Paolo Sorrentinos Film „Die Hand Gottes“: Maradona rettet Leben

Fußball, Tod und Filmemachen: Der Spielfilm „Die Hand Gottes“ von Paolo Sorrentino erzählt vom Heranwachsen des neapolitanischen Regisseurs.

Die Famillie des Protagonisten Fabietto sitzt aufgereiht auf einer Bank, dahinter Holzvertäfelung.

Das Alter Ego des Regisseurs, Fabietto (Filippo Scotti, l.) mit seinen Eltern und Bruder Marchino Foto: Netflix

Paolo Sorrentino gehört zu den Filmemachern, die polarisieren. Er ist eine der markantesten Stimmen des italienischen Kinos von heute, doch nicht alle mögen diese Stimme gleichermaßen. Was die einen als spielerische Haltung zum Medium Film schätzen, erscheint anderen als eitle Selbstbespiegelung. Man kann dem Regisseur aber kaum vorwerfen, dass er keine eigene Handschrift habe.

Auch der jüngste Spielfilm Sorrentinos, „Die Hand Gottes“, für den er bei den Filmfestspielen von Venedig den Silbernen Löwen – Großer Preis der Jury erhielt, bietet sich für geteilte Reaktionen an. Die Geschichte ist diesmal besonders persönlich, erzählt der 1970 geborene Neapolitaner doch von seiner Jugend in den Achtzigern, von einer Familientragödie und dem Entschluss, Filme zu machen. Als Alter Ego dient ihm der sechzehnjährige Fabietto Schisa (pubertär linkisch: Filippo Scotti). Zugleich ist der Film das Porträt einer schön schrecklichen Familie und eine Liebeserklärung an den Fußballheiland Diego Maradona, der 1984 zum SSC Neapel kam und dem der Verein seine bisher einzigen beiden Meistertitel verdankt.

Die Bucht von Neapel

Sorrentino beginnt jedoch mit einer für den jugendlichen Fabiet­to wichtigen Verwandten, seiner psychisch leidenden Tante Patrizia (Lui­sa Ranieri). Der Anlauf, den der Regisseur dazu in der Anfangsszene nimmt, ist durchaus beeindruckend. Während die Kamera über das Meer der Bucht von Neapel hinwegzieht, hört man im Hintergrund das Knattern eines Hubschraubers, dessen Perspektive das Publikum einnimmt.

„Die Hand Gottes“. Regie: Paolo Sorrentino. Mit Filippo Scotti, Toni Servillo u. a. Italien 2021, 130 Min. Läuft auf Netflix.

Der Blick geht über eine Gruppe von Schnellbooten, wenn diese die Wellenkämme touchieren, ist ein zischendes „Tuff, tuff, tuff“ zu hören. Dann schwenkt die Kamera weiter über die Bucht, bleibt an einer schwarzen Oldtimerlimousine auf der Küstenstraße hängen, folgt ihrer Spur.

San Gennaro stellt sich vor

Das Auto wird wenig später im Stau der Innenstadt Neapels wieder auftauchen, aus dem Wageninneren fällt der Blick auf eine Frau im knappen weißen Kleid, die auf den Bus wartet, es ist besagte Patrizia. Ein distinguierter älterer Herr spricht sie mit ihrem Namen an, stellt sich vor als San Gennaro, Januarius, der Patron Neapels. Patrizia folgt der Einladung des mutmaßlichen Heiligen, steigt zu ihm in den Wagen und findet sich wenig später in einem heruntergekommenen Palazzo wieder. Zu dessen optischen Reizen gehört ein riesiger am Boden liegender strahlender Kronleuchter. Auch ein kleiner Mönch taucht in dieser traumartigen Szene auf. Was davon real ist, lässt der Film offen. Der Zauber dieses Bilderreigens wirkt allemal.

Im weiteren Verlauf geht Sorrentino realistischer, doch nicht zwangsläufig weniger schrill voran. Er zeigt die Verwandtschaft Fabiettos bei diversen Familientreffen, wie sich Onkel und Tanten einander zum Spaß Gehässigkeiten an den Kopf werfen, mit Ferngläsern die Ankunft einer Verwandten mit ihrem neuen Partner erspähen, sich über dessen körperliche Mängel amüsieren. Ein Gruselkabinett zum Lachen wie zum Davonlaufen.

Begegnung der gnadenlosen Art

Diese geballte Ladung auch äußerlich markanter Figuren lässt sich als Referenz an Federico Fellini verstehen. Der von Sorrentino verehrte Regisseur bekommt sogar einen Auftritt, wenn Fabiettos Bruder Marchino zu einem Casting für einen Fellini-Film geht. Der Zeit der Handlung nach könnte dies „Ginger und Fred“ gewesen sein. Während Marchino mit Fabietto im Vorraum umgeben von etwas halbseiden Typen auf sein Vorsprechen wartet, ist lediglich die Stimme Fellinis aus dem Nebenzimmer zu hören. Für Fabietto genügt das, um vor Ehrfurcht wie gebannt auf den geöffneten Türspalt zu starren, hinter dem der Maestro spricht.

Sorrentino lässt in „Die Hand Gottes“ mehrere kleine Geschichten zusammen- oder nebeneinander her laufen, was dem Ganzen etwas Rhapsodisches gibt. Neben der Familie mit ihren Auffälligkeiten ist da die wiederkehrende Frage, ob Maradona nun nach Neapel kommt oder nicht, die taumelhafte Begeisterung, als dieser 1986 sein legendäres Handspiel macht, dem der Film seinen Titel verdankt und das für Fabiettos Schicksal bestimmend wird. Hinzu kommen Fabiettos erwachendes Interesse für den Film, seine ebenfalls erwachende Sexua­lität, was in einer intergenerationellen Begegnung der gnadenlosen Art gipfelt, die Freundschaft zu einem Zigarettenschmuggler und der flüchtig-knapp inszenierte tragische Tod der Eltern.

Mitunter verknüpft Sorrentino das fast mechanisch, einziges Bindeglied ist der zunehmend egozentrische Blick Fabiettos alias Sorrentinos. Wäre das alles nicht in so üppigen Bildern zum Ausdruck gebracht, hätte dies womöglich weniger Wirkung. Von der kann man sich über den Großteil des Films bereitwillig gefangennehmen lassen. Bis zum Schluss, in dem der Bogen zum surrealen Anfang geschlagen wird.

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