Skulpturen aus Licht

Erstmals in Europa zu sehen: Nancy Holts ikonische Arbeit „Mirrors of Light“ bei Sprüth Magers ist große Wahrnehmungskunst und eine späte Würdigung

Nancy Holt mit ihrer Installa­tion „Mirrors of Light II“ 1974 in der Walter Kelly Gallery, Chicago, Illinois Foto: John R. Bayalis

Von Beate Scheder

Wieder und wieder arbeitete die US-amerikanische Künstlerin Nancy Holt an der Kreisform. Was es ist, das sie daran so sehr faszinierte, lässt sich an einer kleinen Arbeit im ersten Raum ihrer Ausstellung in der Galerie Sprüth Magers nachlesen. Ein zartes Papier hängt da, mit einem Kreis im Inneren, in den Holt mit Schreibmaschine folgende Zeilen getippt hat: „the world through a circle / elements real and reflected / concentrated, encompassed / sky, earth, water / joined together / a whole through the earth, either way / drawing in a glance / and then a second look / and more / the world focuses / and spins out again, seen“. Durch den Kreis die Welt konzentriert zu sehen, fokussiert und sie dann wieder auseinandergleiten lassen – was Holt beschreibt, entspricht gewissermaßen dem, was ein Kind wahrnimmt, dass ein Blatt Papier einrollt und als Fernrohr benutzt.

Durch die Kreise, die in der Berliner Galerie zu sehen sind, kann man nicht hindurchschauen. Sie werfen das Bild vielmehr zurück. „Mirrors of Light“ besteht aus zehn kreisförmigen Spiegeln von jeweils 24 Zentimeter Durchmesser, die in einer diagonalen Linie an der Wand angebracht wurden und von der gegenüberliegenden Seite von einem Strahler angeleuchtet werden.

Der Winkel, die Abstände, alles ist ganz genau austariert. So, dass man sich selbst sehen kann, so, dass die Reflexionen der Spiegelkreise Ellipsen an der benachbarten Wand bilden, die an Mondphasen erinnern könnten, so, dass die erste der Ellipsen schon zu sehen ist, bevor man in den fensterlosen Raum der Installation tritt. Es ist ein einfaches Prinzip, das jedoch Präzision verlangt, damit die Arbeit ihre Magie entwickeln kann, die wiederum am besten zu spüren ist, wenn man sich allein in der Ausstellung aufhält.

Jetzt während der Coronapandemie ist es gar nicht so unwahrscheinlich, die Galerie für sich zu haben. Irgendetwas Positives gibt es manchmal ja doch. Von Abgeschiedenheit und Leere lebt auch die bekannteste Arbeit Holts, ihre „Sun Tunnels“ (1973–76), vier riesige Betonrohre, die sie in der unwirtlichen Wüste Utahs platzierte, ausgerichtet zum Sonnenauf- und Sonnenuntergang hin. Mitten im Niemandsland locken sie dort nach wie vor das Kunstpublikum an, das Licht, die Sonne zu allen Tageszeiten zu beobachten. Wem Utah zu weit weg ist: Atemberaubend schön sind auch viele der Fotografien der Sonnentunnel.

Die Kunstgeschichte zählt Holt zu den Weg­be­rei­te­r*in­nen der Land Art, wie auch ihren Mann Robert Smithson, der trotz seines frühen Todes im Jahr 1973 der bekanntere blieb. Sie selbst bezeichnete ihre Kunst lieber anders, als „Perception Art“, als Wahrnehmungskunst. Das trifft es in der Tat gut. Es geht um das Sehen und das Wahrnehmen, das Sich-Orientieren, im Raum oder in einem System.

Und womit könnte man dabei besser arbeiten als mit Licht? Holt verstand Licht als Material, mit dem sich bildhauerisch arbeiten ließ. „Mirrors of Light“ und die Schwesterarbeit „Holes of Light“ sind zentrale Arbeiten in ihrem Werk, an denen sich ihre intensive Beschäftigung mit der skulpturalen Qualität des Lichts erkennen lässt.

Es geht um das Sich-Orientieren, im Raum oder in einem System

„Mirrors of Light“ hat Nancy Holt in den 1970er Jahren zweimal installiert, einmal 1973 in New York, ein Jahr später in Chicago. Viel nahm die Kunstwelt damals nicht daran Anteil, obwohl Holt mittendrin war in der Kunstszene New Yorks. Ausstellungen von Künstlerinnen wurden damals kaum rezensiert, dem Art Forum reichten ein paar Zeilen. Mit ähnlichen Gründen ist zu erklären, warum die Arbeit danach erst wieder 2018 gezeigt wurde, vier Jahre nach Holts Tod, in der New Yorker Dia Art Foundation. In Europa ist sie mit der aktuellen Ausstellung zum ersten Mal zu sehen.

Zu einer Herausforderung machte das auch die Installation. Sprüth Magers arbeiteten für die Ausstellung mit der Holt/Smithson Foundation zusammen, die jedes Foto der beiden Installationen aus den 1970ern genauestens studierten, um die Maße exakt hinzubekommen. Seit Kurzem erst vertritt die Galerie Sprüth Magers Holts Nachlass. Es ist die alte Geschichte, für die man inzwischen unzählige Beispiele aufzählen könnte, Beispiele für die Unsichtbarkeit ikonischer weiblicher Positionen in der Kunst, für Künstlerinnen, die erst im hohen Alter oder gar nach ihrem Tod wiederentdeckt werden.

Mit der Bekanntheit Holts könnte es nun vorangehen. Sprüth Magers plant für 2022 auch am Standort in Los Angeles eine Einzelausstellung. Ebenfalls in diesem Jahr steht die erste große europäische Retrospektive mit den Werken Nancy Holts an – und Ort und Zeit könnten nicht besser gewählt sein. Am 21. Juni soll die Schau eröffnen, im Bildmuseet in Umeå, gelegen in Nordschweden, wo zu dieser Zeit die Sonne 24 Stunden lang scheint.

Nancy Holt, „Mirrors of Light“, Sprüth Magers, bis 5. Februar, Di.–Sa. 11– 18 Uhr