer Schönheit rund um die Präsentation ihres Films „Adam“ sind ein Statement. Ihre Heimat Marokko nimmt wahr, dass die in London ausgebildete Journalistin seit ihrem ersten Kurzfilm weit über den arabischen Raum hinaus Auszeichnungen gewinnt, mit ihren einfühlsamen Frauen- und Mädchenporträts stößt sie jedoch auf Tabus.

Glamour verschmilzt bei ihr mit Aufklärung, Liebe zur Kultur ihrer arabischen Heimat mit Einblicken in verborgen gehaltene Binnenwelten und subtiler Kritik an repressiven Verhältnissen. Auch wenn sie schweigen, sind die Mädchen und Frauen in ihren Filmen alles andere als unterwürfig. In ihnen ist etwas aufbewahrt, was der zertrümmerte Arabische Frühling versprach.

Sie braucht weniger spektakuläre Geschichten und filmische Looks als ihr Ehemann und Produktionspartner Nabil Ayouch, dessen Drama „Much Loved“ (2015) um vier in einer WG zusammenlebende Prostituierte, ursprünglich nach einem Drehbuch von Maryam Touzani entstanden, schmerzhaft und schrill auf die Doppelbödigkeit der Scharia-geleiteten Sexualmoral hinweist.

Tagträume eines versklavten kindlichen Hausmädchens

Bei Maryam Touzani sind es alleinerziehende Witwen, aufgeweckte Mädchen und unerwartet zugewandte, dem dominanten patriarchalischen Selbstbild entkommene Männer, die ihren energischen Überlebenswillen entfalten. In „Quand ils dorment“ (2012) verbündet sich eine achtjährige Waise über dessen Tod hinaus mit dem geliebten Großvater, „Aya va à la plage“ (2015) folgt den Tagträumen eines versklavten kindlichen Hausmädchens.

„Adam“, Maryam Touzanis abendfüllendes Spielfilmdebüt, das 2019 in der Sektion „Un certain regard“ in Cannes Premiere feierte und pandemiebedingt jetzt erst in den Kinos startet, erweitert und intensiviert die Lieblingsmotive der Drehbuchautorin und Regisseurin.

„Adam“: Regie: Maryam Touzani. Mit Lubna Azabal, Nisrin Erradi u. a. Marokko/Frankreich 2019, 98 Min.

In den verwinkelten Gassen der Medina von Casablanca sucht die schwangere Samia (Nisrin Erradi) Arbeit. Sie klopft an Türen, bietet Kosmetik und Haarpflege, Putzen und Kochen an, mit Blick auf den Bauch der jungen Frau und die umgehängte Tasche winken die strengen Hausfrauen des Viertels jedoch ab. Dieselbe abschätzige Haltung kassiert Samia auch von Abla (Lubna Azabal), einer Witwe, die ihr Töchterchen Warda (Douae Bekhaouda) eisern zu den Hausaufgaben anhält und ihre Tage mit dem Backen landestypischer Brote und Süßigkeiten zubringt.

Abla lässt die Vagabundin ins Haus

Nur Wardas unkomplizierte Offenheit für die Fremde durchdringt Ablas Härte. Sie lässt die Vagabundin ins Haus und bietet ihr mit schroffen Worten nur für kurze Zeit einen Schlafplatz an, was Samias Stigma als Schwangere ohne männliche Begleitung umso demütigender unterstreicht. Obwohl Samia unprätentiös ihre Künste als Haushaltshilfe und Bäckereigehilfin anbietet, reizt die Geschicklichkeit der jungen Frau, vielleicht auch ihre Ruhe die verbitterte Hausherrin dazu, ihr Revier zu verteidigen und sie auf die Straße zu werfen.

Die Sache mit der Schwesterlichkeit, laut vieler Kritiken das Hauptmotiv des Films, erweist sich als sehr genau der Wirklichkeit abgeschauter, ruckeliger Prozess zwischen den im Unglück verbundenen Frauen. In zahlreichen Großaufnahmen nimmt einen die Kamera mit in die minimalistischen Regungen der Gesichter, in denen sich ihre widerstreitenden Gefühle spiegeln.

Die hohen dunklen Räume der kaum beleuchteten, zum Tageslicht nur an einem zugleich als Verkaufstresen dienenden Fenster zur Gasse hin geöffnet, kleiden den engen Schauplatz des Frauenlebens in ein Helldunkel, das an die Malerei der Vormoderne erinnert. Viele Momente des inneren Kampfes und beginnenden Austauschs geschehen in stillen Gesten und heimlichen Blicken.

Nie will sie einen Mann in ihrem Leben zulassen

Langsam stellt sich heraus, dass Ablas Mann bei einem Unfall starb, ihr nach altem Brauch aber verweigert worden war, sich von ihm zu verabschieden. Erst drei Tage nach dem rituellen Begräbnis war es der Frau gestattet, sein Grab aufzusuchen. Nie wieder will Abla einen Mann als personifizierten Vertreter dieser verächtlichen Haltung in ihr Leben lassen.

Leider daher auch nicht den freundlichen Mehllieferanten Slimani (Aziz Hattab), der seine Liebe nur im Gespräch mit Samia „über Eck“ zum Ausdruck bringen kann. Samias Musik löst die Verkarstung in Abla, ihre Gesten machen selbst das Kneten eines Brotteigs und geduldige Formen langer Teigschlangen für ein beliebtes Gebäck zur sinnlichen Lebenskunst.

Nichts hilft ihr jedoch, ihre eigene Tragik zu erleichtern. Schwanger von einem Mann, der sie verließ, ging die junge Dörflerin nach Casablanca, um sich vor ihrer Familie zu verbergen, das Kind zur Welt zu bringen und es zur Adoption freizugeben. Sie kann bei Abla entbinden.

Doch dann entspinnt sich in eindringlicher Stille die innere Zerreißprobe, in der der neugeborene Adam durch seine krea­türlichen Regungen Samia zwischen Ablehnung und Anziehung in den Abgrund zu ziehen droht. Selten sah ich diesen Widerstreit, der zur Mutterschaft gehört, in ähnlich herzzerreißenden stillen Bildern festgehalten – ohne dass die Heldin ihre Handlungsmacht einbüßt.

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